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Peter Burghardt – Gebrauchsanweisung für Mexiko

Anders als bei Paraguay beispielsweise hat jeder, der das Wort „Mexiko“ hört, sofort konkrete Bilder im Kopf – gleich, wie nahe diese der Wahrheit kommen mögen. Drogenkrieg, Trump, Cortés oder Tacos werden die geläufigsten Assoziationen sein. Aber Mexiko ist viel mehr als nur das. Peter Burghardt räumt in seiner „Gebrauchsanweisung für Mexiko“ mit gängigen Klischees auf und bestätigt andere. Die „Gebrauchsanweisung“ ist vor allem eins: eine Liebeserklärung an dieses facettenreiche Land.

Vulkane, die von einem Tag auf den anderen aus der Erde hervorbrechen, Priester, die in kugelsicheren Westen predigen, ein Mann, der zwanzig Millionen Dollar am Tag verdient, Gottesdienste, bei denen die Betenden Fanta trinken, um zu rülpsen – diese und andere Geschichten tragen zur Mythenbildung Mexikos bei. Und ja, sie stimmen und machen doch nur einen kleinen Teil der Essenz dieses Landes, seiner reichen Kultur und bewegten Vergangenheit, aus. Peter Burghardt geht Mexiko in seiner „Gebrauchsanweisung für Mexiko“ auf den Grund. Die, man kann es durchaus so ausdrücken, inzwischen legendäre „Gebrauchsanweisung“-Reihe gibt es für alle erdenklichen Städte, Regionen und Lebenssphären. Zumeist bekommt man darin einen sehr viel lebhafteren Eindruck eines Landes als mit einem herkömmlichen Reiseführer. Einige sind allerdings zu sehr auf die persönlichen Erfahrungen des Autors gemünzt, sodass dabei das eigentliche Thema ein wenig verloren geht. Nicht so bei Peter Burghardt. Der Journalist und Lateinamerikakenner spickt seine Geschichten und Fakten mit genau der richtigen Menge an privaten Anekdoten, um den Text interessant und doch allgemeingültig zu halten.

Mexiko also. Bei vielen Städten und Ländern werden gern die Kontraste und Superlative betont. Auf Mexiko aber treffen sie wirklich zu, vor allem auf Mexiko-Stadt. „Mexikos Hauptstadt prügelt auf einen ein mit ihren Staus, ihrem Smog, ihrem Krawall, ihren Massen, ihrer Höhe, ihrer Architektur, ihren Geschichten, ihren Risiken und Reizen.“ Ja, so ist es, und noch viel extremer, als es Worte je ausdrücken könnten. Aber Peter Burghardt konzentriert sich nicht allein auf die Ciudad de México, sondern behält in diesem riesigen und chaotischen Land den Überblick. Er nimmt den Leser mit auf einen Road Trip, besucht die legendären Ruinen Tulums und Chichén Itzás, fährt mit dem Zug El Chepe durch Gebirge und Täler oder bestaunt den Friedhof der Narcos, Jardínes de Humaya (unbedingt googlen, total abgefahren!).

Die „Gebrauchsanweisung für Mexiko“ liefert zudem eine sehr gute, kompakte Einführung in die schwer durchdringbare mexikanische Geschichte und untergegangenen Kulturen. Obacht: Für Leser mit nur wenig Vorkenntnissen könnten die vielen Namen, vor allem die prähispanischen, mitunter verwirrend sein. Bei all der Begeisterung für die Azteken und Maya kommt allein das 20. Jahrhundert zu kurz; das Massaker von Tlatelolco 1968 etwa wird nur angerissen. Dafür beleuchtet Burghardt die Sprachen des Landes näher. Mexiko ist ein Vielvölkerstaat, neben dem Spanischen sind stolze 62 Sprachen anerkannt. Der ein oder andere weiß vielleicht, dass „Schokolade“ von dem aztekischen Wort „xocolatl“ abstammt, kurioser wird es für den deutschen Leser mit anderen Sprachen. Eindruck gefällig? Das ist Zapotekisch: „…da‘ xto‘ chho golhe nhan belbekgaken to lache lao yia‘ zua chhua yell la‘ kanhategholhe…“

Natürlich dürfen Kapitel über die mexikanische Küche, Frida Kahlo und Carlos Slim, zeitweisen der reichste Mann der Welt, nicht fehlen. Und eine sarkastische Analyse über die „mexikanische Dreifaltigkeit“ bleibt auch nicht aus: „Kirche, Coca-Cola und Revolutionspartei PRI“ dominierten zumindest bis vor Kurzem die mexikanische Gesellschaft. Der Glaube an die „Revolutions“partei hat in den letzten Jahren, Jahrzehnten allerdings extrem gelitten.

Peter Burghardt liebt dieses Land, das liest man in jeder Zeile heraus. Und deswegen ist die „Gebrauchsanweisung“ auch eine Liebeserklärung, eine ziemlich positive Darstellung Mexikos. Es gibt ein Kapitel über die Narcos, aber die Bedrohung für Journalisten wird nur am Rande erwähnt, die Korruption von Politik und Polizei schwingen höchstens im Hintergrund mit. Und die vielen Frauenmorde finden gar keine Erwähnung. Natürlich: Ein Großteil Mexikos ist für Touristen problemlos zu bereisen, die vielen Horrormeldungen geben lediglich einen Ausschnitt der Realität wieder. Trotzdem ist die Gewalt, die die Gesellschaft komplett durchdrungen hat, ein elementarer Bestandteil des mexikanischen Alltags; so ist der Bundesstaat Veracruz die gefährlichste Region für Journalisten in der westlichen Hemisphäre. Andererseits ist es schön, etwas Positives aus diesem fantastischen Land zu lesen. Es gibt nämlich so vieles zu berichten. Und wer nach der Lektüre immer noch glaubt, Mexiko würde zu Mittel- oder Südamerika gehören, der darf gleich nochmal von vorne anfangen.

Zum Weiterlesen: Sarah Mehlmer, Markus Höffer-Mehlmer – Fettnäpfchenführer Mexiko

Peter Burghardt – Gebrauchsanweisung für Mexiko
Piper Verlag, München
Oktober 2017, 219 Seiten

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