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Tim Parks – Worüber wir sprechen, wenn wir über Bücher sprechen

Warum lesen wir? Was bedeutet die Globalisierung für Nationalliteraturen? Und ist es ein Kompliment, wenn ein Roman nicht bis zur letzten Seite gelesen wird? Tim Parks hat sich in seiner klugen Essaysammlung „Worüber wir sprechen, wenn wir über Bücher sprechen“ mit diesen und weiteren Fragen auseinandergesetzt.

Lese ich, um meine Sicht auf die Welt zu bestätigen, oder um sie infrage zu stellen? Oder ist das Lesen, um meine Sichtweise infrage zu stellen, die willkommene Bestätigung dafür, dass ich tatsächlich der unerschrockene Typ bin, für den ich mich halte?

Tim Parks weiß, wovon er redet. Er ist ein britischer Autor, Übersetzer und Literaturprofessor, der seit 35 Jahren in Italien lebt. Entsprechend hat er sich vor allem mit der Bedeutung von Nationalliteraturen, Übersetzungen und der Rezeption eines Schriftstellers im Ausland beschäftigt. Er selbst ist das beste Beispiel dafür: In dem einen Land gilt er als Romancier, im nächsten als Übersetzer, er ist hier für sein Fußballbuch bekannt, und dort als Literaturkritiker oder für seine witzigen Texte über Italien. Wie ein Autor wahrgenommen wird, hat also oft weniger mit dem Autor selbst als mit dessen Publikationsumfeld zu tun. Die Eigenarten von Literaturen in verschiedenen Ländern und wie sehr sich diese in den letzten Jahren einander angenähert haben, beschäftigt Tim Parks besonders. Er bedauert, dass die Idiosynkrasien der einzelnen Sprachen und Staaten durch die Übermacht US-amerikanischer Literatur langsam verlorengehen, sowohl was Syntax als auch Themen betrifft. „Pamuk zum Beispiel vermittelt zwar ein starkes Zugehörigkeitsgefühl für den Ort, richtet sich aber zunehmend mehr an die Menschen außerhalb der Türkei als an die Türken selbst.“ Mit Blick auf ein universelles Publikum und nicht ausschließlich auf die Leser im eigenen Land zu schreiben, scheint heutzutage die einzige Möglichkeit zu sein, um überhaupt ins Englische übersetzt zu werden.

Parks bekam für seine Texte immer wieder ungewöhnliche Komplimente, die ihn zum Nachdenken anregten. Ein unliebsames Buch vor der letzten Seite zuschlagen – ja, klar. Doch er berichtet von einem begeisterten Leser, der seinen Roman beendete, ohne diesen wirklich zu beenden. Die letzten fünfzig, hundert Seiten waren für ihn überflüssig, da ihn das Gelesene bis dahin befriedigt hatte. Es muss also keine Beleidigung sein, einen Roman nicht bis zum letzten Wort zu lesen.

In weiteren Essays beschäftigt sich Parks unter anderem mit dem Urheberrecht, durch das eine Gesellschaft den Künstler zwar in seiner Bedeutung bestätigt, das aber den gerne als Rebell und Genie betrachteten Schriftsteller zugleich zu einem „staatstragenden Bürger“ mache. Der Schriftsteller kolportiere das Image als Kreativen mit Weltschmerz – „Unser Autor des zwanzigsten Jahrhunderts ist schlicht an keiner Psyche interessiert, die nicht leidet“ –, in einer Branche, in der nur eine schwindend geringe Anzahl an Autoren Erfolg haben, ist die Grenze zwischen Kunst und Kommerz allerdings eine sehr schmale.

Auf Jonathan Franzen, dem eines der letzten Essays gewidmet ist, ist Tim Parks herzlich schlecht zu sprechen. Warum hat Franzen, dieser dezidiert US-amerikanische Autor, nicht nur in seiner Heimat, sondern auch in Europa so einen durchschlagenden Erfolg? Für Parks steht die Antwort fest: „Franzen scheint seine ganze Energie, seine ganze Identität daraus zu beziehen, Amerika heraufzubeschwören und es gleichzeitig zu verachten […] Franzen entwirft das Bild von einem gestörten Amerika, das Europäern gut gefällt.“ Ha!

Man muss nicht immer einer Meinung mit Parks sein. Und einige seiner Aussagen lassen sich schlecht auf Deutschland anwenden: So ist in vielen Ländern ungewöhnlich, dass der Schriftsteller auf einer Lesung aus seinem Roman liest, was Parks zu der Frage veranlasst, warum Lesungen überhaupt besucht werden. Damit verhält es sich hierzulande selbstredend anders. Trotzdem ist „Worüber wir sprechen, wenn wir über Bücher sprechen“ eine Sammlung von intelligenten, schlüssig ausgearbeiteten Essays, die der Autor mit einer trockenen, (selbst-)ironischen Stimme verfasst hat. Es macht Spaß, sich mit Parks‘ Themen auseinanderzusetzen. Ich bleibe übrigens dabei und schätze Jonathan Franzen weiterhin als großen Schriftsteller. Aus welchen Gründen auch immer.

Zum Weiterlesen: James Wood – Die Kunst des Erzählens

Tim Parks – Worüber wir sprechen, wenn wir über Bücher sprechen
Aus dem Englischen von Ulrike Becker und Ruth Keen
Kunstmann Verlag, München
August 2016, 235 Seiten

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