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Guy de Maupassant & Jim Avignon (Ill.) : Stark wie der Tod

Ein Klassiker, neu ins Bild gesetzt.

Was passiert, wenn man einen Klassiker in ein neues Gewand steckt? Im Fall von Stark wie der Tod von Guy de Maupassant etwas ganz Besonderes. Der Berliner Künstler Jim Avignon hat ein Buch aus dem vorletzten Jahrhundert im Stile des 21. Jahrhunderts kongenial in Szene gesetzt. Herausgekommen ist ein literarisches Kunstwerk, das in der Edition Büchergilde anlässlich des 120. Todestages von Guy de Maupassant in vergangenen Jahr erschienen ist.

Ehrlich gesagt, habe ich mich ein bisschen vor dem Werk gefürchtet. Auch der Berliner Künstler hatte vorm Lesen so seine Gedanken. Er stellte sich den Autor des 19. Jahrhunderts „voller blumiger Phrasen vor, bedeutungsschwer und opulent, ein schreibendes Äquivalent zur Salonmalerei dieser Zeit, dunkel, umständlich, verschwurbelt“ vor. Aber nichts dergleichen! Sowohl Jim Avignon als auch mich konnte dieses 1889 erschienene Werk in seinen Bann ziehen und alle Befürchtungen wegradieren. Im Mittelpunkt des Romans steht der Salonmaler Olivier Bertin. Der überzeugte Junggeselle hat eine Affäre mit der verheirateten Gräfin Anne de Guilleroy. Was einst als verführerische Liaison begann, hat sich im Laufe der Jahre zu einer innigen Beziehung entwickelt. Doch die wird nun auf eine harte Probe gestellt, als Annes 18jährige Tochter nach Hause zurückkehrt, damit sie verheiratet werden kann. Was die ganze Sache so verzwickt macht: Annette ist das jüngere Ebenbild ihrer Mutter und reißt Olivier aus seinem sicheren Hafen. Schon bald ist er vollkommen hingerissen. Und nicht nur das setzt den Maler zu, denn Olivier sehnt sich zum ersten Mal nach einer eigenen Familie und wird mit dem Alter konfrontiert. Auch Anne muss sich mit ihrer aufgeblühten Tochter und deren Reize auseinandersetzen. Annette verzaubert nicht nur Olivier, sondern auch die anderen Menschen um sie herum. So wird sich Anne der eigenen Vergänglichkeit bewusst und sieht, dass der Reiz der eigenen jugendlichen Schönheit verblasst ist. Wie ein Schwan ohne Federn schwimmt sie über den Teich des eigenen Lebens und verliert sich zunehmend in ihren Schmerzen. Während die beiden Liebenden immer mehr in sich zusammenfallen, blüht Annette auf und sprudelt wie eine frisch entsprungene Quelle der geplanten Hochzeit mit dem Marquis de Farandal entgegen.

© Bilder (3): Jim Avignon/Edition Büchergilde

Guy de Maupassant hat ein psychologisches, mediatives und gefühlvolles Werk geschaffen, das eine hypnotisierende Wirkung verströmt. Einmal angefangen, kann ich mich nicht mehr aus dem Buch lösen. Zu eindringlich sind die Themen, mit denen sich der Autor in seinem Roman auseinandersetzt. Es geht um Freundschaft, Kunst, aber auch um die Vergänglichkeit von Schönheit, Liebe und Begierde. Sie sterben niemals aus, daher liest sich der Klassiker nach wie vor brandaktuell. Eine Vielzahl an erkenntnisreichen Sätzen erfrischt den Geist und setzt die eigene Reflektion wie ein Pendel in Bewegung. Guy de Maupassant wechselt die Ebenen, so dass der Leser in den Köpfen aller Beteiligten sitzt. Anne und Olivier gehen mir besonders nah. Wie schwere Gewichte erdrücken sie alles Leichte und die übermütige Lebenslust. Die beiden suhlen sich zunehmend in ihrem Schmerz, klammern sich an die Dunkelheit ihrer Herzen und gelangen einfach nicht mehr aus dem Tal der Tränen – bis es zur großen Tragödie kommt. Guy de Maupassant führt direkt hinein in das Leben großer Egozentriker, die ihre Umwelt fast vergessen, so eingekeilt hocken sie in ihren finsteren Gedanken und verschließen erschöpft die Augen.

Obwohl sich die Illustrationen von Jim Avignon farblich an die melancholische Stimmung des Buches anlehnen, heben sie sich wie kleine Sonnen vom Text ab, auch deshalb, weil jedes der 26 Bilder ein eigenes Kunstwerk ist und in seiner Schönheit erstrahlt. Ein Kunstwerk betrachtet man für gewöhnlich ja nicht nur mit einem kurzen Augenaufschlag, sondern mit großer Entdeckerfreude. Die habe ich hier im großen Maße. Es sind vor allem die Details, in denen es viel zu bestaunen gibt, wie beispielsweise die sich verändernden Augenfarben oder das Wechselspiel zwischen Dunkelheit und Helligkeit. Oft leuchten die Figuren, während der Hintergrund in dunklen Tönen schattengleich hervorlugt. Vereinzelt setzen sich kleine Bleistiftzeichnungen in die Buchstabenlandschaft und sind trotz ihrer Miniatur genauso ausdruckstark wie die großen farbigen Abbildungen. Ich bin erstaunt, wie viel Gefühl selbst aus einer dezenten Bleistiftzeichnung entspringen kann. Mit seinen klaren, expressionistischen Darstellungen gelingt es dem Künstler, die jeweilige Stimmung haargenau zu reflektieren. Er erweist sich dabei als Seelenspiegel der Protagonisten und als treffsicherer Beobachter in einzelnen Szenen. Der Berliner Künstler hat sich intensiv mit der Zeit auseinandergesetzt, das sehe ich in jedem Bild. Aber die Spurensuche war gar nicht so einfach, da die Salonmaler wenig über ihre Zeit festhielten. Fündig geworden ist Avignon bei Manets Lebenspartnerin Berthe Morisot, „aus deren Bildern ich viel lernen konnte über Kleidung, Schmuck und Frisuren der Zeit.“

Für mich ist Stark wie der Tod ein großartiger Schatz. Die Komposition aus Text und Bildern ist nicht nur ein besonderes Lesevergnügen, es schenkt der Geschichte noch mehr Tiefe und Intensität. Stellenweise hatte ich nicht das Gefühl, einfach nur ein Buch zu lesen, sondern selbst Teil der Geschichte zu sein, weil sich Grenzen auflösen und das illustrierte Erzählte sich so nah heranzoomt.

Zum krönenden Abschluss der Lektüre habe ich den Illustrator bei der Premiere dieses Schmuckstücks in den Räumen von Kirchner Kommunikation kennengelernt. Seitdem schmückt eine wunderschöne Signatur meinen Band.

Guy de Maupassant & Jim Avignon (Ill.): Stark wie der Tod. Edition Büchergilde 2013, 295 Seiten, 24,95 €.