»Die Wirklichkeit wird immer unglaubwürdiger, merkwürdiger auf jeden Fall.«
Eine Sammlung von Miniaturen, ja, so könnte man es beschreiben: Momentaufnahmen, Beobachtungen, Gedanken. Da gibt es ein Ich, das erzählt, doch keine zusammenhängende Geschichte, die erzählt wird; man folgt dem Ich durch seine Tage und Nächte, durch sein Leben und seine Träume, ist dabei ein bisschen orientierungslos und verwundert, aber irgendwie auch entzückt. »Die Wirklichkeit wird immer unglaubwürdiger, merkwürdiger auf jeden Fall«, heißt es an einer Stelle: Die allermeisten Menschen mögen blind dafür sind, nicht aber der Erzähler, dessen Wahrnehmung und Einordnung der Dinge einen immer wieder ins Staunen versetzt.
Nicht viel geschieht in diesem Buch, der Schnee fällt, Menschen halten sich in Cafés auf, eine Taube geht vor einer Konditorei spazieren. Doch diese kleinen Begegnungen und Bewegungen lösen im Erzähler eine Fülle an Assoziationen aus und es entspinnen sich unzählige fantastische Geschichten. Ganz am Ende drückt er selbst es einmal so aus: »Meine Gedanken sind wie die Ausläuferranken einer Glyzinie, die im leeren Raum geduldig nach etwas tasten, woran sie sich festhalten, das sie umschlingen und (je nachdem) in Besitz nehmen können, das Gewächs ein Krückenwesen neben anderen.«
Im Vergleich zu Lechners Erzählungen ist die Dichtung des österreichischen Autors Xaver Bayer zwar leiser und subtiler, setzt weniger auf Pointen – ein Knistern eben, kein Rauschen. Allerdings ist sie mindestens genauso verblüffend, voller sonderbarer Einfälle und Bilder, die das Ungewöhnliche im Alltäglichen aufzeigen, den Zauber des Unscheinbaren. Nach der Lektüre erinnert man sich kaum an Einzelheiten, nur an eine Stimmung, an das Gefühl, die Welt in diesem Buch sei leicht verschoben oder aber man selbst ihr entrückt. Und das ist ein sehr schönes Gefühl.
Xaver Bayer: Geheimnisvolles Knistern aus dem Zauberreich. Jung und Jung, Salzburg 2014, 208 Seiten, 19,90 €.
Die Rezension ist zuerst auf SchöneSeiten erschienen.