Georg Trakl? Der Name ist mir nicht ganz unbekannt, vor allem in Verbindung mit dem Leipziger Kurt Wolff Verlag.
Der renommierte Biograf Decker nähert sich dem Dichter immer wieder mit Fragen, die er mit wissenschaftlicher Tiefe versucht zu beantworten. Zuweilen empfinde ich aber seinen Sprachstil als unpassend. Wenn er zum Beispiel Trakl als „leidlich trainierten Athlet“ beschreibt, sein Training aber nur aus „Weintrinken, Drogenessen und Bordellbesuchen“ besteht und Decker am Ende lakonisch konstatiert „Das muss reichen für sein untergangssüchtiges Werk.“ Des Weiteren fehlt mir des Öfteren die Distanz zum „untersuchten Subjekt“. Fragt sich wie viel Distanz ein Biograf überhaupt schaffen kann.
Nach wie vor weiß man sehr wenig über den Lyriker Trakl. Die Familie hat alles daran gesetzt den Nachlass so gut wie möglich verschwinden zu lassen. Wurde doch an zu vielen Tabus gerüttelt. Zu nennen ist sein exzessiver Drogenkonsum, das inzestuöse Verhältnis zu seiner Schwester Grete, die Selbstmordgedanken und sein frei gewählter Tod.
Im Jahr vor seinem Ende, da ist er [Georg Trakl] sechsundzwanzig, bricht er auf zur ersten und einzig großen Reise seines Lebens. Sie soll ihm dem potenziellen Selbstmörder, Lust aufs Weiterleben machen. Ausgerechnet nach Venedig, in die Stadt des Todes!
Man bekommt einfach das Gefühl nicht los, dass das Negative, Zerstörerische sein ganzes Leben ausmachte. Woher schöpfte er die Inspiration für seine Poesie? Aus dem täglichen Drogenrausch und der verbotenen Liebe zu Grete? Was ist das Besondere an seinen „dunklen Gedichten voll heller Wortwachheit, gearbeitet in seismographischer Präzision“?
Trakl verwandelt schreibend Fremdes, das er aufnimmt, in Eigenes mittels einer Technik, die in der modernen Dichtung des 20. Jahrhunderts – neben Collage und Montage – noch eine besondere Wirkung zur Steigerung der visionären Kraft erzielen wird: die Übermalung. Und so, wie sie Trakl handhabt, verbinden sich darin auf einmalige Weise Elemente des Barock mit klassischen Motiven und denen der französischen Moderne. […] alles hat seine Wurzeln auch im Vergangenen, doch im Heute treiben aus dieser Wurzel eben Blüten, die mehr mit dem Morgen als mit dem Gestern zu tun haben.
Die Beziehung zur kühlen, distanzierten Mutter steigerte sich in einen Mutterhass, der auch immer ein Selbsthass war. Eine Art Ersatzmutter fand er in der französischen Gouvernante, später im Bordell. Die Schule brach er vorzeitig ab und begann ein Praktikum in den Kellergewölben einer Apotheke. Dort bekam er auch den Zugang zu den so lebenswichtigen Drogen. Nach einem Pharmaziestudium und einem einjährigen freiwilligen Militärdienst bei einer Sanitätsabteilung in Wien nahm er als Militärapotheker am Ersten Weltkrieg teil. Ein Lebensabschnitt, der ihn schwer traumatisierte: Depressionen folgten. Doch trotz des körperlichen Verfalls hatte er erste literarische Erfolge im schon oben erwähnten Kurt Wolff Verlag.
In den Nachmittag geflüstert
Sonne, herbstlich dünn und zag,
Und das Obst fällt von den Bäumen.
Stille wohnt in blauen Räumen
Einen langen Nachmittag.
Sterbeklänge von Metall;
Und ein weißes Tier bricht nieder.
Brauner Mädchen rauhe Lieder
Sind verweht im Blätterfall.
Stirne Gottes Farben träumt,
Spürt des Wahnsinns sanfte Flügel.
Schatten drehen sich am Hügel
Von Verwesung schwarz umsäumt.
Dämmerung voll Ruh und Wein;
Traurige Gitarren rinnen.
Und zur milden Lampe drinnen
Kehrst du wie im Traume ein.
Der Hardcover-Band überzeugt nicht nur durch inhaltliche Qualität, sondern auch aufgrund der wunderschönen Typografie (Seitenzahlen, Vorsatzpapier und die Initialen der Kapitel sind in einem warmen Rotton gehalten, das auf dem Cover ebenfalls aufgegriffen wird). In der Reihe „Leben in Bildern“ lassen sich auch sehr umstrittene und polarisierende Persönlichkeiten finden. So widmet sich ein Band dem Lyriker Gottfried Benn und ein weiterer Knut Hamsum. Aber auch Alfred Döblin und Simone de Beauvoir sind vertreten.
Freunde der anspruchsvollen Biografie mit Hang zur Fotografie sollten ein Auge auf diese besondere Reihe werfen.