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Literarisch aufgearbeitete, europäische Geschichte

Krimi mit Geschichtsbezug

Andreas Eckardt ist eine arme Socke und Martin von Arndt ist der Autor, der diese Figur ganz schön leiden lässt. Mittlerweile auf die siebzig zugehend, ist der ehemalige Kommissar vom Leben und den ganzen geschichtsträchtigen Winkelzügen, in denen er mitwirkte, gezeichnet. Doch eine Episode hat dieser Mann noch auszustehen. Ob er danach endlich Ruhe vor dem Leben da draußen hat? Das alles verwebt der Autor erneut grandios mit einem geschichtlichen Bezug. Diesmal ist es der Ungarnaufstand, der 1956 von den Russen blutig niedergeschlagen wurde und Andreas Eckardt wird mitten hinein in dieses Geschehen geworfen. Doch wie kam es dazu, dass er sich in Budapest aufhält, als es zu den Aufständen und der Niederschlagung kommt? Und was passierte in den Jahren seit der Operation Rattenlinien, die im Vorgängerband Thema war (Besprechung: klick)? Vorsicht: Besprechung mit Spoilern, da auf das Ende des zweiten Buches eingegangen wird! Wer dieses also noch nicht gelesen hat, sollte auch hier noch nicht weiterlesen oder schnell zum Fazit springen.

Am Ende des zweiten Bandes stehen wir mit Andreas Eckardt in einer Zugtoilette. Hektisch versucht er noch einen Brief zu schreiben, draußen hämmert der amerikanische Geheimdienst gegen die Tür, um ihn aus dem stillen Örtchen herauszuholen, notfalls mit Gewalt. Das war das Ende der Operation Rattenlinien, bei denen Eckardt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mitwirkte, um ehemalige SS-Täter zu fangen und den Amerikanern zu übergeben, die diese jedoch nicht ihrer gerechten Strafe überführen wollen, sondern ihre „Erfahrungen“ nutzen wollen. Eckardt opfert sich, damit sein alter Intimfeind Wagner vor ein Gericht gestellt werden kann, um für seine Taten gerade zu stehen. Doch er verärgerte die Entscheidungsträger beim amerikanischen Geheimdienst in einem so hohen Maß, dass sie Eckardt heimlich und leise verschwinden lassen. Dort setzt das neue Buch „Sojus“ an. Andreas Eckardt wurde in Amerika in eine Art Nervenheilanstalt gebracht, um ihn dort für alle Zeiten ruhig zu stellen. Er wird dort massiven Behandlungen unterzogen, die seinem nervlichen Zustand nicht gut tun und ihn brechen sollen. Rosenberg, sein alter Kollege aus Berliner Zeiten, und Vanuzzi mit dem Eckardt die Operation Rattenlinien durchführte, versuchen, den ehemaligen Kommissar aus diesem Gefängnis heraus zu holen. Unter Anstrengung und mit zu viel Aufmerksamkeit gelingt ihnen das auch und Eckardt findet ein vorübergehendes zu Hause bei Rosenberg, der mittlerweile für den israelischen Nachrichtendienst arbeitet.
Doch so richtig wohl und glücklich fühlt sich Eckardt da nicht. Er weiß die Hilfe seines Freundes zu schätzen, doch zieht in etwas zurück nach Deutschland und lässt seinen ehemaligen Kollegen und Partner hinter sich und geht zurück in seine Heimat. Doch auch dort ist es nicht mehr so, wie er es mal kannte. Vieles ist noch zerstört beziehungsweise im Aufbau begriffen. Nach Berlin will er nicht mehr, also verschlägt es ihn nach Würzburg, wo Eckardt mit nunmehr fast siebzig Jahren endlich zur Ruhe zu kommen scheint. Doch sein Weggefährte und Befreier Vanuzzi hat da andere Pläne und sucht Eckardt auf. Er will, dass Eckardt mit nach Budapest kommt, um Vanuzzi dort bei einer Operation von höchster Wichtigkeit zu helfen. Es geht um eine Art Dossier, welches unzählige Doppelagenten der Sowjetunion enthält, die in verschiedenen Staaten agieren, um dort für Unruhe zu sorgen. Diese Liste will Vanuzzi für den MI6 besorgen, damit diese Agenten enttarnt werden können. Eckardt ist von dieser Operation allein wegen seinem Alter überhaupt nicht überzeugt und sagt zunächst ab. Doch Vanuzzi hat noch ein Ass im Ärmel, in dem Dossier taucht auch ein Doppelagent auf, der unter dem Namen Sojus geführt wird und Vanuzzi weiß, dass Sojus der Sohn von Eckardt ist, den er nie zu Gesicht bekam. Nun will er die Chance nutzen, auch wenn die historischen Umstände es eigentlich nicht zulassen, in die sie da hinein geraten, denn die Unruhen in und um Budapest werden immer stärker und in genau dieses Pulverfass begeben sich die beiden.

Budapestaufstand und Familienzusammenführung

Der Anfang von diesem neuen Roman, der erneut im Ars Vivendi Verlag im Frühjahr 2019 erschien, ist in meinen Augen etwas ungelenk geraten. Irgendwie passte das nicht so richtig zum bisherigen Stil von Martin von Arndt. Es wirkte stakkatoartig und zu sehr wie vom Reißbrett runtergeschrieben. Es war zwar spannend umgesetzt und irgendwie musste man ja Eckardt aus den Fängen der Amerikaner holen. Doch gefallen hat mir das nicht so recht beziehungsweise empfand ich den Einstieg etwas schwergängig. Doch danach geht es bergauf und als LeserIn bekommt man den gewohnten Politthrillerstil vom Autor geboten, den er in seinen zwei vorherigen Büchern zelebrierte. Diesmal bekommt das Ganze eine persönliche Methode, denn ein Teil seiner Familie, so verrät von Arndt im Nachwort, war direkt von den Aufständen 1956 betroffen, was er nun literarisch aufgebarbeitet hat und dazu seine selbst geschaffene Figur Andreas Eckardt an die vorderste Front geschickt. Daraus ist, abgesehen von dem getrennt zu betrachtenden Anfang, wieder ein Buch geworden, welches ein Stück europäische Geschichte aufarbeitet und interessant an uns als LeserInnen herangetragen wird. Gerade dieser persönliche Bezug zu der Figur Andreas Eckardt macht dieses Buch so interessant, wie von Arndt sein persönliches Schicksal in das historische Ereignis des Ungarnaufstands 1956 ganz natürlich einbettet. Die Szenen, als die Aufstände in Budapest von den Russen blutig niedergeschlagen werden, brennen sich regelrecht ein.

Martin von Arndt beherrscht die Politthrillerklaviatur

Doch eine Frage lasse ich an dieser Stelle mal offen: Kann Andreas Eckardt endlich mit sich und seiner Vergangenheit abschließen? Mit ihm hat von Arndt einen Moralisten geschaffen, der an menschliche Grundsätze glaubt und diese auch auf Kosten seiner eigenen Gesundheit verteidigt, wie im zweiten Teil geschehen. Er ist kein Superheld, wirft sich nicht in die großen Schlachten, tritt eher durch leises Handeln hervor. Jedoch muss an dieser Stelle ein einziger Kritikpunkt angebracht werden, der das Alter Eckardts betrifft und seine Leidenszeit, die von 1946 bis 1949 in der Psychiatrie in Amerika zubringen musste. Denn weder das Alter (knapp 70), noch diese drei Jahre Folter merkt man diesem Menschen an. Kaum Beschwerden, alles wird irgendwie weggesteckt und wirkt dadurch etwas von der Realität entrückt. Eckardt mag zwar ein zäher Hund sein, aber in den Zeiten als fast Siebzigjähriger noch solche Strapazen ohne große Blessuren durchzustehen ist ein Szenario, welches man so hinnehmen muss, um den geschichtlichen Aspekt der Geschichte besser genießen zu können. Doch dieser Kritikpunkt spielt eine eher untergeordnete Rolle und ist nicht tragend für das große Ganze. Abseits der kleinen Kritikpunkte ist Martin von Arndt erneut ein spannendes Buch gelungen, welches man unter dem Gesichtspunkt Politthriller und auch historischer Thriller lesen sollte.

Martin von Arndt
„Sojus“
Ars Vivendi Verlag
291 Seiten, 20 Euro