Mary Gaitskill – Bad Behavior

Abgründig wie witzig: Die Kurzgeschichten „Bad Behavior“ von Mary Gaitskill werden wiederentdeckt.

Als Debby in ihrem neuen Job als Sekretärin in einer Anwaltskanzlei wiederholt Fehler macht, ruft ihr Chef sie in sein Büro. Doch anstatt sie zu feuern, wie Debby zunächst glaubt, befiehlt er ihr, sich über den von ihr verfassten Brief mit Tippfehlern zu beugen, und schlägt ihr zehn Minuten lang auf den Hintern, indes sie besagten Brief laut vorlesen muss. „Sekretärin“ ist eine von neun Short Storys in Mary Gaitskills Buch „Bad Behavior“. Während die Autorin dem deutschsprachigen Publikum wenig bekannt ist, könnten diese Geschichte einige kennen: 2002 wurde sie mit Maggie Gyllenhaal und James Spader in den Hauptrollen verfilmt.

Seit #MeToo ist die Buchbranche auf der Suche nach Erklärungen und Lösungen. Wohl auch durch den Erfolg der Kurzgeschichte „Cat Person“ von Kristen Roupenian, die als der erste literarische #MeToo-Text gilt, und dem gleichnamigen Band, der im Januar 2019 bei Blumenbar veröffentlicht wurde, hat ebendieser Verlag „Bad Behavior“ von Gaitskill neu aufgelegt. Nicht ganz überraschend ist es auch Roupenian, die das Nachwort dieser Neuausgabe, im Original erstmals 1988 erschienen, beisteuert. Trotzdem kann „Bad Behavior“ nur schwer als Antwort auf #MeToo gelesen werden. So ist etwa „Sekretärin“ keine klassisch empowernde Geschichte, im Gegenteil. Debby setzt sich nicht gegen den Rechtsanwalt zur Wehr, sondern lässt die Nötigung über sich ergehen. Mehr noch: Obwohl es ihr deswegen irgendwann so schlecht geht, dass sie nicht mehr zur Arbeit kann, fühlt sie sich auch sexuell äußerst erregt. Wie Debby verhalten sich alle Figuren ambivalent, widersprüchlich gar, sind auf verschiedenen Ebenen lesbar, so geistreich wie naiv. Die Geschichten in „Bad Behavior“ sind abgründig und witzig zugleich, handeln von Prostituierten, Sadomasochisten, langjährig verheirateten Ehefrauen oder bisexuellen Menschen. Eine pikante Mischung an Storys und Protagonist*innen aus der Feder einer Frau, bedenkt man das Jahr der Veröffentlichung.

Gaitskill weiß, wovon sie schreibt: Sie selbst hatte kein einfaches Leben, riss schon mit 15 von Zuhause aus und arbeitete vor ihrer literarischen Karriere unter anderem als Stripperin. In den USA ist die Autorin, die 2005 für den „National Book Award“ nominiert war, seit Jahrzehnten bekannt. Hierzulande haben Verlage immer wieder versucht, sie zu durchzusetzen, zuletzt Klett-Cotta mit dem 2017 veröffentlichten Roman „Die Stute“ – alle mit eher mäßigem Erfolg. Vielleicht hilft diese hochinteressante Kurzgeschichtensammlung nun dabei, Gaitskill endlich zu etablieren.

In „Bad Behavior“ erzählt Mary Gaitskill nicht von Frauen, die sich gegen dominierende Männer durchsetzen, aber auch nicht von Männern, die Frauen dominieren. Die Frauen werden zwar als sexuelle Objekte wahrgenommen, sind aber keine Opfer. Wie beispielsweise die Prostituierte, in die sich einer ihrer Freier, verliebt, der sie retten will. Doch als er sie ein Jahr später in einem Diner zufällig wiedertrifft, hat sich das Machtverhältnis umgedreht. Sie ignoriert ihren ehemaligen Klienten, während er inzwischen verletzlicher, ihr unterlegen ist. Gaitskills Frauen sind keine klassisch „starken Figuren“, im Endeffekt trotzdem stärker als die Männer – oder zumindest zäher.

Einen kleinen Wermutstropfen gibt es allerdings: Man merkt dieser Übersetzung von Nikolaus Hansen trotz Überarbeitung die gut 30 Jahre seit der Erstveröffentlichung von „Schlechter Umgang“ – so der deutsche Titel – bei Rowohlt an. So wird ein Orgasmus mit der ungelenken Passivkonstruktion „es kommt mir“ beschrieben, Geld mit dem aus der Zeit gefallenen Umgangswort „Eier“ bezeichnet und auch einige „Knaben“ haben sich in die Short Storys geschlichen. Sei’s drum. Mary Gaitskills Buch ist es wert, wiederentdeckt zu werden.

Der Film „Secretary“ übrigens endet anders als die Kurzgeschichte; die Sekretärin und der Rechtsanwalt finden schließlich zusammen und heiraten. Berichten zufolge mochte Mary Gaitskill diese „Pretty Woman“-Version ihrer Story nicht. Kein Wunder: Dermaßen plump wäre sie mit ihren Figuren niemals umgegangen.

Mary Gaitskill – Bad Behavior. Schlechter Umgang
Aus dem Englischen von Nikolaus Hansen
Blumenbar, Berlin
Februar 2020, 256 Seiten


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