Ruth Landshoff-Yorck: Das Mädchen mit wenig PS.

ruth_landshoff_yorckZufälle können wunderbar sein, voller Zauberei und Glückseligkeit. Vor allem, wenn sie so bezaubernd wie diese Begebenheit daher kommen: Während mir mein Liebster die Tage aus einem Buch von Irmgard Keun vorliest, entzückt mich gleichzeitig Ruth Landshoff-Yorck, deren Todestag sich am heutigen 19. Januar zum fünfzigsten Mal jährt. Zu diesem Anlass hat der Berliner Aviva Verlag »Das Mädchen mit wenig PS« herausgebracht, das ich heute vorstellen möchte. Und euch so gleichsam an der Keun-Landshoff-Yorck-Zauberei teilhaben lasse.

Es ist diese jugendliche Leichtigkeit, die selbstbewusste Feder und der kecke Ton von Ruth-Landshoff-Yorck, der mich bereits im ersten Satz des titelgebenden Beitrags mit einem Augenzwinkern begrüßt und sehr an Irmgard Keun erinnert: »Ich finde, ein weibliches Auto muss appetitlich aussehen wie ein Baby.« Ich erahne, hier schreibt eine junge Frau, die stolz ihren Kopf erhebt und offenherzig mitteilt, was ihr einfällt. Genau das darf sie ja, nachdem Ruth Landshoff-Yorck auf einer Feier den langjährigen Chefredakteur der Berliner Illustrirten und der Dame kennenlernte. Hatte sie bis dato nur Liebesgedichte geschrieben, durfte sie fortan das schreiben, was sich Kurt Korff wünschte oder was ihr in den Sinn kam. »Danach dann schrieb ich, was mir einfiel oder was er mündlich bestellte, schickte es an ihn ins Haus Ullstein.« Bemerkenswert ist, dass Ruth Landshoff-Yorck, solange sie in Deutschland publizierte, niemals ein unveröffentlichtes Manuskript in der Schublade hatte. Eine Tatsache, die nicht nur mich erstaunt, sondern auch die Autorin selbst: »Und ich wusste nicht mal, dass das ein Ausnahmefall war.«

Eine junge Frau trifft einen wichtigen Mann und darf dann einfach drauflos schreiben? Zu einer Zeit, als der Journalismus eher eine männerdominierte Institution war? Da möchte ich schnell dazwischen schreiten und aufklären: Ruth Landshoff-Yorck war zum Zeitpunkt in der Berliner Boheme ein berühmtes Gesicht. Sie hatte sich als Schauspielerin einen Namen gemacht und u.a. in Friedrich Wilhelm Murnaus Film Nosferatu als Annie Harding mitgewirkt. Zudem war sie ein hübsches Wesen, das sich auch gern fotografieren ließ. Vorzugsweise mit Autos, eine ihrer Leidenschaften, denen sie sich mit großer Freude in einigen Beiträgen widmet.

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Foto aus: Der Adlerhorst, 1929

So fügte sich eins zum anderen und Ruth Landshoff-Yorck zählte alsbald zum »Kanon schreibender Frauen der Weimarer Republik« wie Walter Fähnders im Nachwort berichtet. Sie publizierte vor allem in der Ullstein-Presse, die zum damaligen Zeitpunkt für ihren Liberalismus bekannt war und als »Sprungbrett für weibliche Talente« galt. Zum Autorinnenstamm zählten neben Ruth Landshoff-Yorck u.a. Vicky Baum, Erika Mann, Nelly Sachs, Else Lasker-Schüler und Gabriele Tergit.

Das vorliegende Buch umfasst 50 Texte verschiedener Gattungen: Reportagen, Skizzen, Erzählungen und Anekdoten von modernen Mädchen. Sie sind ironisch, scharfsinnig, amüsant und äußerst entzückend. Vor allem das Wort »entzückend« fällt mir immer wieder aus dem Mund, sobald ich über die Texte der Autorin erzähle. Stets wandert dabei mein Blick zu Irmgard Keun. Sie haben einiges gemeinsam und werden sich wahrscheinlich niemals getroffen haben. Wie schade! Beide Frauen wurden in Berlin geboren, Ruth Landshoff-Yorck ein Jahr früher, 1904. Während Keuns Familie 1913 nach Köln zog, wuchs Ruth Landshoff-Yorck in einer wohlhabenden jüdischen Familie in Berlin auf. Sie interessierte sich – wie ihre Schwester im Geiste – zunächst für Schauspielerei. Um dann – wie Irmgard Keun – zum Schreiben zu finden. Tragischerweise mussten beide Frauen in der Nazizeit Deutschland verlassen und im Exil leben.

Mit dem Wort Exil verbinde ich schreckliche Gedanken, denen ich jedoch heute den Eintritt verwehre. Lassen wir viel mehr der Leichtigkeit weiterhin im Raum fliegen und erfreuen uns an Ruth Landshoff-Yorcks Texten, die so wundervoll, lebendige Gedanken versprühen: »Wir – das sind die jungen Leute, die außer Atem sein müssen, ehe sie zum Lesen kommen von Sonne, Luft, Bewegung und Freude am Leben. Wir, die wir aus dem unaufhörlich rotierenden Dasein herausgeschleudert werden in die Stille eines Buches wie in einen Schlaf, wir, die wir Gide lieben.« In Bücher für uns! tauche ich in die Welt begeisterter LeserInnen und finde allerhand Stellen, die mich als Bücherwurm glühen lassen.

Genauso gern durchkreuze ich Ruth Landshoff-Yorcks kluge, charmante »Ratschläge für junge Mädchen«, in denen es u.a. heißt. »Sei nett. Nicht nur zu jungen Männern, Hotelportiers und Eisenbahnschaffern, wo es einen Sinn hat, da du dadurch bequemer lebst, – sei nett auch ohne Grund aus Luxus, deinem Gesichtsausdruck zuliebe und sogar gegen Frauen.« Ein Ratschlag damals wie heute noch aktuell. Daher hat dieses Buch immer noch sehr zeitgemäße Züge. Ruth Landshoff-Yorck war eine genaue Beobachterin, ob in einem Berliner Restaurant, in dem sie die Gäste und deren Eigenheiten beschreibt oder in Paris und Venedig. Überall, wo Ruth-Landshoff-Yorck spannende Geschichten aufspürte, zückte sie ihr Notizbuch und notierte alles. Dabei entstanden Erzählungen in unterschiedlichen Formen, mal waren es Briefe, mal eine kurze Begebenheit, nur über eineinhalb Seiten lang, aber stets pointiert und voller Überraschung. So auch die Sommernovelle, in der sich zwei Frauen einen Sommerflirt teilen wollen, um dann festzustellen, dass das nicht geht und schließlich um den Mann Karten spielen.

Bis zur Emigration in den USA 1937, hielt sich Ruth Landshoff-Yorck ab 1933 überwiegend in Frankreich, Italien, Deutschland und der Schweiz auf. In den USA schrieb sie auf Englisch und bewegte sich so in einem zweisprachigen Zwiespalt: In der einen Sprache war sie nicht mehr ganz und der anderen nie ganz Zuhause. Trotzdem war sie erfolgreich als Publizistin, Übersetzerin und Theaterautorin tätig. Sie hinterlässt ein erstaunlich, vielseitiges Oeuvre, das ich beim Aviva Verlag zu meiner großen Freude entdeckt habe (wie auch den Hinweis des Herausgebers zur im Suhrkamp Verlag 2015 erschienene Biographie »Die vielen Leben der Ruth Landshoff-Yorck« von Thomas Blubacher). Und das ich in meiner Funktion als großes Mädchen allen anderen nur wärmstens empfehlen kann.

Ruth Landshoff-Yorck: Das Mädchen mit wenig PS. Feuilletons aus den Zwanziger Jahren. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Walter Fähnders. Aviva Verlag, August 2015, 224 Seiten, 18,90 €.

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