Schuldig im Sinne der Anklage
Während in Bettina Wilperts Roman alle Seiten nüchterner beleuchtet werden, wählt Fallwickl einen aggressiven, schärferen Ton. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und spricht auch schmerzhafte Dinge klar und deutlich an. In meinen Augen ist es das Buch des aktuellen Jahres und an dieser Stelle wieder einmal bemerkenswert, wie es von den großen Medien ignoriert wird, weggeschwiegen und abgeschoben in die dunkelsten Schubladen. Jedenfalls hab ich bei den großen Zeitungen noch keine Besprechung oder Randnotiz zu diesem Roman gesehen, während es in der Filterblase der Literaturblogs hoch und runter besprochen wird (mich nun eingeschlossen) und das meist euphorisch. Ich finde es vor allem schade, dass gerade das Feuilleton nicht auf diesen Stoff anspringt. Fühlt ihr euch ertappt? Habt ihr keine Lust, euch mit dem Stoff zu beschäftigen? Ist es schon wieder ein alter Hut für euch, weil eine andere Sau durchs Dorf getrieben werden muss, wie es Mareike in ihrem Buch so treffend umschreibt (z.B. Klimawandelbücher oder der gute alte Familienroman)? Gerade so eine Geschichte, die zwar fiktiv ist, aber doch aus dem echten Leben stammen könnte, bietet so viel Raum, weitere Debatten anzustoßen beziehungsweise am Laufen zu erhalten. Aber metoo ist anscheinend für viele schon wieder kalter Kaffee.
Einmal Arschloch immer Arschloch, da hilft auch keine Schreibblockade
In dieser Findungsphase ist er blind für alle Probleme, die um ihn herum passieren. Vor allem seine Tochter Zoey hätte seine Hilfe gebraucht. Doch er hat sich in seinem neuen Projekt versteckt und konnte seine Tochter nicht aus der misslichen Lage befreien, als sie von einem Fotografen, für den sie aushilfsweise arbeitete, fast vergewaltigt wurde. In letzter Sekunde konnte sie sich losreißen und wegrennen. Doch die seelischen Spuren werden nicht gelöscht, vor allem weil dieser Fotograf weitermacht, Zoey Komplimente macht und diese Tat so in ihrer Seele verankert, so dass Zoey nicht mehr weiß, was sie tun soll. Hilfe darf sie auch von ihrer narzistischen Mutter nicht erwarten und auch von ihren Freunden nicht. Einzig ihr Bruder ist ihr eine Stütze. Dieses Bewusstwerden, dass ihr niemand helfen wird, lässt sie schwach und stark werden zugleich. Sie hat endlich den Mut, Dinge auszusprechen, die sich vorher wie in einer Nussschale aufbewahrt hat (im Buch wird das Bild einer Muschel verwendet), um sie niemanden zu zeigen, um unnahbar zu sein, sich nicht angreifbar zu machen. Doch damit ist Schluss und nachdem sie den Mut gefasst hat, kappt sie fast alle Verbindungen und beginnt ihr eigenes Leben. Losgelöst von einer Mutter, die über sie bestimmt, und von einem Vater, der sich nur für sich selbst und seinen Status interessiert.
Eine Wut, die kanalisiert werden musste
Mit Wenger hat Mareike den prototypischen Macho zur Hauptfigur gemacht, den man gar nicht gern haben kann. Einer der es gewohnt ist, zu bekommen, was er will, vor allem Frauen und Erfolg. Als beides ausbleibt, ist er eigentlich nur noch ein armes Würstchen, von Frau und Kindern fallen gelassen und der es nur wieder nach oben schafft, indem er sich das Leid einer ihm fremden Frau zunutze macht. In diesem Moment, zum Ende hin, als klar wird, dass es für den guten alten Wenger wieder so wird wie früher, hätte ich am liebsten in die Seiten geschlagen, ihm sein feistes Grinsen ausgetrieben, ob dem Heraushüpfen aus der Schlinge, die schon für ihn parat lag. Das macht die Autorin ganz geschickt, wickelt einen um den Finger, lässt einen sogar ein kleines bisschen mit Wenger mitleiden, nur um dann den Kontrapunkt zu setzen.
Seit dem Skandal um Weinstein, der auch in diesem Buch seinen Niederschlag findet, ist der Hashtag metoo und das Thema Gleichberechtigung ein ganz heißes Eisen. Das wir Männer als Gesamtheit in der Vergangenheit wie der Elefant im Prozellanladen agierten und die Wut in den Frauen geschürt haben, ist nur ein Aspekt in der Gemengelage. Diese Wut kanalisiert Fallwickl nun auf vielfältige Weise und schreckt dabei auch nicht vor verstörenden Bildern zurück. Und es geht nicht nur um den Mann als solches, sondern auch, was er mit seinem Tun alles kaputt macht. Zum Beispiel Familien, was auch in diesem Buch ein Thema ist. Durch die Fixierung auf sich selbst, hat Wenger keinen Blick für seine Kinder, was besonders deutlich wird in der kurzen Bemerkung, dass er mit ihnen nur klar gekommen ist, als die beiden zwischen 7 und 9 waren. Auch wenn dieses Buch und diese Aussage fiktiv ist, so hat diese Passage ihren Ursprung in der Realität, wo es viel zu viele solcher Väter (aber auch Mütter) gibt, die so denken und das sollte einen nachdenklich stimmen. Ich sehe in meinem Umfeld ebenfalls einige, bei denen die Frau zu Hause ist oder kürzer arbeitet, damit der Haushalt läuft, bei denen die Väter extra länger auf Arbeit bleiben, damit sie diese Aufgaben nicht übernehmen müssen. Ich sehe Väter die sich ihre eigenen Hobbys beibehalten, während die Frau daheim vor dem Herd steht und für die Kinder das Abendessen macht und vieles mehr. Auch ich selber muss mir da öfter an die eigene Nase fassen und versuchen meine eigenen Interessen hinten anzustellen, um eine gleichberechtigte Erziehung und Partnerschaft zu ermöglichen. Man muss auch anmerken, dass nicht alles schwarz und weiß ist und das es viele Grauzonen dazwischen gibt. Jedoch empfinde ich eine gleichberechtigte Partnerschaft so, dass jeder für den Partner zurücksteckt, auch mal nein sagt und nicht ständig nur seine Interessen verfolgt. Es kann nur funktionieren, wenn jeder zum Zug kommt.
Das alles mögen jetzt nur kleine Aspekte dieser riesigen Blase an Problemen sind, die zwischen Männern und Frauen herrschen. Doch sind sie der Ursprung für die größeren Geschichten, bei denen es um Übergriffigkeit, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung geht. Wo es darum geht, dass genau solche Delikte unter den Teppich gekehrt werden, weil laut den Männern die Frauen das doch wohl zu wollen haben und vieles mehr. Auch das bringt die Autorin in dem Buch schonungslos unter und man spürt auf jeder Seite die Hilfllosigkeit der Frauen gegenüber dem Machtanspruch der Männer, den diese sich einfach nehmen. Auch einer wie Wenger, der sich die Frauen zurechtlegt, wie auf einem Silbertablett, ist genau dann blind, als seine Tochter ihm mitteilen will, dass sie Hilfe benötigt hätte, als ihr ein Mann ungewollt zu nahe kam. Als er es erkennt, ist es jedoch zu spät. Die seelischen Wunden, die diese eine Tat im Buch schlägt, bringt Mareike Fallwickl anhand von Zoey wunderbar an uns Lesende heran.
Danke für diesen Roman. Bitte mehr davon!
Das Buch wird seine LeserInnen finden, auch ohne große Besprechung im Feuilleton oder Auszeichnung bei irgendwelchen Buchpreisen (um den Kreis zum eingangs erwähnten Rezensionsmangel zu schließen). Es ist wütend im Ton, aber so wahrhaftig und ehrlich geschrieben, dass man sich gar keinen anderen Ton vorstellen kann. Danke Mareike für ein erneut grandioses Buch voller Dinge, mitten aus dem Leben gegriffen, auch oder gerade in den Nebensätzen, wo es um allgemeine zwischenmenschliche Beziehungen geht. Lest es, lasst euch mitreißen von einem Strudel, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Mareike Fallwickl
Das Licht ist hier viel heller
Frankfurter Verlagsanstalt
380 Seiten, 24 Euro