1966 reist eine in die Tage gekommene Gruppe 47 nach Princeton, um dort über Literatur zu diskutieren. Was dann passiert, ist allgemein bekannt: Eitelkeiten unter den Teilnehmern, ein wütender Peter Handke und der Anfang vom Ende der einstigen literarischen Elite Deutschlands. Aus diesen Rahmendaten entwirft Jörg Magenau mit „Princeton 66“ ein unterhaltsames Sachbuch, fundiert recherchiert und in lockerem Ton erzählt.
„Grass… streckte, durchströmt vom angenehmen Bewusstsein, Günter Grass zu sein, die Beine aus.“
Fünfzig Jahre sind seit jener Tagung der Gruppe 47 in Princeton vergangen, die eigentlich dazu dienen sollte, sich ihrer selbst und ihrer Bedeutung zu bestätigen, die schlussendlich aber offenbarte, was viele schon seit langem dachten: Die Gruppe 47 war zu einem anachronistischen Projekt verkommen, einst gegründet als linke, avantgardistische Bewegung, inzwischen in eine gemütliche, der SPD-wohlwollend gesinnte, alternde Gruppe mit etablierten Schriftstellern mutiert. Nicht alle, natürlich, passten in dieses Schema – unter den achtzig nach Princeton mitgereisten Autoren und Kritikern und jenen, die aus diversen Gründen nicht in die USA mitkonnten oder -wollten, aber auch zur Gruppe 47 zählten, waren nicht alle alt, nicht alle sozialdemokratisch, nicht alle eingeschlafen. Und doch: Von außen konnte die Gruppe 47 durchaus als homogenes Konstrukt wahrgenommen werden.
Jörg Magenau hat sich der vorletzten Tagung der Gruppe 47 angenommen. Er bleibt dabei nicht strikt bei den drei ominösen Princeton-Tagen, sondern setzt sie in einen weltpolitischen und literaturhistorischen Kontext. Vor allem spielen die aktuelle Situation in den USA und in Deutschland eine wichtige Rolle, und so bleiben Vietnamkrieg wie Ausschwitzprozesse nicht unerwähnt. Dank Magenaus ironischen Kommentaren ist „Princeton 66“ aber kein trockenes Stück Geschichte, sondern ein unterhaltsames Buch, das zwar im Plauderton, zugleich aber gut recherchiert über diese merkwürdige Veranstaltung berichtet.
Ohne die Bedeutung der Gruppe und die einzelner Schriftsteller zu schmälern, lässt es sich Jörg Magenau nicht nehmen, spitze Bemerkungen über die wichtigsten Akteure einzustreuen, über Hans Werner Richter, Begründer der Gruppe 47 und Henker ihres Who’s Who, allen voran: „Richtet richtete“. Aber auch „den immer breiter werdenden Erich Fried“ und Hellmuth Karasek, „der sich Mühe gab, immer ein wenig klüger zu wirken, als er war“, verschont er nicht. Den ironischen Kommentaren zum Trotz gelingt Magenau die Gratwanderung, den Schriftstellern den Respekt zu zollen, der ihnen gebührt. Doch selbst die Mitglieder hadern inzwischen mit der Existenzberechtigung der Gruppe 47: „So lief das seit Jahren, es lief ja, aber wozu? Was da noch etwas anderes als routinierte Betriebsamkeit? Lebte das noch?“ Drei Tage in Princeton genügen, um die Antwort zu liefern: Nein, das lebte nicht mehr.
Magenaus Plauderton vermittelt das Gefühl, er und der Leser wären vor Ort mit dabei. Die Eitelkeiten der Autoren und Kritiker und ihre Frötzeleien untereinander sind genauso plastisch beschrieben wie das offenkundig provinzielle Verhalten, das sie an den Tag legen: Trotz der illustren Vergangenheit Princetons, trotz der Intellektuellen, die am Campus lehren, trotz einer zeitgleichen Veranstaltung mit US-amerikanischen Schriftstellern ziehen es die Teilnehmer der Gruppe 47 vor, in ihrer Blase zu bleiben. Doch auch die selbstgewählte Isolation wirkt unnatürlich, wie ein „künstlicher Kokon, in dem das Unzusammengehörende noch einmal zusammengebunden wurde für drei flüchtige Tage.“
Warum Princeton?, fragen sie sich insgeheim. „Warum, zum Teufel, saßen sie hier in Princeton, bloß um sich anzuhören, was doch in einer Gastwirtschaft in der Eifel viel entspannter möglich gewesen wäre?“ Keiner kann eine gute Antwort auf diese Frage geben. Die Lethargie in Princeton wird am letzten Tag unterbrochen, als Peter Handke schließlich der Kragen platzt. „Läppisch“ sei das alles. Aus der Zeit gefallen ist es zumindest.
Princeton 1966 markiert das Ende einer Ära, wie Jörg Magenau in „Princeton 66“ nicht überraschend feststellt. „Fünfzig Jahre nach Princeton würden die meisten von ihnen tot sein. Viele wären vergessen oder bloß noch Namen auf vergilbtem Papier.“ Und so ist es gekommen.
Jörg Magenau – Princeton 66. Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart
Februar 2016, 220 Seiten
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