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Fanny Britt und Isabelle Arsenault: Jane, der Fuchs & ich

»Das Mädchen und der Fuchs«

Es gibt Bücher, die sind vom ersten Augenblick an unwiderstehlich. Sie sind von einer ganz besonderen Aura umgeben, der man sich nicht entziehen kann. „Jane, der Fuchs & ich“ von Fanny Britt und Isabelle Arsenault ist eines dieser wunderbaren Bücher. Schon das Cover verrät, dass es sich hier um einen echten bibliophilen Schatz handeln muss. Als ich das Buch aufschlug, strömte ein betörender Papiergeruch in meine Nase, den ich immer wieder schnuppern musste, als wäre es edles Parfum. Was danach folgte, ist eine eindrucksvolle Reise in ein Land, das ich bis dato noch nicht betreten hatte. Ich hielt meine erste Graphic Novel in den Händen! Und dachte, einen besseren Einstieg kann es nicht geben.

Erschienen ist das Buch im Berliner Reprodukt Verlag, ein Indie-Verlag, der mit viel Herzblut hochwertige Comics und Graphic Novels publiziert. Angefangen vom Buchumschlag über das Papier bis hin zum Lettering stimmt jedes Detail, wie Zahnräder greift alles perfekt und liebevoll ineinander. Kein Wunder also, dass mich „Jane, der Fuchs & ich“ von Anfang gefangen genommen hat. Fanny Britt und Isabelle Arsenault erzählen in exzellenter Teamarbeit eine traurig-schöne und fantasievolle Geschichte. Hélène ist ein ganz normales Mädchen, das mich an ihrem Leben teilhaben lässt. Und das ist oft finster wie ein Gespensterhaus bei Nacht.

© Illustrationen: Reprodukt / Isabelle Arsenault (4)

Das Mädchen wird von ihren Schulkameradinnen gemobbt, ohne dass es weiß, warum. Sie schreiben furchtbar hässliche Dinge an die Toilettentür wie „Hélène wiegt hundertzehn! Und stinkt nach Schweiss.“ Autsch. Das ist fies und tiefgrau, genauso sehen die Bilder aus. Feine Bleistiftzeichnungen zeigen grausame, kindliche Handlungen, die unter die Haut gehen. Vor solchen Monstern möchte ich am liebsten Reißaus nehmen. Und das macht Hélène auch. Auf dem Heimweg holt sie im Bus ihr Lieblingsbuch „Jane Eyre“ von Charlotte Brontë aus der Schultasche hervor und taucht in ihre eigene Welt ab. Während sie uns an dieser Auszeit teilhaben lässt, spüre ich das Glück bis in meine Haarspitzen. Diese Parallelwelt hebt sich bildlich klar von der bösen Welt um sie herum ab. Auf diesen Seiten begrüßen mich warme, freundliche Farben, in die ich erleichtert und staunend falle. Hélènes Schrift verwandelt sich zu einer kindlichen Schönschrift. Ich teile Hélènes Begeisterung, möchte mich zu ihr setzen und ihr sagen, dass ich das Buch genauso liebe wie sie und werde zu Hélènes stillen Verbündeten.

Stille ist ein tragendes Element in diesem Buch. Hélène hätte allen Grund zum Schreien, aber sie macht den Schmerz und die Demütigungen mit sich selbst aus. Sie flüchtet in die wunderbare Welt der Fantasie, die einer Umarmung gleichkommt und unglaublich anziehend ist. Trotz der Grausamkeit tauchen zahlreiche Momente auf, bei denen mir vor Staunen die Luft im Hals stecken bleibt. Hélène trifft auf einer Klassenfahrt einen Fuchs – ein magischer Moment! Wie aus dem Nichts taucht der tierische Gast am Waldesrand auf und erobert Hélènes Herz.

Mich berührt diese Begegnung, weil sie wie eine Sternschnuppe hervorschimmert. Aus Hélènes großen, strahlenden Augen spricht die Liebe, die Liebe zu einem anderen Wesen und die Gewissheit endlich jemanden gefunden zu haben, der sie nimmt, wie sie ist. „Sein Blick ist so sanft, kaum auszuhalten. Wenn mich ein Mensch so ansehen würde, dem würde ich mein Herz schenken, sofort.“ Sie lockt ihn zu sich und er bewegt sich vorsichtig auf sie zu, kommt ihr immer näher, bis eine Schulkameradin schreiend ruft: „Sag mal, bist du bescheuert? Weißt du denn nicht, dass ein Fuchs, der so nahe kommt, Tollwut hat?!“ Nein, das wusste sie nicht, und natürlich wagt sich nur ein tollwütiger Fuchs an die übergewichtige Hélène heran, denkt sie sich, sackt zusammen und kehrt traurig ins Außenseiterzelt zurück. Doch dort erwartet sie kurze Zeit später eine Überraschung – Géraldine heißt das Geschenk des Himmels. Auch sie ist eine Außenseiterin und bringt wie ein heller Sonnenschein Licht ins Dunkel. Géraldine nimmt Hélène an die Hand und will ihr die Erdbeeren im Wald zeigen.

Behutsam und eindringlich erzählen die beiden kanadischen Künstlerinnen davon, wie es ist, wenn man ausgeschlossen wird. Die Zeichnungen spiegeln das Innenleben der Protagonistin wieder, vor allem das Wechselspiel zwischen den grauen, feinen Illustrationen und den farblichen Elementen erhellen meine Augen. Genauso wie Hélènes Gedanken, die von tieftraurigen und rebellisch frechen bis zu glücklichen Tönen am Ende wechseln.

Fanny Britt und Isabelle Arsenault haben sich mit viel Fingerspitzengefühl mit dem Mobbing und dem Außenseiter-Dasein auseinandergesetzt. Obwohl die bewegende Geschichte sehr zu Herzen geht, schenkt sie mir zauberhafte Augenblicke und am Ende sogar die wunderschöne Hoffnung, dass alles gut werden kann. Diese Graphic Novel ist zu Recht mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden und es ist einfach großartig, dass uns der Reprodukt Verlag dieses feine Werk in deutscher Sprache auf so wunderschöne Weise zugänglich gemacht hat. Ein persönliches Dankeschön geht an dieser Stelle an Maria-Christina Piwowarski, die mir dieses Werk empfohlen hat.

Fanny Britt, Isabelle Arsenault: Jane, der Fuchs und ich. Aus dem Französischen von Ina Pfitzner. Handlettering von Michael Hau. Reprodukt, März 2014, 104 Seiten, 29,- €. Jetzt portofrei bei ocelot.de bestellen.

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