Als erstes überprüft er die Technik und rückt seinen Tisch zurecht, dann nimmt sich Emanuel Bergmann vor seiner Lesung in der Stadtbibliothek Stuttgart aber noch die Zeit, einen Apfel zu essen. Früh zeigt sich, dass Vorbereitung und Stärkung nötig waren: Gut fünfunddreißig Minuten lang liest, nein, rezitiert der Autor die ersten Kapitel seines Debütromans „Der Trick“, der Anfang des Jahres bei Diogenes erschien. Wie ein Theaterschauspieler läuft Bergmann, gekleidet in einem graublauen Hemd und schwarzer Jeans samt passenden Chucks, dabei auf der „Bühne“ herum, betont die Erzählstimmen unterschiedlich und benötigt nur selten einen schnellen Blick auf seine Zettel – eigentlich kann er den Text komplett auswendig. Zur Abwechslung spielt er alle paar Minuten kurze Intermezzi ein, die ein Freund, so erzählt Bergmann stolz, inspiriert durch die Lektüre des Romans eigens für ihn komponierte.
Nach dieser gelungenen szenischen Lesung (warum hat der Autor eigentlich nicht selbst das Hörbuch eingesprochen?) unterhält sich Bergmann mit Moderatorin Anat Feinberg, Professorin an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, über seinen Werdegang. Auch im Interview ist er souverän, manchmal vielleicht ein wenig zu souverän, klingen seine Sätze (ähnlich wie bei der Lesung) mitunter so, als hätte er sie schon oft wiederholt. Die Faszination für Zauberei, eines der Hauptthemen in seinem Roman, habe er schon als kleines Kind empfunden. 2005 entschloss sich Emanuel Bergmann, der Film studierte und auch lange in der Filmindustrie tätig war, zum ersten Mal seit vielen Jahren, wieder einen Zirkus aufzusuchen um zu schauen, „was die Kollegen von Zirkus so treiben“. Dieser Besuch wurde rückblickend zur Initialzündung seines Romans. Zauberei seien „Momente der Transzendenz“, so Bergmann, gleich, ob es sich bei dieser Zauberei um Kirche, Kino oder Romane oder eben Zirkustricks handle. „Dieses Narrativ hilft uns, die scheinbar wahllosen Erlebnisse der Realität in einen Kontext zu bringen.“
Anat Feinberg interessiert, ob Bergmann die zwei Handlungsstränge, die von einem jüdischen Ehepaar Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa sowie von einem zehnjährigen Jungen, der rund hundert Jahre später in den USA lebt, erzählen, schon von Beginn so angelegt habe. Bergmann antwortet, die Geschichte habe „wie Kaffee“ lange in ihm gebrodelt. „Ich wusste zunächst nicht, wo meine literarische Heimat ist: Deutschland oder USA“, erläutert der Autor, der seit dem Abitur in Los Angeles lebt. Deswegen entschied er sich für beide Länder und somit beide Erzählstränge. Verfasst hatte er den Roman ursprünglich auf Englisch, er ist in beiden Sprachen auch Zuhause: „Ich muss erst in der Sprache der Charaktere schreiben, dann kann ich das übersetzen!“ 2007, 2008 war die in nur sechs Wochen entstandene englischsprachige Rohfassung fertig. Doch obwohl viele Verlage und Agenturen prinzipiell Interesse an „Der Trick“ zeigten, wollte sich doch keiner darauf einlassen – bis schließlich der Text sieben Jahre später durch viele Zufälle bei Diogenes landete. „Ich hätte nie gedacht, dass noch etwas daraus wird“, sagt Bergmann, der die E-Mails des Schweizer Verlags für Scherze oder Spam hielt. Durch das ernste Interesse seitens Diogenes bekam er die Chance, den Roman zu übersetzen und dadurch umzuschreiben, neue Kapitel und Charaktere hinzuzufügen. „Diese ist meine Lieblingsfassung!“
Nach einer zweiten, sehr viel kürzeren Lesung thematisieren Feinberg und Bergmann den Holocaust. „Über den Holocaust kann man nicht schreiben, deswegen tue ich das nicht und gehe nur bis an die Tore der Vernichtungslager.“ Seit dem Film „Schindlers Liste“, den er regietechnisch für einen perfekten Film hält, bei dem ihm aber die Mythologisierung der Shoa, das „beruhigende Narrativ mit Happy End“, störe, beschäftige er sich mit dieser Thematik. Er sei zwar gegen die Verkitschung, zugleich könne seine Generation aber freier mit dem Stoff arbeiten und müsse ihn auch mythologisieren, um damit umgehen zu können. Und obwohl Bergmanns Familie in den KZs dezimiert wurde, gab es selbst für sie kleine Happy Ends; Oma, Opa und Tante beispielsweise überlebten. „Jede Geschichte einer Rettung mutet wie ein Wunder an.“
Stadtbibliothek Stuttgart
14. September 2016
Emanuel Bergmann – Der Trick (Diogenes)
Moderation: Anat Feinberg