Like a cosmic boy.
Zunächst leuchten meine Augen wie funkelnde Sterne, weil ich gern auf Spuren von Haruki Murakami stoße. Jedes Mal regt sich etwas in mir, ein Stein fällt herunter und mein Atem geht schneller. So treffe ich also auf Lazyboy, ein ziemlich schräger Vogel. Er sitzt im Wartezimmer einer Arztpraxis und zieht neugierige Blicke auf sich, als er von der Sprechstundenhilfe mit „Herr Lazyboy“ aufgerufen wird. Nein, das ist kein April-Scherz, sondern Wirklichkeit. Lazyboy ist freier Musikjournalist und hat sich seinen Künstlernamen aus der Rapperzeit mitgenommen. Lazyboy fand den Namen einfach zu cool, um ihn abzulegen und hat ihn sogar für 40 € in seinen Pass aufnehmen lassen. Komischer Name, schräger Typ. Mag ich. Weiter im Text. Da sitzt er nun im Sprechzimmer des Arztes und klagt sein Leid. Ihm passieren neuerdings so merkwürdige Dinge. Er leide unter Blackouts, konkreter drückt er das so aus:
„Gerade befinde ich mich noch an einem Ort, irgendeinem Ort, und schwupp, schon komme ich plötzlich an einem völlig anderen zu mir, ohne dass ich Erinnerungen hätte, den Weg dorthin zurückgelegt zu haben.“
Okay, denke ich und schaue zum Arzt. Der bleibt ein wenig ratlos zurück, fragt Lazyboy nach besonderem Stressaufkommen, Drogenkonsum – eben das, was Ärzte in solchen Fällen abklopfen. Wirklich weiter kommen Patient und Arzt leider nicht, außer, dass Lazyboy die Adresse einer Psychologin erhält. Nun ist er also wieder auf sich allein gestellt, erlebt weiterhin zahlreiche Blackouts, die ihn bei seiner Freundin auch in Erklärungsnot bringen und Zeit rauben. So landet er in an den unterschiedlichsten Orten: in der Schmetterlingsfarm, in einem Parkhaus am Stadtrand, in Würzburg, in Amsterdam oder auf der Schwäbischen Alb. Eines Tages begegnet Lazyboy der 13-jährigen Daphne, die solche Reisen kennt. Sie hat im Keller einen Schrank mit einer Reisekammer. Von dort gelangt sie an den Ort, den sie sich vorstellt. Das will Lazyboy natürlich mit eigenen Augen sehen. So steigt er einige Tage später auch in den Schrank und landet in Bleek, jene Stadt, die vorn im Buchdeckel aufgezeichnet ist. Es geht mysteriöser weiter, denn Lazyboy wird dort bereits erwartet.
Es ist zu komisch, rätselhaft, überirdisch, was Lazyboy erlebt und häufig frage ich mich beim Lesen: Wo führt das nur hin? Keine Bange, die suspekte Auflösung folgt am Ende, vorher überrascht Michael Weins seine Leser mit fantastischen Elementen. „Lazyboy“ hätte eins meiner liebsten Bücher 2011 werden können. Wären da nicht seltsame Dinge gewesen, die mich an etwas Vertrautes erinnert und damit kosmische Überraschungsmomente entzaubert hätten. Ich mag Zauberei sehr, kennengelernt habe ich sie bei Haruki Murakami. Mit „Lazyboy“ konnte ich sie erneut erleben, aber es fühlte sich nicht mehr einzigartig an.
So lernt der Ich-Erzähler in „Mister Aufziehvogel“ bei der Suche nach seinem verschwundenen Kater ebenfalls ein jüngeres Mädchen kennen. Oder das bekannte Brunnenmotiv aus dem gleichen Roman, es taucht bei „Lazyboy“ ebenfalls auf: Lazyboy sitzt in einer Sequenz im Brunnen und erlebt so etwas wie eine Bewusstseinserweiterung, indem er mit seinen Gedanken an einem anderen Ort auftaucht und alles genau miterlebt.
Wenn ich all das wegstreiche oder Haruki Murakami für einen Moment vergesse, leuchte ich wie ein Stern, denn „Lazyboy“ ist ein ungewöhnlicher Roman für alle, die es lieben, wenn der Alltag ein bisschen kosmisch ist. Und natürlich wäre da noch die Hauptperson selbst, Lazyboy. Michael Weins hat ihm eine besonders feine Mischung aus Witz und Melancholie in den Mund gelegt. Als verträumter Alltagsheld schlendert Lazyboy mit einer entspannten Lässigkeit durchs Leben. Dabei verwandelt er sich gern in den Wind und pustet die Verantwortung von sich. Mit seinen 35 Jahren ist Lazyboy immer noch mehr Junge als Mann und hat durch seine Art etwas verrücktes Liebenswertes. Das macht die Figur so einmalig wie das Buch, das ich trotz einiger Parallelen zu Haruki Murakami sehr ins Herz geschlossen habe.
Michael Weins: Lazyboy. mairisch 2011, 336 Seiten, 18,90 €.