
Erwähnt man die türkische Hauptstadt Ankara, erhält man meist negative Reaktionen – sogar von Leuten, die dort gelebt haben. Verschrien ist sie als charakter- und geschichtslose Bürokratenstadt, die mal eben aus dem anatolischen Boden gestampft wurde. Lässt man sich aber auf die ungeliebte Hauptstadt ein, findet man viel Schönes zwischen dem Beton. Seht selbst in unserem kleinen historischen Streifzug.
Istanbul, die Stadt am Bosporus und ehemalige Hauptstadt des Osmanischen Reiches, kennt man oder hat zumindest ein Bild vor Augen. Warum ausgerechnet das zentralanatolische, damals noch provinzielle Ankara 1923 als neue Hauptstadt der soeben ausgerufenen Türkischen Republik ernannt wurde, wundert viele. Die neue Hauptstadt symbolisierte seitdem den radikalen Wandel der Zeit in der Türkei. Von Beginn an wuchs Ankara pausenlos – in alle Himmelsrichtungen. Inzwischen hat das damalige Örtchen mit einer Bevölkerung von über 5 Millionen ungefähr so viele Einwohner wie Berlin und Wien zusammen. Trotzdem ist die Stadt als graue und unaufregende Bürokratin verschrien. Die stetig steigende Anzahl spiegelnder Hochhausfassaden, grauer Wohnblocks und anderer enormer Bauprojekte ersetzen historische „Gecekondu“-Siedlungen, bestehend aus einfachen, illegal erbauten Häusern. Und auch die jüngsten Terroranschläge haben nicht gerade positiv zum Ruf Ankaras beigetragen.
Aussicht über Ankara vor seiner großen Wandlung. Jahr unbekannt. Quelle: Facebook Bir Zamanlar Ankara
Ein Blick vom noch immer stehenden Schloss (Kale) auf die neue entstehende Stadt. Quelle: Turkey in Photographs, DGPI Archive
Was nicht allzu bekannt ist: Deutsche und deutschsprachige Architekten und Stadtplaner haben viel zum Aufbau und der Gestaltung des Stadtbilds Ankaras beigetragen. Der deutsche Stadtplaner Hermann Jansen, der auch große Teile Berlins geplant hat, war maßgeblich an Planung und Aufbau Ankaras beteiligt. Das ikonische Gebäude der Fakultät für Sprachen, Geschichte und Geografie der Universität Ankara ist ein Komplex von Bruno Taut. Taut ist verantwortlich für verschiedene bekannte Wohnkomplexe in Berlin, wanderte während des Nationalsozialismus aber in die Türkei aus und verstarb dort. Sogar das türkische Parlamentsgebäude und unübersehbare Denkmal auf dem zentralen Kızılay-Platz wurden vom österreichischen Architekten Clemens Holzmeister errichtet.
Wie plant und urbanisiert man eine Stadt wie „Angora“? Der sog. Jansen-Plan von Hermann Jansen gibt einen Eindruck, bemerkenswerter Weise auf Deutsch. Quelle: Goethe-Institut
Damals ein Ort mit Prestige, heute nur noch eine von vielen Universitätseinrichtungen – die Fakultät für Sprachen, Geschichte und Geografie der Universität Ankara (Dil ve Tarih-Coğrafya Fakültesi), 1937 erbaut von Bruno Taut als Teil des Jansen-Plans. Quelle: Facebook Bir Zamanlar Ankara
Erwähnt man Ankara in Istanbul, ist die Antwort oft bloß ein verzogenes Gesicht. Reiseführer schenken der Hauptstadt keine Seite zu viel, Touristen machen oft einen großen Bogen um sie. Schön reden kann man sich Ankara definitiv nicht. Es sind die lokalen Eigenheiten, für die man Ankara aber schätzen kann. Vom Hype und kosmopolitischen Trubel der Stadt am Bosporus bleibt “Angara“, wie es die Bewohner im eigenen Dialekt gerne nennen, trotz großer Menschenmassen verschont. Mit etlichen Universitäten hat Ankara eine junge, dynamische Bevölkerung. Restaurants, in denen man soviel Essen serviert bekommt, dass man es kaum schafft, den sog. Aspavas, gibt es nur hier. Wer schon mal nachts durch das Zentrum der Stadt gelaufen ist, sollte an etlichen Ecken das pausenlose, rhythmische Klopfen der Messer auf Holzbrettern gehört haben: In Ankara gibt es unzählige Kokoreç-Verkäufer. Und auch wenn die Betonmassen endlos scheinen, gibt es doch einige schöne grüne Rückzugorte und Parks.
Eine Auszeit von der Stadt auf der sog. Atatürk-Waldfarm, auf dessen Gebiet sich der heutige Präsidentschaftspalast befindet. Quelle: Turkey in Photographs, DGPI Archive
Eine weitere Besonderheit: Ankara ist voll von veralteten und aufgemotzten Şahins, die seit den 1970ern vom türkischen Autohersteller Tofaş produziert wurden. In den letzten Jahren verhalfen mittelmäßig talentierte Sänger mit ihren Liedern über Ankaras Kreuzungen und Weinberge (Ankara’nin bağlari) oder ihrem Lokalpatriotismus dem gewöhnungsbedürftigen Musik- und Tanzstil der Stadt zu neuer Popularität. Die Lieder laufen seitdem in den Autoradios der Şahins rauf und runter und werden trotz schiefen Gesangs millionenfach auf YouTube geklickt. Allerdings besang auch die türkische Rocklegende Erkin Koray schon die Straßen Ankaras.
Ob man Ankara liebt oder hasst, die immer noch wachsende Stadt steht symbolisch für den stetigen Wandel der Türkei und für ein anhaltendes Streben nach Moderne. Zweifelsfrei gibt es schönere Orte, doch wer sich genau umsieht findet viel Schönes im Detail. Die historischen Fotos zeigen Orte, die heute eingerahmt sind von Stahl und Beton. Wer die Stadt kennt, wird Plätze und Straßenzüge kaum wieder erkennen und vielleicht ein bisschen von der beschriebenen Aufbruchsstimmung spüren.
Das alte türkische Parlament im historischen Stadtteil Ulus wurde ab 1915 erbaut und fungiert heute als Museum des Unabhängigkeitskrieges. Quelle: Turkey in Photographs, DGPI Archive
Eine weitere Ansicht vom Ulus-Platz, davor ein Stadtbus. Quelle: Facebook Bir Zamanlar Ankara
Vom Kaff zur Stadt: Chice Gefährte, der Ulus-Platz und das alte Hauptgebäude Türkiye İş Bankası, welches vom levantisch-türkischen Architekten Giulio Mongeri entworfen wurde.
Rechts das ehemalige Hauptgebäude der Ziirat Bankası auf dem Atatürk Boulevard, auch entworfen von Giulio Mongeri. Quelle: Turkey in Photographs, DGPI Archive
Der Ankara Palas zeigt die noch osmanisch geprägte Architektur der frühen türkischen Republik. Im Jahr 1928 fertigstellt, beherbergt der Bau bis heutzutage Staatsgäste im historischen Zentrum. Quelle: Facebook Bir Zamanlar Ankara
Ein neues Zentrum entsteht: Der Kızılay-Platz und das Vertrauens- und Sicherheitsdenkmal, welches in den 1930ern erbaut wurde. Quelle: Facebook Bir Zamanlar Ankara
Zunächst von Şevki Balmumcu konzipiert als Austellungszentrum, wurde dieses Gebäude vom deutschen Architekten Paul Bonatz umfunktioniert zum größten Opernhaus Ankaras. Quelle: Turkey in Photographs, DGPI Archive
Der im Art Déco-Stil erbaute Bahnhof (Ankara Garı) in den 1940ern, davor eine Kutsche. Quelle: Turkey in Photographs, DGPI Archive
In den 1930ern in der Musiklehrer-Schule, die später zum Ankara Staatskonservatorium wurde. Quelle: Turkey in Photographs, DGPI Archive
Menschen schlendern vor dem dem Bilder-und Skulpturenmuseum und dem Ethnografischen Museum (v.l.n.r) entlang. Beide sind immer noch einen Besuch wert. Quelle: Facebook Bir Zamanlar Ankara
Provinzielle Gecekondus und Großstadt-Chaos in einem, so kennt man Ankara. Quelle: Facebook Bir Zamanlar Ankara
In der schnell gewachsenen Stadt bietet der Park der Jugend (Gençlik Parkı) zwischen der Neu- und Altstadt die Möglichkeit für ein bisschen Grün. Quelle: Facebook Bir Zamanlar Ankara
Beton und Grau am Sıhhiye-Platz vor einer Skulptur, die an die Hattier erinnert, welche bereits Jahrtausende vr, Chr. in Teilen Anatoliens und im Gebiet um das heutige Ankara angesiedelt waren. Quelle: Facebook BIr Zamanlar Ankara
Menschenmassen, Verkehr, Beton und Hochhäuser am zentralen Kızılay-Platz – die Verwandlung vom Städtchen zur großen Hauptstadt gelang schnell. Quelle: Facebook Bir Zamanlar Ankara
Fotos: Quelle siehe jew. Bild, Titelbild Facebook Bir Zamanlar Ankara