Kurosch Yazdi : Junkies wie wir

Kurosch Yazdi : Junkies wie wirMit “Junkies wie wir – Spielen. Shoppen. Internet. Was uns und unsere Kinder süchtig macht” legt Kurosch Yazdi einen wichtigen Meilenstein für die wissenschaftliche aber allgemein verständliche Lektüre zu den “Alltagssüchten”, die in der modernen Gesellschaft gern als Lifestyle gesehen werden, obwohl sie einen Großteil der Betroffenen physisch und psychisch genauso ruinieren, wie Heroin, Kokain und andere “anerkannte” Drogen.

Das Problem mit suchtkritischen Sachbüchern ist die Masse an seichten unterhaltsamen, teils versucht witzigen, pseudowissenschaftlichen Büchern auf dem Markt. Wo Kaufsucht lustig ist, weil Frauen ja bekannterweise Schuhe und Taschen ohnehin kistenweise horten, bleibt nicht mehr viel Faktenlage über. Um so überraschter war ich von dem vorliegenden Buch. Sicher kommt dem zugute, dass Kurosch Yazdi als Leiter der Suchtabteilung der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg in Linz schon jeden dummen Spruch gehört und entkräftet hat. Er weiß, dass an verzockten Einfamilienhusern und millionenschulden kein Unterhaltungsfaktor verloren gegangen ist und auch der Spielertod nach Tagen ohne Essen und Schlaf kein schöner ist. Dennoch schafft er es, den Leser in der Thematik mitzureißen und die richtigen Beispiele zu finden, um das Buch nicht zum trockenen Stoff verkommen zu lassen.

Kurosch Yazdi / Foto: privat

Das Buch kommt also ohne reines Entertainment, niedliche Comics und lustige “Kennen Sie das auch”-Vergleiche aus, wenn es die Verhaltenssüchte von Wettbüros über den Großeinkauf bei Zalando, bis hin zum mittzwanziger Wow-Spieler, der ohne Schulabschluss und Job bei den Eltern wohnt weil er seine Jugend verpasst hat, beleuchtet und erklärt, wie Spiele und soziale Netzwerke trotz MMORPG-Charakter und Veranstaltungsoption auf Antisozialisierung ausgelegt sind und die Entwickler damit Milliarden verdienen, dass die Welt vereinsamt.

Das Buch ist in vier Teile gegliedert. Zu Beginn wird in “Das Junkie-Gen in uns” erklärt, warum niemand, auch der Suchtarzt selbst, frei von Alltagssüchten ist, aber nicht jeder in die Privatinsolvenz schlittert. “Die Verfügbarkeit der Droge” beschäftigt sich mit Werbung, Netzausbau und Kreditrahmen. Wie bauen Konzerne ein in sich suchtförderndes Netzwerk auf? Sportler, die für Wettfirmen werben, Alkohol und Zigaretten als Lifestyleprodukt Hollywoods, Computerwirklichkeit als von Eltern gefördertes Hobby und Banken, die mit Raten und Schulden mehr Geld verdienen, als mit vollen Konten. In dem Teil “Wir steuern auf ein Horrorszenario zu” stellt Yazdi sein pesönliches Jahr 2030 vor, in dem man seine Kollegen und Freunde nur noch online kennt, auf Alltagssituationen spekulieren kann und schon Kleinkinder ein eigenes Konto haben. Mit Teil Vier, “Warum wir die Verhaltenssüchte nach wie vor besiegen können” spricht er eher Politik und Lobby an, warnt aber auch den Anwender und Leser davor, sich selbst zu beobachten, denn die Suchttherapie-Plätze reichen schon seit Jahren nicht mehr aus.

Auf 200 Seiten ist somit grob umrissen alles zu dem Thema gesagt, was ein Nichtmediziner wissen muss, um sich einen Überblick zu verschaffen. Eine Anleitung zum Entzug möchte das Buch nicht geben, eher Mechanismen aufzeigen. Das schafft es ausgezeichnet, ohne zu langweilen!

“Junkies wie wir” ist 2013 bei edition a erschienen und für 19,95 Euro erhältlich, HIER oder bei Amazon.

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