„Kein Arsch kennt Uwe Tellkamp“: Wozu junge Bücher? Wozu PROSANOVA 2014.

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[Schreiben im Abseits | „Junge Literatur?!?“ | „Kein Arsch kennt Uwe Tellkamp“]

Noch zweieinhalb Wochen zu PROSANOVA – dem Festival für junge deutschsprachige Literatur in Hildesheim. [29. Mai bis 1. Juni 2014, Infos hier]

Die ersten studentischen Radiosendungen und „Hoffen wir mal, dass es viral geht!“-Videos ziehen durch Facebook. Und ich bin angetan:

Das Litradio Net-Feature (http://litradio.net/litmix-pn14/) macht Spaß – vor allem das lange Gespräch mit Lena Vöcklinghaus (ab ca. 29:00).

Auch die sympathisch banalen „Sturm Hund Struppi“-Quatschvideos von litradio.net schaffens jedes Mal, mich 5, 6 Minuten lang zu überraschen / irritieren / in „doof-aber-witzig!“-Laune zu ziehen.

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Trotzdem kurz – so von außen und grundsätzlich:

2005, beim ersten PROSANOVA, waren Jan Fischer und ich in der Redaktion der Festivalzeitung. Die Festivalzeitung ist eins dieser halb-offiziellen und halb-unabhängigen Organe – wie Litradio und „Sturm Hund Struppi“ heute – die einerseits Identität schaffen, Stimmung machen, über das Festival informieren.

Aber andererseits quer stehen wollen – freier, kritischer, MEHR sein wollen als ein Sprachrohr der Festival-Orga.

Jan und ich sollten uns damals Ressorts / Formate für die Zeitung überlegen… und weil die Prosa Nova-Leiter ständig verzückt und starry-eyed „Wir haben’s geschafft: UWE TELLKAMP kommt. SOLCHE NAMEN konnten wir gewinnen! Wahnsinn!“ riefen, war unser erster Vorschlag: eine Straßen-Umfrage. In Hildesheim. Über all diese – ach-so-relevanten? – Autoren:

„Wir nennen das Umfrage-Feature ‚Kein Arsch kennt Uwe Tellkamp‚!“

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Ich würde das heute nicht mehr machen. Und die beiden Features von gestern / heute (Litradio Litmix und Sturm Hund Struppi 04) zeigen ganz gut, was sich verändert hat:

Nicht jeder liest. Fast *niemand* liest Literatur-Literatur / junge deutsche Texte.

Oder würde behaupten, dass dort – gesellschaftlich, kulturell – grade etwas RICHTIG Großes, Wegweisendes, Relevantes passiert. Bücher sind für Liebhaber und Freaks. Und kleine, schrullige, abseitige, anspruchsvolle junge deutschsprachige Bücher… sind die Nische in der Nische.

Dass PROSANOVA seit 9 Jahren immer wieder sagt: „Trotzdem spannend! Trotzdem toll! Wir stellen das vor. Wir machen das sichtbar. Wir finden so vieles SO gut, dass wir das FEIERN wollen – mit euch!“ ist… großartig.

Vielleicht nicht zwingend / weltbewegend / nötig für jeden, der zwei Katzenkrimis liest pro Jahr – aber RICHTIG zwingend / weltbewegend / nötig für die Menschen, die junge deutsche Literatur lesen, vermitteln, schreiben:

Eine Theater-Bekannte bat mich neulich zu einer Besprechung – am 31. Mai und 1. Juni. „Das geht nicht. Da ist PROSANOVA. Das ist nur alle drei Jahre. Und für uns Schreib-Menschen… wie Weihnachten. Ich MUSS da hin!“

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Wenn Max in „Sturm Hund Struppi 4“ Hildesheimer Verkäuferinnen, mit-Jeansjacke-am-Stehtisch-rumsteh-Männer und Teenager („Ihr geht zur Hauptschule?“) fragt, ob / warum ihr Herz keinen Riesensprung macht, sobald sie „Festival für junge deutschsprachige Literatur“ hören… wird mir schlecht. Mehr als vor 9 Jahren.

Weil…

…ich die Wut verstehe, mit der Journalisten (und seis nur bei der PROSANOVA-Festivalzeitung) auf Behauptungen reagieren wie „Uwe Tellkamp: Toller geht’s nicht! DAS ist wichtig und spannend!“

[Ich glaube, Florian Kesslers ZEIT-Artikel war auch deshalb für viele enttäuschte Wenig-Leser so befreiend und willkommen: Er spricht den Menschen aus dem Herzen, die EH glauben, dass in keiner Buchhandlung irgend etwas auf dem Neuerscheinungs-Tischchen liegt, das WIRKLICH wichtig, dringend ist.]

Der Wunsch dieser Hildesheimer Redaktionen, immer wieder zu zeigen: Die Welt dreht sich nicht um Hildesheim. Oder um diese Bücher. Oder um das Festival… leuchtet mir erstmal ein. [Uwe Tellkamp ist super. Aber das nur am Rand. Und: Uwe Tellkamp hat den deutschen Buchpreis gewonnen – aber wird heute wohl in der Hildesheimer Fußgängerzone IMMER noch nicht gekannt.]

Nur… sind wir heute…

…in einer GANZ anderen Lage, wenn’s um Literatur, Information, PR und Teilen geht:

Ich kann Uwe-Tellkamp-Kapitel auf Facebook verlinken. Ich kann Youtube-Videos teilen. Ich könnte JEDEM in meiner Blase (und, in Blogs: auch weit über diese Blase hinaus) ganz konkret und offen aufzeigen, WAS mich an junger Literatur begeistert. WAS sich lohnt. WO es spannend wird.

Und da sehe ich Journalisten / Berichterstatter heute in einer ganz anderen Verantwortung als vor neun Jahren:

Ihr könnt uns ZEIGEN, warum sich PROSANOVA lohnt. Ihr könnt informieren. Kuratieren. Teilen. Begeistern. Ihr müsst nicht immer wieder diese bräsige und rhetorische (und klassistische!) „Wen interessiert das? Interessiert das die Hildesheimer Fußgängerzonen-Menschen?“-Fragen stellen. Ihr müsst GAR NICHT MEHR fragen.

Denn ihr habt jetzt die Mittel, ANTWORTvorschläge zu geben. WO sind die tollen Autoren? WER hätte Spaß auf diesem Festival? WAS ist das Spannende an junger deutschsprachiger Literatur?

Meine Lieblingsstelle – verunglückt, überraschend, toll aus dem Ruder laufend – im Litradio-Feature kommt gleich zu Beginn: Die rebellisch-kritisch-süffisanten Jungreporter-Schnösel fragen Anwohner, ob sie Lust hätten, 30 EURO (!1!!1) für ein PROSANOVA-Ticket zu zahlen.

Und statt „Nie im Leben!“ und „Was ist ein Ticket?“ und „30 Euro? Das gebe ich nur für Helene-Fischer-Konzerte oder in der Spielothek aus!“ sagen die Hildesheimer Befragten: „Ja. Grundsätzlich schon. Kommt auf die Autoren an. Warum nicht? Und bei uns im Garten ist noch Platz für Zelte.“

Nicht alles muss affirmativ sein. Nicht jeder muss werben und begeistern. Und: ich selbst bin auch oft genervt von den Literatur-Freunden, die sich für ALLES begeistern und jedes Buch mit Lesebändchen und Schutzumschlag „traumhaft schön“ finden.

Aber ich glaube, die PROSANOVA-„Berichterstattung“ (?) oder -„PR“ (?) geht am Thema vorbei: NIEMAND behauptet ernsthaft, ein Hildesheimer Festival mit… Kathrin Röggla, Antje Ravic Strubel und Dietmar Dath (who are these people?) sei das Ereignis des Jahres. Für jeden, der durch die Fußgängerzone läuft.

Doch es IST nen Blick wert. Und: Wenn sich Außenstehende erstmal wenig interessieren, muss das nicht an der Hybris und dem Bauchnabelblick der Veranstalter liegen („Geil! Uwe Tellkamp!“)… aber auch nicht an der Ignoranz ALLER ALLER „normalen“ Hildesheimer.

Seit 10 Jahren passiert mir – mit „normalen“ Wenig-Lesern – fast nie: „Oh. Ich lese keine Bücher. Das interessiert mich nicht!“. Sondern – viel, viel öfter: – „Stefan? Du hast mir Marcus Braun empfohlen. Fand ich blöd. Du hast mir eine Bella Triste geschenkt. Fand ich witzlos. Du hast ein Interview mit Kathrin Röggla verlinkt – war jetzt nicht meins.“

Oft liegts nicht am grundsätzlich fehlenden Interesse. Sondern an falsch vermittelter, falsch adressierter, vorschneller oder unüberlegter Begeisterung: Wir haben – grade hier, via Social Media – SO VIELE Möglichkeiten, zu zeigen, WAS toll ist an Uwe Tellkamp.

Stattdessen nur Hauptschüler vorzuführen, weil die nicht rufen „Oha! Interessant!!“… bringt nichts. Es ist UNSER Job, zu zeigen, WAS interessant ist. An Tellkamp. An PROSANOVA. An Literatur.

Falls der Funke nicht überspringt, liegt das im Zweifelsfall fast IMMER an mir und meiner Vermittlung.

Nicht an den Menschen in der Hildesheimer Fußgängerzone.

[So. Kurz runtergetippt und ursprünglich auf meiner Facebook-Seite gepostet. Teilt und kommentiert gerne.]

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Ich selbst war 2008 Mitglied der Künstlerischen Leitung des zweiten PROSANOVA-Festivals:


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Links:

  • PROSANOVA 2011: Fotos
  • PROSANOVA 2011: Stimmen der Presse
  • PROSANOVA 2011: Eine Welt für sich
  • junge Literatur: 50 Empfehlungen
  • junge Literatur: Wo / wie findet man neue Bücher?

    PROSANOVA ist das größte Festival für junge Literatur im deutschsprachigen Raum. Vom 29. Mai bis zum 1. Juni trifft sich in Hildesheim wieder die junge Literaturszene zu Text, Tanz und Gespräch. In über 40 Veranstaltungen feiern 70 Künstlerinnen und Künstler ihr persönliches Bekenntnis zur Literatur.

    Autorinnen und Autoren, u.a.

    Adler & Söhne | als wir von den bäumen runterkamen | Jan Brandt | Katja Brunner | Carolin Callies | Lars Claßen | Ann Cotten | Kenah Cusanit | Dietmar Dath | Michel Decar | Dorothee Elmiger | Joseph Felix Ernst | Guido Graf | Verena Güntner | G13 | Martina Hefter | Susanne Heinrich | Fabian Hischmann | Maren Kames | Florian Kessler | Thomas Klupp | Martin Kordic | Jan Kuhlbrodt | Kevin Kuhn | Svealena Kutschke | Jo Lendle | Wolfram Lotz | Clemens Meyer | Matthias Nawrat | Claudius Nießen | Jakob Nolte | Hanns-Josef Ortheil | Thomas Pletzinger | Leif Randt | Annika Reich |Monika Rinck | Kathrin Röggla | Christian Schärf | Oliver Scheibler | Ferdinand Schmalz | Sabine Scho | Jan Skudlarek | Kai Splittgerber | Saša Stanišić | Antje Rávic Strubel | Thalstroem| TRAUMAWIEN | Stefanie de Velasco |Katrin Zimmermann

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