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„In ‚Telex aus Kuba‘, einem packenden Roman über die kubanische Revolution, sind sie alle versammelt – die Castros, Che Guevara, der Diktator Batista und US-Präsident Eisenhower. Aber erzählt wird die Geschichte hauptsächlich von zwei Jugendlichen, Everly Lederer und K.C. Stites, die füreinander bestimmt zu sein scheinen: sie die Tochter des Chefs einer amerikanischen Nickelmine und er der Sohn eines leitenden Angestellten der United Fruit Company.
Rachel Kushner hat einen tropisch glitzernden historischen Moment des 20. Jahrhunderts mit großer Raffinesse verdichtet. Man liest mit allen Sinnen, sieht, schmeckt, fühlt mit den Figuren und überlässt sich Kushners herausragender erzählerischer Kraft.“
[Klappentext, gekürzt.]
Im Sommer 2008 machte ich ein Praktikum bei Klett-Cotta. Seitdem schreibe ich hin und wieder Verlagsgutachten: Ich lese Bücher und prüfe, ob sie für Klett in Frage kommen.
„Telex aus Kuba“ las ich schon im Juli 2008: Ich hatte Spaß – doch fand das Buch nicht gut genug für Klett.
2013 erschien Rachel Kushners zweiter Roman: „The Flamethrowers“. Websites wie „The Millions“ lobten das Buch monatelang, und auch die deutsche Ausgabe, „Flammenwerfer“ (2015), wurde mir von Freundinnen empfohlen. Der Goodreads-Score, 3.46 von 5, schreckt mich ab – aber mich freut, dass durch den Erfolg jetzt, neun Jahre später, auch „Telex aus Kuba“ eine Chance auf dem deutschen Markt erhält:
- 464 Seiten, Rowohlt Verlag
- Deutsch von Bettina Abarbanell
- erscheint am 22. April 2017
Meine Gutachten sind drei, vier Seiten lang. Zu „Telex from Cuba“ schrieb ich ein knapperes Statement:
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Rachel Kushner – Telex from Cuba. A Novel.
- Scribner, Juli 2008
- Original: englischsprachig [USA]
- Roman, 322 Seiten.
die Autorin & ihre Themen: Debütroman. Kushner, geboren 1968, war Kommilitonin von Jonathan Franzen (Berkeley; später noch Columbia) und Redakteurin bei verschiedenen Kunst- und Literaturzeitschriften: „Grand Street“, „BOMB“ und aktuell „Soft Targets“. Kushners Mutter war Vorlage für Everly, eine der Hauptfiguren. Dem Roman gingen jahrelange journalistische Recherchen und Befragungen voraus.
Gute Kritiken in Publisher’s Weekly und der New York Times, Blurb von Paula Fox.
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„Telex from Cuba“ spielt in den Jahren 1952 bis 1958 und zeigt den schwierigen Alltag zweier Kinder kurz vor der Pubertät… und eine Handvoll Erwachsener – allesamt amerikanische Expats – in einer Siedlung des Importriesen „United Fruit“ – heute: Chiquita – von der Machtergreifung Batistas bis zur (erfolgreichen) kubanischen Revolution. Historische Figuren, vor allem Batista und Castro, haben Sprechrollen. Auch Hemingway tritt auf.
Everly Lederer – das literarische Alter Ego von Rachel Kushners Mutter – ist 9 Jahre alt, als ihr Vater für United Fruit nach Kuba zieht: ein Middle Child mit biestigen Schwestern und nervöser Mutter. Sie nimmt sie das gesellschaftliche Leben auf der Insel als große Inszenierung wahr: Rassismus, Kleinbürgerneurosen und Doppelmoral, alte Frauen, die sich Äffchen halten, junge verwöhnte Männer, die im Dschungel verschwinden, um die Rebellen zu unterstützen. Brennende Zuckerrohrfelder. Rauschende Feste. Der Zeitgeist und die Neurosen, Bedrückungen der 50er Jahre sind plausibel und dicht gezeichnet. Ein – im besten denkbaren Sinn – übervolles, buntes, plastisches Buch. Ein Gesellschaftsroman, multiperspektivisch – aber recht gediegen erzählt.
Gutes Geschenkbuch: mit deutlichem Fokus aufs Historische/Politische zeichnet ein Autor ein hassgeliebtes Land und seine Diktatur. Durchaus in derselben Liga und mit demselben Anspruch wie z.B. Junot Diaz’ „Oscar Wao“. Aber halt: konventioneller.
Die anderen Hauptfiguren sind Ich-Erzähler K.C., Sohn des lokalen United-Fruits-Großgrundbesitzers (…und, wie schön: J.C. und Everly kommen NICHT zusammen. Überhaupt führen alle erwartbaren Figurenkonflikte nie zu großem Melodrama. Gut gemacht!). Außerdem ein französischer Kriegsveteran in Havanna – eine Figur wie bei Camus: testosteronsatt, nihilistisch und mir persönlich zu platt – und eine Tänzerin, die Batistas Mätresse wird.
Niemand stirbt. Die Revolution glückt. Also steigen die Expats ins Boot und fahren weg. Nichts passiert: Everlys Welt hört, als sie 16 ist, einfach auf.
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Susan Cookal in der New York Times zum barocken, schwitzig-tollen [aber: immer grenz-kitschigen] Stil:
Kushner herself evinces an intimate knowledge of her novel’s world and characters. Her style is sure and sharp, studded with illuminating images: In Oriente, “the wind gusted like a personality”; Everly, newly arrived in a new dress, “felt like a tea doily, damp and frilly and out of place,” while La Mazière thinks of Havana as “a damp city where dreams were marbled with nothingness.” When we first see Rachel K, she’s flying above sugar cane fields with K. C.’s father, “a person who was dangerous because he didn’t know which parts of him were rotten, or even that he harbored rot.” These are potent moments, and they make the novel a dreamy, sweet-tart meditation on a vanished way of life and a failed attempt to make the world over in America’s image. Out of tropical rot, Kushner has fashioned a story that will linger like a whiff of decadent Colony perfume.
Ein Amazon-Kunde mault – nicht grundlos:
Great characters and setting; no real plot
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Urteil: Ich gebe vier von fünf Sternen; und bewundere Kushners Fleiß bei der Recherche. Das Buch hat grelle Momente – aber, wie gesagt: Es wirkt absolut plausibel. Toll gemacht.
Trotzdem fühlte ich mich beim Lesen oft, als würde ich von einer netten, recht unkonzentrierten Frau durch ein viel zu großes Haus geführt. Wir blieben in Türrahmen stehen. Saßen auf der Veranda. Mussten UNBEDINGT auch noch in den Keller und den Speicher. Bekamen die GANZ große Tour – mit zahlreichen Umwegen und ein paar Sackgassen – und dachten danach: „Was für ein Ort! Was für ein Anblick!“. Richtig literarisch – also auch: mit Gespür für Timing, Relevanz, oder auch: Humor/Ironie – geht Reiseführerin Kushner nicht vor:
„SO, und jetzt gehen wir schön weiter, da hinten im Dschungel ist der FIDEL CASTRO, kucken wir uns das auch mal an. Zweiergruppen bilden: auf jetzt! Prima.“
Am Ende des – zu langen – Romans war ich eher… erleichtert, dass Kushner alle größeren Schwierigkeiten und Fallen umgehen konnte und das Buch tatsächlich gut zu Ende brachte. Doch so ein ein onkelig-erleichtertes „Na, da hat sie’s aber doch noch ganz gut geschafft!“, ist, glaube ich, keine Haltung, in die man als Lektor verfallen muss: Bei einem versierteren, intelligenteren Buch wäre solche Gönnerhaftigkeit nicht nötig.
„Telex from Cuba“ weckt Außenseitersympathien. Aber keine Begeisterung.
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