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Kai Weyand: Applaus für Bronikowski

Frühling liegt in der Luft. Überall draußen spürt man ihn. Da sind die springenden Knospen an den Bäumen, die Krokus-Teppiche auf den Friedhöfen und in den Vorgärten. Man spürt ihn auch an den zurückkehrenden Wildgänsen am Himmel …

Der achtzehnte März brachte die erste warme Frühlingsluft des Jahres. NC wurde an diesem Tag einunddreißig, und außer der Gewissheit, dass sein Bruder anrufen würde, um ihm zu gratulieren, hatte er keine Vorstellung, was er sich von diesem Ereignis versprach.

Wie das so ist mit Geburtstagen – der eine feiert eine riesige Party, der andere gruselt sich vor dem einen Anruf pro Jahr, den er hasst. Doch bei NC ist es eben nicht nur dieser eine Tag. Sein ganzes bisheriges Leben ist eine endlose Kette solcher Tage. Und genauso wenig, wie er sich von diesem einen Tag erwartet, so hatte er dies am vorigen getan oder würde es für den folgenden Tag tun. Sein Name NC ist freiwillig gewählt und bedeutet No Canadian. Er hasst Kanada, denn als er 13 Jahre alt war, sind seine Eltern dorthin ausgewandert – ein Ereignis, welches schwer auf der Seele von NC lastet. Verbunden damit war außerdem, dass der volljährige große Bruder von dem Tag an das Sorgerecht für NC bekommen und ihn seitdem eigentlich nur genervt hat.

So tingelt NC herum zwischen Nebenjobs und Langeweile. Manchmal, wenn seine Wut übergroß wird, schmeißt er Eier aus dem Fenster an die gegenüberliegende Hauswand. Gern läuft er durch die Stadt und quatscht Leute an. So wie den alten Mann mit dem dreibeinigen Hund November.

Dann eröffnet sich ihm überraschend die Chance, bei einem Bestattungsunternehmen anzufangen. Jetzt ist alles anders. Täglich muss er mit dem Bus in seine Firma. Der Tag bekommt eine Struktur und NC einen neuen Blick auf den Tod. Manchmal eigenwillig, meist aber voller Gefühl kümmert er sich um die Verstorbenen und deren Hinterbliebene. Ein paar Mal waren seine Einfälle jedoch so absurd, dass ich kurz die Luft scharf einziehen musste und nur mit durchgedrücktem Rücken und hoch gezogenen Augenbrauen weiter lesen konnte.

Gut, dass ich mir einen so passenden Ort zum Lesen gewählt hatte. Auf meiner kleinen Friedhofsbank in der Nachmittagssonne fand ich schnell eine Relation zum Thema Tod. Klar, irgendwann muss jeder gehen, aber deshalb alles immer schwarz in schwarz zeigen? Warum sich dem Thema Tod nicht mal mit ein bißchen Farbe/Humor nähern. Auch Friedhöfe sind nicht nur Orte der Trauer und des Schmerzes. Sie schenken köstliche Stille, hier nisten seltene Vögel und Eichhörnchen hüpfen durchs Gebüsch. Mir gefiel, dass NC ein ganz ähnliches Bild von davon hat:

Nach der Arbeit ging NC spazieren. Er lief zum Friedhof, um sich dort auf eine Bank zu setzen und für eine Weile die Augen zu schließen. Der Friedhof war ein Ort, der ihn ruhig werden ließ, egal wie aufgeregt er war. NC glaubte schon, dass das mit den vielen Toten zusammenhing, die unter der Erde lagen. Wenn tausende Seelen Ruhe signalisieren, kann ein einzelnes Herz nicht dagegenhalten, ganz gleich, wie schnell es schlug. (S. 118)

Und so ergänzt und verändert sich mit dem Blick von NC auch mein eigener. Eine Tätigkeit als Bestatter wäre ganz sicher nicht meine erste Wahl, doch hält sie Einiges an Überraschung und Abwechslung bereit. Auch die Figur des NC überrascht. Selbst wenn er als Bestatter keinen typischen Weg geht, so ist er doch ein typischer junger Mann unserer Zeit. Jemand, der die Dinge hinterfragt. Der manchmal extrem empfindsam und dann wieder unerwartet radikal reagiert.

Einen verrückt schönen Roman hat der in Freiburg lebende Kai Weyand (geb. 1968) geschrieben. Ebenfalls im Wallstein Verlag von Weyand erschienen sind Am Dienstag stürzen die Neubauten ein. Erzählungen (2005) und Schiefer eröffnet spanisch (2009).

Wer jetzt neugierig auf den Wallstein-Verlag geworden ist, der darf sich auf den Sonntag freuen. Am 8. März, gibt es hier noch ein Interview.

Kai Weyand. Applaus für Bronikowski. Wallstein Verlag Göttingen 2015. 188 Seiten. 19,90 €