stefan mesch

Schreibszene Frankfurt: Institutsprosa – ästhetische und literatursoziologische Perspektiven auf Schreibschulen im deutschsprachigen Raum (Konferenz, Februar 2018)

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Ich bin Diplomschriftsteller:

von 2003 bis 2008 studierte ich Kreatives Schreiben & Kulturjournalismus an der „Schreibschule“ Hildesheim.

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Das Forschungskolleg „Schreibschule Frankfurt“ forscht seit 2016 zu Poetik, Publizistik und Performanz von Gegenwartsliteratur.

Am 1. und 2. Februar 2018 richtete das Kolleg eine Postgraduiertenkonferenz aus: Vorträge, drei kurze Diskussions-Panels… und eine Lesung, bei der ich zusammen mit den Autorinnen Martina Hefter und Kerstin Preiwuß las und über unsere Schreibschul-Zeit sprach, moderiert von Herausgeber (und Hildesheimfreund) Jan Fischer.

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2006 war ich das erste Mal auf einer Postgradiertenkonferenz:

Ich sprach an der Cornell University über die Poetik von Max Goldt.

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Die Schreibszene Frankfurt ist mir wichtig, weil dort Freund*innen, Expert*innen und Stimmen, die ich online und in Feuilletons ernst nehme, ohne Polemik und auf hohem Niveau über Fragen sprechen, die mich seit 2003 beschäftigen. 2016 fuhr ich privat zur Eröffnungsveranstaltung der Schreibszene in Frankfurt. 2018 eingeladen zu werden, um dort am 2. Februar, zum Abschluss der Konferenz, zu lesen, freute mich.

Ich kam schon am Vortag – hörte bei der Konferenz zu, schrieb ein wenig mit, twitterte zum Hashtag Institutsprosa, machte Fotos.

Hin und wieder werde ich eingeladen/engagiert, um auf Tagungen, Festivals, Literaturveranstaltungen einen Liveblog zu fühen, z.B.

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Zur „Institutsprosa“-Konferenz führte ich keinen Liveblog: Während neun 30-Minuten-Vorträgen und drei kurzen Panel-Diskussionen tippte ich Stichpunkte, interessante Formulierungen, Kernthesen und schnelle Ideen mit. Schnelle Notate. Bruchstücke – die ich heute hier im Blog kurz teile.

Ich empfehle, den Band zur Tagung abzuwarten und die Texte/Vorträge bald komplett zu lesen.

Doch bis dahin: kurze Stichpunkte – auch als Einladung, die elf Vortragenden als Expert*innen für z.B. Artikel anzufragen.

Es gab *keinen* dümmlichen, polemischen, halb-durchdachten Vortrag. Ich nahm viel mit!

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Die Ausschreibung für die Vorträge – von mir etwas gekürzt/vereinfacht:

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Call for Papers

Im Begriff ‚Institutsprosa‘ schwingen Vorurteile, Vorbehalte gegen Literatur, die an sogenannten ‚Schreibschulen‘ entstand:

Es fehle den Texten an Welthaltigkeit und Erfahrungsreichtum, an Genie und Esprit – und überhaupt sei Schreiben an einer Universität gar nicht lehrbar.

Ausbildungspraktiken, Funktion und Selbstverständnis deutschsprachiger Literaturinstitute wurden in den letzten Jahren in Feuilleton und Betrieb immer wieder diskutiert worden – und zwar meist unter negativen Vorzeichen.

Am medienwirksamsten entfaltete sich 2014 die sogenannte Kessler-Debatte, welche im Feuilleton allzu vorschnell auf den Vorwurf verkürzt wurde, die deutsche Gegenwartsliteratur sei „brav und konformistisch“.

Ähnliche Diskussionen kennzeichneten auch die Geschichte der US-amerikanischen Creative Writing Programs.

Während in den USA die institutionalisierte Ausbildung von SchriftstellerInnen nach 1945 zu einem beherrschenden Faktor der Produktion von Literatur wurde, erlangten Schreibschulen im deutschsprachigen Raum erst in den letzten 20 Jahren Bedeutung:

1995 wurde das Deutsche Literaturinstitut Leipzig (in Nachfolge des Johannes R. Becher-Instituts der DDR) gegründet, 1999 folgte die Einrichtung des Studiengangs „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ in Hildesheim, 2006 kam das Schweizerische Literaturinstitut in Biel hinzu.

Die Schreibschulen in Hildesheim und Leipzig bekommen jährlich etwa 600 Bewerbungen; an der Kunsthochschule für Medien in Köln wird gerade ein neuer Studiengang für kreatives Schreiben eingerichtet. ‚Institutsprosa‘ ist längst integraler Bestandteil der Gegenwartsliteratur.

Die kreativen Studiengänge bereiten nicht ausschließlich auf eine Karriere als SchriftstellerIn vor, sondern ermöglichen durch ihre Kombination mit Journalismus, Übersetzung oder Kulturwissenschaft auch alternative Karrierewege im Umfeld der Literatur. Eine ganze Reihe von AbsolventInnen besetzen mittlerweile Schlüsselpositionen in Verlagen, Redaktionen und der Wissenschaft.

2009 betonte Mark McGurl mit seiner Studie „The Program Era“ erstmals den maßgeblichen Einfluss akademischer Creative Writing Programs auf die US-Nachkriegsliteratur.

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Schreibschulen im Literaturbetrieb

Wie wirkt der Literaturbetrieb – in Form von Nachwuchspreisen, Dozierenden aus der Praxis, kulturjournalistischen Seminaren und Agenturen – auf die Karrierewege der SchreibschülerInnen aus? Welchen Einfluss hat die Schreibschule – in Form von studentischen Projekten wie Literaturzeitschriften („BELLA triste“), Literaturfestivals („Prosanova“) und Anthologien („Tippgemeinschaft“) auf den literarischen Betrieb? Wie positionieren sich AbsolventInnen im literarischen Feld? Welche Karrierewege schlagen sie ein?

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Ästhetik und Poetik der ‚Institutsprosa‘

Welche Schreibverfahren werden in Schreibschulen gelehrt? Welches Literaturverständnis wird in den Studiengängen vermittelt? Gibt es tatsächlich eine ‚Institutsprosa‘? Wenn ja, wodurch zeichnet sie sich aus? Welche Rolle spielen Lyrik und Drama?

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Praxisformen und implizites Wissen

Welche Lehrformate und Arbeitsformen kommen in den Studiengängen zur Anwendung? Wie wird konkret an Texten gearbeitet? In welchem Verhältnis stehen Kreativität, Handwerk und Erfahrung? Auf welche Weise schließlich bereiten die Studiengänge auf die Selbstvermarktung im aufmerksamkeitsökonomisch strukturierten Betrieb vor und welche Subjektformen werden ausgebildet? Welche Rolle spielen dabei genderspezifische Verhaltensweisen und Vermarktungsstrategien?

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Kreatives Schreiben in der Gegenwartsgesellschaft

Mit welchen Hoffnungen auf Selbsterfahrung bis Selbsttherapie wird die Ermächtigung zur literarischen Produktion aufgeladen? Während der Professionalisierung, Kommerzialisierung und Institutionalisierung des Schriftstellerberufs gleichzeitig Skepsis und Abwertung entgegen schlägt?

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Konzept und Organisation: Kevin Kempke, Lena Vöcklinghaus, Miriam Zeh

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01 | Claudia Dürr (Wien): Mythos Schreibschule. Der Blick des Feuilletons.

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02 | Johannes Franzen (Bonn): MFA vs. NYC. Vergleichende literatursoziologische Überlegungen zu einer Debatte in den USA

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03 | Kevin Kempke (Frankfurt/Main): Get a Life! – Zur Biographie als Ressource literarischer Produktivität

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04 | Katja Stopka (Leipzig): Zwischen Staatsauftrag und ästhetischem Eigensinn. Zur Geschichte einer Schreibschule in der DDR

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05 | Miriam Zeh (Frankfurt/Main): „Erlösung für Kurt“ – Schreibratgeber aus der Schreibschule

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06 | Marie Caffari / Johanne Mohs (Bern): We will crack it! Das literarische Mentorat als institutsspezifisches Schreibdispositiv

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07 | Sonja Lewandowski (Bonn): Blütenlese? Nabelschau? Schreibschulanthologien.

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08 | Wolfgang Hottner (Berlin): Betriebsromane (Planet Magnon, 10:04).

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09 | Christian Dinger (Göttingen): Als Proletarier unter Arztsöhnen. Clemens Meyer und das Deutsche Literaturinstitut Leipzig.

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Bei den drei kurzen Podiumsdiskussionen schrieb ich nur kurze Statements mit :

…stellten in je zwei Panels / Dreiergruppen ihre Insitutionen vor. Danach kamen alle sechs Gäste zu einer kurzen abschließenden Fragerunde aufs Podium.

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Klupp: „Kreatives Schreiben“ in Hildesheim war durchaus ein Alleingang, Schöpfungsakt von Ortheil. „Es ist doch schade, dass wir das Schreiben hier nur pädagogisch-therapeutisch nutzen, wir müssten das ästhetisch konzipieren.“

Aktuell beginnen jährlich 20 Studierende „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ im Bachelor; 15 machen den Master. Am DLL: 450 Bewerbungen pro Jahr.

Der realistische Roman? Damit macht eine Minderheit, ein Drittel unser Bachelor-Absolvent*innen, einen Abschluss. Lyrik, szenisches Schreiben, alle anderen Prosaformen: kleine Formen, Spielformen, alle Übergänge.

Dege, Leipzig: Während des Studiums beschäftigt man sich erst einmal hauptsächlich mit den Texten von anderen – und wir haben viele Bewerber*innen, die nur an ihren eigenen Texten interessiert sind.

„Mit wem können wir uns vorstellen, zu arbeiten?“ Diese Frage stellen sich beide Seiten nach einem Auswahlgespräch.

Klupp, Hildesheim: 300 Bewerbungen meist, 220 ist klar, dass das nichts wird. „Das ist ein Hochbegabtenstudiengang.“

Dege, Leipzig: eine produktive Feindschaft zwischen Gastdozent*innen und Studierenden kann sehr fruchtbar sein.

Ferdinand Schmatz, Wien: Wir benutzen den Begriff „Schreibschule“ nicht. Wir sprechen von Kunst, Kunsthochschule.

Brodowsky, Berlin: Die Studierenden sitzen über 200mal im Studium als 8er-Gruppe zusammen. Jeder Text wird von zwei unterschiedlichen Lehrenden angeschaut und fünf Stunden diskutiert. Handwerk, Selbstreflexivität.

Klupp, Hildesheim: Wer bei uns nicht den kompletten Kanon der Gegenwartsliteratur durchgeht, wird in diesem Studium nicht erfolgreich sein.

Brodowsky, Berlin: Erst Lesen, dann Schreiben.

Schmatz, Wien: Lesen war meine Universität. Ich habe ALLES durch Lesen gelernt.

Dege, Leipzig: Im zweiten Jahr gibt es das Pflichtmodul „Kenntnis exemplarischer Werke“ – unser Bildungslücken-Modul. Ein ganz intensives Lektüremodul.

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Andreas Altenhoff, Marie Caffari, Jörn Dege, Ferdinand Schmatz, Paul Brodowsky, Thomas Klupp und Julika Griem | http://www.schreibszene.uni-frankfurt.de/personen/prof-dr-julika-griem/

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Altenhoff, Köln: Alle Studierenden des Literarischen Schreibens stellen sich mit einer individuellen Leseliste vor.

Dege, Leipzig: Wir kriegen nicht mal ein ordentliches Sommerfest auf die Reihe: Prosanova organisieren, wie in Hildesheim? Unsere Studierenden? Das wäre unmöglich. Das kulturelle Angebot in Leipzig ist derart voll und ballt sich dann auch nochmal bei der Buchmesse ne ganze Woche… die Motivation ist nicht so groß, da fehlt die Eigeninitiative.

Schmatz, Wien: Feedback ist bei uns die Routine – die aber jedes Mal anders aussieht. Stil ist ständiges neues Erkunden.

Dege, Leipzig: Bei uns geht es zum Teil sehr bürokratisch zu: die Abgabetermine in Werkstätten sind entscheidend, strenge Anwesenheitspflicht. Wer einen Text in der Werkstatt besprechen lassen will, muss ihn eine Woche vorher allen zukommen lassen, damit genug Vorbereitungszeit bleibt. Wir empfehlen, dass keine Laptops auf den Tischen sind, sondern die kopierten Texte.

Brodowsky, Berlin: Die Ausbildung ist nicht völlig in den Wind geschossen. Viele werden Dramaturginnen etc. – doch nur zwei von 8 schreiben später vor allem Theatertexte. Wir sagen vorher: Das sind 4 Jahre eures Lebens. Überlegt euch das gut. Man hat danach keine Garantie, genügend kulturelles Kapital akkumuliert zu haben. Das genügt nicht, um sichere Jobs zu finden.

Dege, Leipzig: Bei uns unterrichten 13 sehr verschiedene Leute, in deren Arbeit Theorie einen jeweils ganz eigenen Stellenwert hat. Es gibt grundlegende Module und Seminare, in denen es viel um Theoretisches geht. Es geht darum, ein gemeinsames Vokabular zu entwickeln, damit wir über Texte sprechen und sagen können: Wie geht es einem da, bei der Lektüre. Weniger Interpretation und Analyse, sondern, um klar sagen zu können: Wie wirkt das auf mich, und wie hängt das mit der Machart des Textes zusammen?

Caffari, Biel: Schreiben braucht sehr viel Konzentration. Wir sind in einem Haus, die Studierenden können Tag und Nacht da sein und dort arbeiten. Wir reisen alle relativ viel. Autor*innen kommen uns in Biel besuchen… eine kleine, lebendige Plattform. Es stimmt: Manchmal ist es extrem ruhig, in Biel.

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