Margret Greiner, Margaret Stonborough-Wittgenstein, 2018, Tb. 2020, 304 Seiten.

Grande Dame der Wiener Moderne – so der Untertitel. Hiermit und mit dem Namen Wittgenstein sowie dem bekannten Gemälde von Gustav Klimt auf dem Cover war meine Kaufentscheidung im Juni 2020 rasch gefallen!
Greiner, als Verfasserin von Biographien bekannter Frauen keine Unbekannte, legt hier eine ansprechend verfaßte Lebens- und Epochenbeschreibung vor. Fin de siècle, Wiener Moderne, Zwischenkriegszeit, Erster und Zweiter Weltkrieg, Exil und Rückkehr sind die Themen, mit denen sich diese Familiengeschichte um die Zentralfigur Margaret – getauft auf die Namen Marghareta Anna Maria hatte sie ihren Vornamen nach der Heirat mit dem amerikanischen Erben Jerome Stonborough im Jahre 1905 anglisiert – beschäftigt.
Geboren in eine großbürgerliche Familie, in der viel Wert auf Musik, Kunst und Literatur gelegt wurde, Geld die meiste Zeit im Überfluß vorhanden war – auch nach dem Kriegsende 1918, nach dem Schwarzen Freitag 1929 und vergleichsweise auch noch nach 1945 – war Margaret Stonborough-Wittgenstein eine gleichermaßen privilegierte wie eigenständige Frau. Sie lebte von 1882 bis 1958.
Greiner legt ein hohes Erzähltempo vor, behält sie doch nicht nur ihre Protagonistin im Auge, sondern schenkt auch den anderen Familienmitgliedern mehr als einen Seitenblick. In dem Vater Karl Wittgenstein lernen wir einen typischen Patriarchen kennen, in zwei der Brüder – Paul und Ludwig – zwei schwierige Individualisten: den (kriegsbedingt) einarmigen Pianisten und den bekannten Philosophen.
Wittgenstein lebte an vielen Orten – Berlin, Zürich, Paris, New York – aber Wien blieb ihre Heimat und Gmunden ihr Tusculum. Sie hatte ein Talent dafür, Häuser umzubauen und Wohnungen einzurichten – Diskussionen mit Architekten kommen in dem Buch oft vor, der prominenteste ist schließlich ihr Bruder Ludwig: kompromißlos bis zum Letzten.
In einer Biographie über eine vermögende jüdische Familie während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Wien kann es nicht nur um Kunst und Wissenschaft gehen, die Politik darf nicht fehlen. Lange Zeit ist dies nur eine Frage von Beziehungen zu hochgestellten österreichischen Entscheidungsträgern, die es sich in der Regel nicht mit der Familie Wittgenstein verscherzen wollen. Das ändert sich spätestens 1938, als der neue Wind auch in den vornehmen Villen und Stadtpalais spürbar wird.
Die Erwähnung des Pädagogen Richard Seyß-Inquart auf S. 215 erfolgt noch kommentarlos, aber bereits wenige Seiten später werden die Schwierigkeiten greifbar, ja gefährlich. Und dann findet auch dessen Bruder, der österreichische Bundeskanzler und nachmalig verurteilte Hauptkriegsverbrecher Arthur Seyß-Inquart, unrühmliche Erwähnung. Einzelne Familienmitglieder wandern rechtzetig aus, andere wollen bleiben. Margaret Stonborough-Wittgenstein setzt sich vehement dafür ein, deren „Rassestatus“ zu verbessern. Sie selbst ist seit der Eheschließug US-Bürgerin und verläßt das Land im Januar 1940 – nicht ohne vorherige Inhaftierung und unter EInsatz von viel Geld und Beziehungen.
Sie ist nicht glücklich in den USA und setzt alles daran, nach dem Ende des Krieges nach Österreich zurückzukehren; doch erst 1950 ist es dann soweit.
Im Exil altert man schneller. (S. 275)
Das Buch ist gut lesbar und lebt natürlich von seinem sehr interessanten Inhalt. Es ist keine hochwissenschaftliche Biographie, sondern ein an die breitere Öffentlichkeit gerichtetes Buch auf solider Grundlage und mit einem angemessenen Unterhaltungsanspruch. Als solches kann es vollumfänglich überzeugen.