Karen Nölle ist eine der Programmmacherinnen der edition fünf, spezialisiert auf Bücher von Schriftstellerinnen, die in der Tradition weiblichen Schreibens besondere Akzente gesetzt haben. Sie übersetzt seit vielen Jahren aus dem Englischen, am liebsten Autorinnen wie Janet Frame, Ursula K. Le Guin, Alice Munro, Barbara Trapido oder Eudora Welty. Nebenbei arbeitet sie als freie Lektorin, schreibt dann und wann Reisebücher und leitet Seminare für Übersetzer*innen, Lektor*innen und Autor*innen. Sie lebt am Dieksee in Holstein.

Die edition fünf feiert im nächsten Jahr ihren zehnten Geburtstag. Wie kam es 2009 zur Gründung des Verlages, was war eure Idee?
Damals kam Silke Weniger auf mich zu, Literaturagentin in München. Ihre Idee war, gemeinsam einen Verlag zu gründen, in dem wir Literatur von Frauen veröffentlichen, mit dem Ziel, weibliches Schreiben sichtbarer zu machen. Wir haben beide schon immer feministisch getickt, uns mehr für Bücher von Frauen interessiert als von Männern – ohne dass wir dabei gegen Männer gewesen wären, nur eben für Frauen. Außerdem hatte ich in Seminaren oft Texte von Autorinnen verwendet, von denen es hieß: Gibt’s leider nicht auf Deutsch oder nur in einer alten, unbefriedigenden Übersetzung. Die könnten wir doch neu übersetzen lassen, meinte Silke. Außerdem gibt es natürlich eine ganze Reihe toller Autorinnen aus der Vergangenheit, die einfach nie ins Deutsche übersetzt worden sind. Und so haben wir uns dann auf die Suche gemacht.
Und Ihr seid fündig geworden. Was sind eure Auswahlkriterien?
Uns als Verlag geht es um interessante weibliche Herangehensweisen ans Erzählen. Wir möchten besondere Erzählweisen beleuchten, immer noch wieder andere Facetten finden. Mir geht es um so etwas wie weibliches Eigenleben, um einen eigenen Blick auf weibliches Werden, weibliche Wünsche ans Leben, an Geschichten, ans Schreiben. Dabei ist mir total wichtig, dass wir uns nicht die bitteren, seziererischen Werke ansehen, die in erster Linie das Leiden in den Blick nehmen. Kalt und analytisch finde ich nicht besonders interessant, sondern Wärme, Lebendigkeit, Erfindungsfreude, Komplexität.
Ihr habt mit fünf Büchern pro Jahr angefangen und dabei jedes Programm unter ein Motto gestellt.
Wir wollten die jeweils fünf Bücher so gruppieren, dass sie sich thematisch ergänzen, lose, in einer Mischung aus Roman, Biographie, Klassikerin, Erzählungen, deutschen und übersetzten Texten. Gern sollte auch etwas über das Schreiben dabei sein. Inhaltlich haben wir uns dabei von Jahr zu Jahr an der Heldinnenreise orientiert. Das erste Motto hieß deshalb Aufbruch. Dort erschienen zum Beispiel von Irmtraud Morgner Hochzeit in Konstantinopel, worin es, wie sie schreibt, um die Menschwerdung der Frau geht, und Kate Chopins Das Erwachen, das hier längst vergriffen und überhaupt nicht mehr präsent war, sich bei uns dann aber zu einem Longseller entwickelt hat. Für das zweite Programm war das Motto Wagnisse – wer losgegangen ist, muss bald auch etwas wagen. Und die Autorinnen dieses Jahres haben jede etwas Besonderes gewagt. Zora Neale Hurston mit Vor ihren Augen sahen sie Gott zum Beispiel oder Ruth Liepman mit Vielleicht ist Glück nicht nur Zufall.
Wenn die Reise weitergeht, kommt bald der Punkt, an dem man sich anschauen muss, was man da eigentlich macht, deshalb gaben wir dem dritten Programm das Motto Spiegel und brachten unter anderem Marilynne Robinsons Haus ohne Halt heraus, einen der klarsichtigsten Romane überhaupt zum Thema Wurzellosigkeit und der Suche nach Halt, und sehr poetisch. Weil die Reise, auch nach der Reflexion, meist kompliziert wird, folgten als viertes Motto Verstrickungen und als fünftes Alleingänge mit je passenden Titeln.
Alle diese Bücher waren bibliophil gestaltet, mit rotem Leineneinband und einer Geschenkbanderole, die das Buch dem jeweiligen Programm zuordnet.
Ja, am Anfang hatten wir noch die Hoffnung, die Menschen mögen sowas vielleicht auch sammeln, aber das hat sich leider als illusorisch erwiesen.
Aber davon abgesehen lief es gut?
Es gab in jedem Programm immer ein, zwei Bücher, die sich gut verkauft haben, und dies über lange Zeit, so dass unsere Idee „slow books“ zu machen, die nicht nach einer Saison verschwinden, aufgegangen ist. Andere Bücher hingegen, denen wir ein deutsches Publikum gewünscht hätten, wurden kaum wahrgenommen.
Inzwischen bindet Ihr die Bücher nicht mehr grundsätzlich in rotem Leinen, sondern gestaltet sie individuell, aber vom Cover über das Vorsatzpapier bis zur Innengestaltung nach wie vor wunderschön…
Ja, Silke Weniger findet, wenn wir weibliches Schreiben sichtbar machen wollen, dann bitte in schönen, edlen Ausgaben. Wir hatten von den Buchhändler*innen gehört, wir müssten lauter sein, unsere Bücher seien hübsch, aber zu unauffällig und man könne sie äußerlich nicht unterscheiden. Diese Signale haben wir ernstgenommen und haben nach fünf Programmen à fünf Bücher beschlossen, jedes Buch individuell zu gestalten, sehr zur Freude unserer Grafikerin Kathleen Bernsdorf.
Kathleen Bernsdorf gestaltet auch das Innere der Bücher, das mir besonders aufgefallen ist bei den Erzählungen der Niederländerin Anneloes Timmerije, Jedes Ding an seinem Platz.
Ja, das Holterdipolter bei den Überschriften zeigt schon, dass die Dinge eben nicht an ihrem Platz sind. Die Erzählungen von Anneloes Timmerije kommen scheinbar alltäglich daher, aber zum einen passiert oft etwas Unverhofftes, zum andern geht es um Punkte im Leben, die sehr sprechend sind. Die Autorin mag die Menschen sehr, aber sie findet sie zum Teil auch ziemlich skurril, und diese Kombination – das Skurrile nicht zu belächeln, sondern näher ranzugehen und zu gucken, was eigentlich dran ist – ist unglaublich sympathisch. Und ihre Art zu erzählen ist einmalig schön.
Ihr habt auch von Anfang an Wert auf sehr gute Übersetzungen gelegt und einige Romane neu übersetzen lassen. Warum war das nötig?
Das lässt sich am besten an einem Beispiel erläutern. Zora Reale Kurstons Roman Vor ihren Augen sahen sie Gott aus den Dreißigerjahren ist quasi unübersetzbar, weil er im schwarzen Dialekt geschrieben ist. Es gibt im Internet Foren, in denen seitenweise Textstellen diskutiert werden, die von amerikanischen Leser*innen von heute nicht verstanden werden. Und die deutsche Übersetzung von Anfang der Neunzigerjahre hatte aus meiner Sicht eher versucht, die Distanz zur Hochsprache abzubilden, als die Fülle dessen, was in der Sprache liegt, indem sie eine an den Ruhrpott-Dialekt angelehnte Kunstsprache gewählt hat. Der urbane Touch passt nicht zur ländlichen Atmosphäre.
Wie habt Ihr es gelöst?
Wir sind einfach auf radikale Mündlichkeit gegangen. Ich habe irgendwann beschlossen, die Übersetzung meinem Mann anzuvertrauen, Hans-Ulrich Möhring, damit wir – er als Übersetzer, ich als Lektorin – gemeinsam überlegen konnten, wie wir es machen. Er hat das erste Kapitel, glaube ich, zehn Mal übersetzt, bis er den Ton gefunden hatte. Im Zuge dessen ist ihm aufgefallen, wie sehr das Buch von Blues durchtränkt ist. Zora Neale Hurston verwendet ganz viele bluestypische Phrasen, die wir auf Englisch stehen lassen haben, damit man die Chance hat, sie als solche zu erkennen und ihren Rhythmus „hört“. Sie werden ein bisschen eingeführt oder auf Deutsch wiederholt. Auf die Weise bleiben die Protagonist*innen in Florida, wo der Roman spielt, und werden nicht sonst irgendwo hinverpflanzt. Radikale Mündlichkeit, Blues, ein stark durchrhythmisierter Text und ein ausführliches Nachwort des Übersetzers waren unsere Lösung. Eine Mordsarbeit.
Wem jetzt nicht einleuchtet, warum Neuübersetzungen manchmal nötig sind …
Ja, da war es wirklich nötig. Natürlich fehlt auch diesem Buch etwas gegenüber dem Original. Jemand, der noch wieder ganz anders begabt ist, könnte es noch mal übersetzen, aber es ist jetzt auf jeden Fall ein sehr gut lesbarer Text, und er entfaltet einen ähnlich unwiderstehlichen Sog.
Frisch erschienen ist in der edition fünf Was helfen könnte von der Norwegerin Mona Høvring. Der Roman ist im Original 2004 erschienen und stieß auf begeisterte Resonanz, die Autorin erhielt zahlreiche Preise. Warum wurde so ein Titel nicht schon längst ins Deutsche übersetzt?
Tja, man staunt ja öfter, wer es alles nicht ins Deutsche schafft. Bei Mona Høvring liegt es vielleicht auch daran, dass sie zunächst als Lyrikerin bekannt war und nicht so sehr als Romanautorin. Aber es hat wohl auch noch andere Gründe … wir bekommen als Verlag ja, wie andere auch, viele Tipps. Wenn uns Männer was vorschlagen, sind das oft Frauengestalten, die wahnsinnig promisk gelebt haben, sehr riskant, drogenabhängig waren und früh draufgegangen sind. Die andere Variante (das kommt von Männern wie Frauen) sind Missbrauchsgeschichten. Beides ist nicht das, was wir primär machen wollen. Uns interessiert nicht das schreckliche Frauenleben, und Mona Høvrings Buch hat trotz der schweren Dinge, um die es geht, einen ganz hellen, warmen Kern. Sie kommt ja von der Lyrik, und dieser Roman hat die Intensität der Lyrik, ohne im Geringsten manieristisch zu sein.
Es ist ein sehr atmosphärischer Roman, sehr sommerlich, der erstmal leicht daherkommt, dabei aber eine große Tiefe hat. Wer mehr über Was helfen könnte wissen möchte: Ich bespreche das Buch auch hier auf dem Blog. Liebe Karen Nölle, vielen Dank für das Interview.
Das Interview führte Nicole Seifert am 5. März 2019 in Hamburg
Wow, super, da hab ich doch gleich schon wieder einen neuen Stapel aufzubauen … wann soll ich das alles lesen? LG und Danke für den tollen Tipp und das schöne Interview
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