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Einmal pro Monat suche ich 20 neue oder unbekannte Bücher aus einem Themenfeld oder Genre.
Queere US-Autor*innen – auch Jugendbücher, Graphic Novels – sind leicht zu finden:
Doch schon seit Januar suche ich nach deutschsprachiger Literatur – mit schwulen Themen oder Figuren.
…und finde kaum etwas.
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Statt – wie bisher – 150 bis 300 Bücher zu jedem Thema anzulesen, dabei meine 20, 25 Favoriten zu finden (und die anderen Titel der Vorauswahl zu ignorieren/nicht weiter zu erwähnen, hier im Blog)…
…habe ich bei deutschsprachiger schwuler/queerer Literatur schon Mühe, überhaupt 50 bis 60 literarische Titel zu finden – und viele von ihnen sind verlagsvergriffen/nur noch antiquarisch erhältlich, oder haben keine Online-Leseprobe. Deshalb diesen Monat: keine Auswahl meiner Favoriten. Sondern eine allgemeinere, viel unkritischere Übersicht:
Bücher seit den ca. 70er Jahren, erschienen auf Deutsch, mit wichtigen schwulen Figuren oder Bezügen.
[Einige Autoren sind bi- oder heterosexuell. Andere machen keine Angaben. Insgesamt wird recht wenig über eigene Homo- (oder Hetero-)sexualität gesprochen, im Vergleich zu US-Autor*innen.]
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gelesen und gemocht:
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- Hubert Fichte: intelligente, autobiografische, oft wagemutig montierte, avantgardistische Hamburg-Romane über das Erwachsenwerden kurz nach dem zweiten Weltkrieg. „Die Palette“ ist am bekanntesten, mein Favorit ist „Detlefs Imitationen: Grünspan“; Fichtes Debüt „Das Waisenhaus“ erzählt von seiner unglücklichen Kindheit. Einer meiner deutschsprachigen Lieblingsautoren. Manchmal sperrig – aber immer klug, dicht, lebendig.
- Joachim Helfer: Ein schwuler deutscher Autor und ein heterosexueller Kollege aus dem Libanon schreiben über Homosexualität und die arabische Welt. Beide versuchen sich an Theorien, Urteilen, Psychologisierungen – und hauen oft schlimm daneben: kein kluges Buch. Aber eins, dessen – oft viel zu pauschale – Aussagen mich staunen, schaudern, lachen und in viele Richtungen neu denken ließen.
- Christian Kracht: Die Hauptfigur aus „Faserland“ wird oft als schwul/bisexuell interpretiert. Die Hauptfiguren aus „1979“ (für mich: der bessere, weil überraschendere, wildere Roman) sind offen schwul. In beiden Büchern ist Homosexualität eher eine bittere Pointe/Schrulle – kein Schwerpunkt, und nicht besonders klug oder komplex thematisiert. Trotzdem: lesenswerte Bücher – über interessante-aber-absurde reiche Schnösel.
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- Matthias Hirth: gerade gelesen. Rezension: kommt! 736 aufregende, intelligente, oft aber etwas schwerfällig-theoretisierende Seiten über Macht, Autonomie, schwule und queere Hookups, Intimität, Pornografie. Ein schwerer Brocken – den ich empfehle.
- Kristof Magnusson: Sein Debüt „Zuhause“ las ich 2006. Rezension hier. Das Buch hat Kanten, Schwächen, einige dramaturgische Hänger – doch ich halte viel von Magnusson… und seinen Figuren [mehr im Link]. Auch eine der drei Haupftiguren aus Magnussons zweitem Roman, „Das war ich nicht“, ist schwul – doch kam mir nicht besonders nahe.
- Max Goldt ist ein großartiger Kolumnist (und Moralist), schwul… doch spricht/schreibt kaum darüber. Einer der Autoren, die ich am häufigsten verschenke. Nur „schwule Literatur“ wollen seine Bücher (und Comics) nicht sein: Dazu fehlt Tiefgang, Perspektive.
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weitere Bücher und Autoren:
- Hans Pleschinksi
- Alain Claude Sulzer
- Christoph Geiser
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- Christoph Poschenrieder
- Tim Staffel [„Rauhfaser“ gelesen: hat seine Momente – aber auch viele Popliteratur-Klischees]
- Fabian Hischmann (bisher nur „Am Ende schmeißen wir mit Gold“)
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- Arnold Stadler (…nur „Komm, gehen wir“?)
- Josef Winkler
- Michael Roes
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- Yusuf Yesilöz (…nur „Hochzeitsflug“?)
- Karl Heinz Bittel (…nur „Eine Art Verrat“?)
- Bodo Kirchhoff (nur „Eros und Asche“!)
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- Hans Scherer
- Jan Walther
- Ronald M. Schernikau
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- Philipp Tingler [keine Empfehlung!]
- Gunther Geltinger
- Jürgen Bauer (…nur „Das Fenster zur Welt“?)
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- Sacha Sperling (…nur „Ich dich auch nicht“?)
- Simon Froehling (…nur „Lange Nächte Tag“?)
- Jannis Plastargias
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- Reiner Schürmann
- Hans Mayer
- Joachim Campe [Anthologie, vergriffen]
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Sachbücher/Memoirs:
- Marko Martin [Freund S. empfiehlt auch Martins Roman ‚Der Prinz von Berlin‘]
- Daniel Schreiber
- Mario Wirz
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neu erschienen, Unterhaltung:
- Julian Mars
- Volker Surmann
- Tobias Rebisch
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Jugendbücher (…die mich nicht überzeugten:)
- Andreas Steinhöfel
- Günter Ohnemus (…nur „Alles, was du versäumt hast“: Hauptfigur hat queere Eltern)
- Vera Kissel (…nur „Was die Welle nahm“: Hauptfigur hat toten, schwulen Vater)
- Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ ist empfehlenswert, doch Homosexualität völlig nebensächlich.
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Tagebücher und queere Sachtexte:
- Fritz J. Raddatz
- Rosa von Praunheim
- Matthias Frings‘ Biografie Ronald M. Schernikaus
- Martin Büsser (Musikjournalist: Texte über Musik und Politik)
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deutsche Graphic Novels:
- Martin Büsser: „Der Junge von Nebenan“ – sehr kurz, skizzenhaft, lapidar: keine Empfehlung
- Martina Schradi: „Ach, so ist das?!“ – sympathische, aber klar didaktische Edutaiment-Comics, die Vorurteile abbauen sollen.
- Ralf König
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deutsche Geschichte:
- Heinz Heger – über die Schwulenverfolgung und -morde der Nazis
- Lutz van Dijk – über eine Liebe im zweiten Weltkrieg
- Wolfgang Ehmer – über Strafverfolgungen Homosexueller in den 50er Jahren
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Literatur bis in die 60er Jahre ist oft bekannter: Thomas Bernhard, Hans Henny Jahnn, Klaus Mann, Thomas Mann, Hermann Hesse, Christopher Isherwood, Stefan George, Joseph Breitbach, Wolfgang Koeppen. […mehr auch hier, Link.]
Freundin E. suchte für ihre Magisterarbeit nach Romanen mit schwulen Figuren. Ihre Liste: Joachim Helfer: Cohn & König, PatMcCraw: Duocarns-Reihe, Kristof Magnusson: Zuhause, Jan Walther: Im Zimmer wird es still, Peter Nathschläger: Im Palastdes schönen Schmetterlings, Jan Stressenreuter: Haus voller Wolken, Christoph Wildt: Anleitung zum Mord, Wolfgang Koeppen; Tod in Rom, Joseph Breitbach: Bericht über Bruno, Petra Morsbach: Der Cembalospieler, Juan Santiago/Celine Blue: Schattenspiele, Albert Rausch: Jonathan, Steffen Marciniak: Hylas, Christian Kracht: 1979; Freund C. empfiehlt „Barfuß als Prinz“ von Knut Koch; Freundin A. empfiehlt Michael Sollarz; Freund K. „Ein gutes Leben ist die beste Antwort“ von Friedrich Dönhoff und „Der Friseur“ von Christian Schünemann; Freundin K. das Programm des Konkursbuch Verlags. Vielen Dank!
An „Gay Romances“ und M/M-Liebesromanen habe ich kein Interesse.
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schwule Verlage: Querverlag | Männerschwarm | Bruno Gmünder
schwule Buchhandlungen: Löwenherz (Wien) | Eisenherz (Berlin)
schwule Literatur …bei Queer.de | …im Blog SchwuleLiteratur.de
tägliche Presseschau über Artikel mit LGBTQ-Thematik: lsvd.de
…und: das Beratungszentrum Sub München (Link) hat eine recht gut sortierte öffentliche Bibliothek.
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zehn persönliche Favoriten (nicht-deutsch, gelesen, sehr zu empfehlen):
- Alison Bechdel: “Fun Home” (Graphic Novel)
- David Levithan: “Two Boys Kissing”
- Michael Chabon: “The Amazing Adventures of Kavalier & Clay”
- A.S. King: “Please ignore Vera Dietz”
- Nick Burd: “The Vast Fields of Ordinary”
- Howard Cruse: “Stuck Rubber Baby” (Graphic Novel)
- David Leavitt: “The Lost Language of Cranes”
- Judd Winick: “Pedro and me” (Graphic Novel)
- James Dawson: “This Book is Gay” (Self-Help)
- Brian Francis: “Natural Order” (not YA, but good for parents)