Joost Zwagerman: Duell

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Faust versus Rothko

Mit seiner Novelle Duell beschenkt uns der niederländische Schriftsteller und Essayist Joost Zwagerman mit eine rasanten Satire auf den Kunstbetrieb. Es ist eine Geschichte voller Witz, Action, kluger Gedanken und einer gehörigen Portion Slapstick. Im Mittelpunkt steht die größte anzunehmende Katastrophe für einen Museumsdirektor. Eine Faust durchschlägt ein Gemälde im Wert von 30 Millionen Euro.

Er hatte noch nie eine Leinwand reißen hören. Ein lautes Knacken ertönte, wie von einem Ast, der entzweibricht – ein unerwartet schroffes Geräusch für eine so fragile Leinwand. (…) Er betrachtete die Farben. Sie zerfielen. Blau zerbröckelte in tausend Splitter, Rot wurde gespalten, Gelb brach auf, und natürlich zerriß mit den Farben die gesamte Leinwand.

Kein Banause oder Kunsthasser durchschlägt das Gemälde. Es ist niemand geringeres als der Museumsdirektor Jelmer Verhooff und das Bild Untitled No. 18 von Mark Rothko ist der größte Schatz in seinem Hollands Museum. Doch Untitled war verschwunden. Just vor dem Faustschlag hatte Verhooff den Rothko endlich wieder in seinen, genauer in den Besitz des Museums gebracht. Nur wird sein Moment des größten Triumphes gleichzeitig der seiner größten Niederlage.

Joost Zwagerman dreht in seiner Novelle den gesamten Kunstbetrieb durch die Mangel. Die Eitelkeiten der Direktoren, die immer verwegeneren Konzepte junger Künstlerinnen und Künstler, die Überhöhung vermeintlicher und echter Meisterwerke, das Schaulaufen in den Manege des Ausstellungs-Zirkus, die Hippness und Coolness der Akteure im Rampenlicht, aber genauso auch die stille Niedergeschlagenheit der Restauratoren alten Schlages in ihren Werkstattbunkern. Im überdrehten und dabei doch leerlaufenden Kunstbetrieb geht etwas wichtiges verloren: die unmittelbare Wirkung der Kunst auf den Betrachter. Niemand mehr stellt sich die Frage: Was passiert eigentlich, wenn wir alle künstlich-kulturellen Rahmen um die Kunst entfernen, die Gemälde aus den Museen befreien und sie einfach zu den Menschen bringen, dort wo sie sind?

Verhoof, der junge, hippe Shootingstar unter den Direktoren, verschwendet für Antworten auf diese Fragen nicht eine Sekunde seiner kostbaren Zeit. Doch er, der Gefangene des internationalen Showgeschäfts der Künste, bekommt eine mächtige Gegenspielerin, die zumindest zeitweise einen Rothko befreit und ihn gleichzeitig »zerstört«.

Der wahre Wert und der Warenwert der Kunst

Das Drama beginnt, als das Hollands Museum wegen Brandschutzmängeln renoviert werden muss. Als letzte Ausstellung vor der Schließung kuratiert Verhooff »Duell – Dutch Artists Challenged by Modern Masters«. Junge Künstler sollen sich mit Meisterwerken der Sammlung auseinandersetzen und in Dialog treten. Verhooff ist besonders angetan von der ebenso attraktiven wie geheimnisvollen Emma Duiker. Sie wählt das (fiktive) Gemälde Untitled No. 18 von Mark Rothko und kopiert es täuschend echt. Lange nach Ende der aufsehenerregenden und erfolgreichen Ausstellung bemerkt der Restaurator des Museums, dass nun der falsche Rothko in der Sammlung ist. Den echten hat Emma gestohlen. Damit nicht genug, die Malerin hat das Gemälde nicht nur einmal kopiert, sondern mehrfach.

Emma Duiker arbeitet als Konzeptionistin. Ihr Kunstwerk, ihr Lebenswerk nennt sie es, besteht in der Idee, das echte Untitled auf Reisen zu schicken, ohne dabei etwas über seine Stellung in der Kunstgeschichte oder gar seinen Warenwert zu verraten. So landet das 30-Millionen-Euro-Bild beispielsweise in einem Jugendgefängnis in Belfast, einer Bibliothek in Polen oder einem Seniorentreff in Neapel. Im »Duell mit der Realität« zeigt Untitled seinen wahren Wert. Auch ohne Preisschild, zwischen einer Schultafel und einem tropfenden Wasserhahn an die Wand gepinnt, leuchtet es.

Bescheiden und und beschützt, eine auf der Leinwand versammelte Stille, die – je länger der Blick auf die Farben geheftet blieb – intensiver und vertrauenserweckender wurde, ein Werk wie eine barmherzige Gestalt, ein gerahmtes kleines Paradies, das es vermochte der Welt alles Chaos und Getöse zu nehmen. (…) Eine Stille, die im zartesten und wärmsten Rot aufglühte, kontrastiert mit einem Quadrat aus blue velvet, und um das Rot und Blau herum ein aufleuchtendes Gelb, das vor der Leinwand zu schweben schien, so ätherisch und transparent, (…) dass in ihm die Vermutung aufkam, Mark Rothko habe hier (…) die Seele der Sonne malen wollen.

Statt die kriminelle Bildentführung zu melden und Emma des Kunstraubs zu bezichtigen, hält Verhooff den Coup unter dem Deckel. Der Direktor nimmt zusammen mit dem Restaurator Olde Husink die Spur von Untitled auf. Sie finden es schließlich in einer Schule für lernbehinderte Kinder in Slowenien. Auch im Museumsbetrieb gilt: »The Show must go on«. Seine Niederlage gegen Emma Duiker kann Verhooff sich und der Öffentlichkeit nicht eingestehen, sein Ansehen wäre für immer zerstört.

Zwei Kleinganoven kommen ins Spiel und Verhooff selbst verstrickt sich immer tiefer in Konspiration und kriminelle Machenschaften, die schließlich zum »Zweikampf« zwischen des Direktors Faust und Rothkos Gemälde führen. Die bittere Erkenntnis Verhoofs am Ende:  Er hat Emma hoffnungslos unterschätzt, ihr Konzeptkunstwerk ist genialer als alles bisher dagewesene.

Knast oder Freiheit 

In einer Schlüsselstelle der Novelle stellt der Restaurator Olde Husink Emma Duikers Idee der »totalen Demokratisierung« der Kunst seinen (im wahrsten Sinne des Wortes konservativen) Plan der »totalen Isolation« gegenüber. Das beste für Meisterwerke wie Untitled No. 18 wäre, sie in perfekt klimatisierte Museen zu hängen und keinerlei Betrachter an sie heranzulassen. Nur im hermetisch verschlossenen Kunstspeicher blieben sie unbeschädigt und sowohl Warenwert, als auch wahrer Wert auf ewig erhalten. Emma Duiker dagegen nimmt den Schaden in Kauf. Sie »entwertet« kulturelles Millionenerbe, indem sie es der statisch-auratischen Hülle des Museums beraubt und einfach freisetzt.

Joost Zwagerman stellt in seiner Novelle unseren Umgang mit Kunst nachhaltig auf den Prüfstand. Duell ist eine turbulente Farce, die böse-ironische Spitzen gegen das Kunstestablishment und seine wertorientierten Kulturverwalter setzt. Der Irrsinn des Kunstbetriebes wird offensichtlich. Bei allem Tiefsinn tritt Duell zu keiner Zeit auf der Stelle. Das Tempo ist rasant, der Plot fintenreich, das Personal mal schrullig, mal durchtrieben, aber immer glaubwürdig. Und wer denkt, in diesem Beitrag sei bereits alles verraten, der irrt.

Scharfsinnig führt Zwagerman den gesellschaftlich sanktionierten und allseits akzeptierten »Kunstkult« der Museen und den Umgang mit »Meisterwerken« ad Absurdum. Ein wahres Vergnügen.

Joost Zwagerman: Duell (Novelle). Aus dem Niederländischen und mit einem Nachwort von Gregor Seferens. Broschur, fadengeheftet, 158 Seiten. Bonn: Weidle Verlag 2016

Duell ist in den Niederlanden bereits 2010 erschienen. Die Novelle wurde im Rahmen der alljährlichen Niederländischen Buchwoche (als Boekenweekgeschenk) in allen Buchhandlungen kostenlos verteilt. Auflage: 950 Tausend Exemplare. In seiner Heimat galt Joost Zwagerman als einer der bedeutensten Autoren seiner Zeit und schrieb für eine große Zeitung auch viel über Kunst. Im September 2015 veröffentlichte er den Essayband De Stilte van het Licht.  Zu einem Radiointerview zu diesem Band erschien er nicht. Zwagerman hatte sich selbst getötet. Er litt an Depressionen. Im Werbetext zu seinen letzten Essays heißt es: »Vielleicht verkörpert Stille in der Kunst die Sehnsucht, nicht mehr zu sein.«

2 Kommentare zu „Joost Zwagerman: Duell

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  1. Ich bin sehr froh, euch gerade entdeckt zu haben! Als Leser bleibe ich auf jeden Fall :) Ich verlinke gerne gute Blogs in meinen Beiträgen – und das hier ist wirklich wunderbar!
    Macht bitte weiter!

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    1. Danke Swantje, es freut uns sehr, dass dir „We read indie“ gut gefällt. Noch mehr freuen wir uns natürlich, wenn du uns ebenso gerne weiterempfiehlst. lg_jochen

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