Später, also, wenn ich richtig erwachsen bin, da will ich mal ein Haus haben und mit Julia zusammenleben. Ein kleines Haus, das würde reichen. Einen Garten soll es haben und eine Terrasse. Vielleicht würde Julia im Sommer Tomaten anbauen.
Jede Generation sucht nach dem, was sie ausmacht. Das passiert zunächst ganz unbewusst, irgendwann spürt man aber, was den Unterschied macht. Wer heute auf die 30 zugeht, der kann schon nicht mehr mit den auf die 40 zugehenden Freunden mithalten, wenn die von ihrer Jugend – ohne Computer, dafür mit Raider, nicht Twix – schwärmen. Mitleidig schaut man aber auch auf die frischen Abiturienten, die mit den digitalen Medien groß geworden sind und nie eigene Hörspiele auf einem Kassettenrekorder aufgenommen haben. Aber was eint diese eine Generation? In den aktuellen Debatten wächst das Bild von jungen Menschen die auf der Suche nach einem neuen Lebensstil sind. Für die der Job nicht alles bedeutet, sondern der Beruf vielmehr in das Gesamtbild eines guten Lebens passen muss. Familie steht ganz oben auf der Prioritätenliste, aber auch Selbstverwirklichung und das Genießen des einfachen Lebens. Passt das zusammen? Haben wir die Möglichkeit alles ganz anders zu machen als unsere Mütter und Väter?
Dorian Steinhoff wurde in demselben Jahr geboren wie ich – 1985. Auch er hat Philosophie und Germanistik studiert. Wir gehören derselben Generation an und das lese ich auch in seinem Erzählband „Das Licht der Flammen in unseren Gesichtern“. In seinen Erzählungen spiegelt er ein Bild unserer Generation, die bereits über den Hype des „Mir steht die ganze Welt offen“ hinweg ist und trotzdem positiv in die Zukunft schaut. Aufgeklärt sind wird. Wissen uns zu verkaufen. Wissen auch, dass wir die Generation sind, die einen Schnittpunkt bildet – der Walkman und der Gameboy versetzt und nicht in Zuckungen, aber auch nicht der Mac Air. Wir balancieren zwischen den anerzogenen Werten unserer Jugend und einer medienbezogenen, globalisierten Gegenwart.
Steinhoffs Geschichten spiegeln diese Schnittstelle sehr schön wider und zeigen, wie zerbrechlich das selbstgeschaffene Bild ist, das wir heute mühsam über soziale Medien und den stetigen Drang zur Selbstoptimierung aufbauen. Nur ein paar Worte, eine Handlung – schon stehen wir mit beiden Beinen wieder da, wo wir herkommen. Die Geschichten zeigen aber auch das Dilemma unserer Generation auf. Wir möchten etwas Neues beginnen, frei von den Zwängen und Systemen unserer Eltern, die doch nur in die Sackgasse führen. Und doch sind wir ja ein Produkt dieser Zeit und stehen mit einem Bein in der Vergangenheit – die ja nicht nur schlecht war.
Eine der Freundinnen postete die Todesnachricht öffentlich auf Michis Pinnwand. Ihr folgten Hunderte Beileidsbekundungen, Aufschreie, Gute-Reise-Wünsche, Trinksprüche. Bedauern.
Die sozialen Medien haben in uns den Drang zur Selbstinszenierung geweckt. Niemals war es einfacher sich das perfekte Ich zu schaffen. Aber was passiert, wenn einer unserer 500 Facebook-Freunde stirbt? Dann fällt uns auf, dass wir diesen Menschen kaum kannten. Auf den Seiten von verstorbenen Usern liest man dann Posts zum Fremdschämen, die deutlich machen, dass die Globalisierung zwar die Möglichkeiten erweitern, in unserem Herzen und in unserem Leben im Hier und Jetzt aber nur ein beschränkter Platz ist. In Steinhoffs Kurzgeschichte „Wasser“ stirbt ein junger Mann, von dem zum Schluss nichts weiter bleibt als sein iPod, der begraben wird. Ein starkes Symbol. Solch simple Sachen wie der Tod reißen uns doch immer wieder aus unserer selbstgemachten Welt. Aber auch ein neues Leben.
Nur während unserer Spaziergänge oder wenn ich abends noch wach im Bett lag, dachte ich daran, wie es wäre, jetzt einen Kinderwagen zu schieben oder neben Annes noch einen anderen Schlafatem im Zimmer zu hören. Aber ich sprach diese Gedanken nicht aus.
„Wenn es sein muss“ erzählt von einer anstehenden Abtreibung. Das Paar ist jung, sie sind verliebt, studieren – aber ein Kind passt nicht in den Plan. Bei solchen existenziellen Fragen stößt auch unsere Generation an ihre Grenzen. So frei sind wir dann doch nicht. So wagemutig auch nicht. Lieber erst studieren und dann etwas aufbauen. Und schon klingen und reden wir wie unsere Eltern. Verantwortung übernehmen, Dinge kritisch zu hinterdenken, sich aus der Masse erheben und eigene Entscheidungen zu treffen – auf das Bauchgefühl und nicht den Online-Ratgeber hören – das ist in dieser manchmal überbordenden Informationsgesellschaft mit ihrer Flut an Statistiken, Top10-Listen und To Do-Listen schwer. Im Einzelfall sind wir auf uns allein gestellt und dann kommt es darauf an, selbst zu entscheiden und in der Gegenwart das zu tun, was man sich für die eigene Zukunft wünscht.
Und vielleicht ist das die Quintessenz, die Dorian Steinhoff, ich und die vielen anderen 30er täglich einatmen: Wir haben viele Wege unser Leben glücklich zu leben – aber wir müssen uns an einigen Kreuzungen für den einen Pfad entscheiden, der unseren Plan vervollständigt.
Dorian Steinhoff: Das Licht der Flammen in unseren Gesichtern. mairisch Verlag 2013, 144 Seiten, 16,90 €. Auch als eBook für 9,99 € bei ocelot.de erhältlich.
Herzlichen Dank an das Frollein Wortstark für die Gastrezension!