»Unser Leben zu vergessen ist das Beste, was wir zustande bringen«
Knockemstiff, dieser seltsam harte Name eines gottverlassenen Kaffs irgendwo in Ohio, ist gerade in aller Munde: Das Feuilleton, die Buchhändler, die Leser – alle sind sie voller Lob für Donald Ray Pollocks gleichnamigen Erzählband von 2008, der soeben in deutscher Übersetzung im Liebeskind Verlag erschienen ist. Zu Recht, denn die achtzehn Storys in Knockemstiff kommen mit einer Wucht daher, dass sie einen umhauen und man allein von der Lektüre so manche Blessuren davonträgt. Und die sind noch harmlos im Vergleich zu dem, was den Protagonisten widerfährt. Ein Blick auf den ersten Satz genügt, um zu wissen, worauf man sich gefasst machen muss: »Als ich sieben war, zeigte mir mein Vater in einer Augustnacht beim Torch-Drive-in, wie man einem Mann so richtig wehtut. Das war das Einzige, was er wirklich beherrschte«.
Schmerzhafte Sätze sind das, sie zu lesen ist wie Rasierklingen zu schlucken, man wird innerlich zerschnitten, im Mund der Geschmack von Blut. Nicht nur die einzelnen Sätze, sondern die Geschichten als Ganzes stellen das mit dem Leser an, es sind Geschichten voller Gewalt in einer erbarmungslosen Welt –Trost findet man kaum in ihnen, stattdessen Wut, Resignation, Wehmut. Sämtliche Erzählungen kreisen um den Ort Knockemstiff, nur selten gehen sie über die »Senke«, in der das Kaff liegt, hinaus – und wenn doch, dann werden die damit verknüpften Hoffnungen nicht erfüllt, diejenigen, die rauskommen, kehren mindestens genauso gebrochen zurück. Die meisten aber schaffen es nicht einmal weg – weil ihnen die Mittel fehlen oder weil sie nicht wissen, wohin, vor allem aber weil sie sich fürchten.
Mein Alter bekam einen Anfall, als ich ihm sagte, ich würde der Einberufung nicht Folge leisten, und spuckte mir alle möglichen Schimpfwörter ins Gesicht, so als sei ich nur ein Haufen Dreck. »Jake, du verdammtes Stück Hühnerschiss, wenn du wegläufst, kann ich hier niemandem mehr in die Augen schauen«, sagte er; ich ging in dieser Nacht trotzdem weg. […] verdammt, wie hätte ich meinem Alten denn sagen sollen, dass ich nicht so sehr Angst vor den Kämpfen hatte, davor, wie die anderen Jungs eingezogen zu werden und mich abknallen zu lassen, sondern davor, die Senke zu verlassen?
Knockemstiff ist wie ein klebriger Fliegenfänger, seine Bewohner sitzen hier fest und verrecken langsam. Dabei sind die meisten Protagonisten ziemlich jung, Kinder und Jugendliche, man sollte meinen, sie hätten noch Erwartungen ans Leben. Aber so ist es nicht, und wie sollte es auch so sein, wenn sie von klein auf mit Hass und Gewalt konfrontiert werden? Die Väter geben ihren Frust an ihre Söhne weiter, meist mittels Faustschlägen, die Mütter (wie sämtliche Frauen in diesen Storys) sind abwesend, verängstigt, verrückt oder Schlampen. Heraus kommen Typen ohne Perspektive und ohne Illusionen, die Leere in sich füllen sie mit Drogen und Alkohol. Sonst ist da nichts, an dem sie sich festhalten können, keine Arbeit, kein Mensch, der ihnen nahesteht, kein Glaube an irgendetwas. Selbst die Träume sind bloß noch verschlissene, gehaltlose Konstrukte, die schon längst keine Linderung mehr versprechen. »[U]nser Leben zu vergessen ist das Beste, was wir zustande bringen.«
Der neunzehnjährige Todd erbt zweitausend Dollar, doch statt die Chance zu ergreifen und diesem »Höllenloch« zu entfliehen, zieht er in eine Bruchbude, dröhnt sich Tag für Tag zu, um schließlich von einem vermeintlichen Freund zusammengeschlagen und bestohlen zu werden. Ein Bodybuilder pumpt seinen Sohn mit Stereoiden voll, bis der bei einer Show stirbt, stellt sich daraufhin bei -38°C nackt auf die Straße und führt seine Posen aus, um den Schmerz aus sich zu treiben: »Ein weißes Licht explodierte in einem Kopf, und mein Körper zersprang in tausend winzige Stücke. Dann wehte ich als schmutzige Schneeflocken die graue, leere Straße entlang«. In der titelgebenden Story – die zärtlichste im ganzen Buch – wird der Tankstellenwart Hank von einer kalifornischen Fotografin belagert, die mit ihrem Mann die USA durchquert auf der Suche nach Elendsorten wie diesem; es ist der Tag, an dem Hanks große Liebe mit ihrem Mann aus Knockemstiff verschwindet – was ihm von ihr bleibt, ist die Aussicht auf ein Hochglanzfoto.
In der letzten Geschichte begegnen wir Bobby wieder, der als Kind mit ansehen musste, wie sein Vater einen Mann zu Brei schlug. Er ist inzwischen erwachsen und trockener Alkoholiker, sein alter Herr immer noch derselbe streitsüchtige Dreckskerl wie damals, nur dass der Körper nicht mehr mitspielt. »Bei meinem Vater war alles immer nur Kampf gewesen, und mir wurde traurig bewusst, dass wir uns wohl nicht mehr richtig kennenlernen würden, bevor er starb. Zum ersten Mal, seit ich trocken war, lechzte ich nach einem Drink.« Und wie Bobby geistern auch andere Figuren durch mehrere Storys; die, die eben noch Kinder waren, treffen wir ein paar Seiten und ein paar Jahre oder Jahrzehnte später als kaputte Erwachsene wieder. Indem Pollock die Geschichten auf diese Weise miteinander verwebt, schreibt er einen Roman von Knockemstiff, einen verstörenden Roman, der für niemanden ein Happy End bereithält. Höchstens für den Leser, der sich glücklich schätzen darf, dass es ihm nicht halb so dreckig geht – und dass es Literatur wie diese gibt.
Donald Ray Pollock: Knockemstiff. Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg. Liebeskind 2013, 256 Seiten, 18,90 €.
Die Rezension ist zuerst auf SchöneSeiten erschienen.
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