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Für Deutschlandfunk Kultur sah ich Staffel 1 von „Queer as Folk“ (2022)
Gespräch mit mir im Link (Audio, 6 Minuten)
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„Queer as Folk“-Neustart:
Viel Sex – aus Trotz und Wut
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Brodie ist 29, Schwarz und schwul. Er klingelt mitten in der Nacht an einem Einfamilienhaus in einem ruhigen Wohnviertel von New Orleans. Ein älteres Ehepaar parkte einen Neuwagen an der Straße, und als sie die Haustür öffnen und fragen, was Brodie will, wirft er ein Streichholz und das Auto explodiert in einem Feuerball. Um sein Leben scheint Brodie dabei nicht zu fürchten: Er steigt aufs Rad und fährt weiter. Die Polizei kommt nicht sofort – und für den Rest der Serie hat die cartoonhaft dramatische Explosion im Wohnviertel keine Folgen.
„Queer as Folk“ ist eine Serie über Wut und Widerständigkeit, Trotz und „Jetzt erst recht!“. Figuren, die an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden, feiern und wüten, tanzen, schimpfen und stören den Ablauf und die bequemen Lügen der Mehrheitsgesellschaft. Brodie lässt das Auto explodieren, weil das Ehepaar einen schwulen Sohn verstieß – doch sich den Wagen schenken ließ, nachdem der Sohn bei einem Anschlag auf einen queeren Nachtclub, das „Babylon“, von einem Faschisten erschossen wurde.
In acht Folgen zeigt die Serie, wie aus vielen Überlebenden des Anschlags eine queere Ersatzfamilie wird. Mingus ist 17, nicht-binär und verliebt sich in Brodie (Ende 20). Brodies Ex Noah Hernandez, ein Crystal-Meth-süchtiger Anwalt, veranstaltet Hauspartys und Orgien in seiner Villa und lädt auch Brodies schwulen Bruder ein, bei sich zu wohnen: Julian hat Lähmungen und Spastiken und wird von Ryan O’Connell gespielt, dessen halb-autobiografische Netflix-Serie „Special“ recht ähnlich (aber herziger) von Schwulsein und Behinderung erzählte.
Sex-Worker, Drag Queens und Aktivist*innen wie Marvin, eine nicht-binäre behinderte Person, die einen Rollstuhl nutzt, haben wichtige Nebenrollen und eigene Storylines. Juliette Lewis („Natural Born Killers“) spielt Mingus‘ alleinerziehende Mutter, und Kim Cattrall („Sex and the City“) nimmt sich als reiche, distanzlose Mutter von Brodie und Julian immer mehr Raum – denn Brodie ist Samenspender für die Zwillinge seiner besten Freundin Ruthie, einer trans Frau, und deren nicht-binärer Partner*in Shar. Darum greift viel zu kurz, „Queer as Folk“ als Serie „über Schwule (und einige Lesben)“ zu verstehen: Die Bandbreite und Vielfalt des Ensembles schafft Raum für vielfältige Geschichten. Nur ist hier jede Figur traumatisiert, hedonistisch und im oft kaum zu ertragenden Vermeidungs- und Selbsthass-Modus.
Folge 1 misslingt, weil den verzweifelten und freudlosen Figuren nicht viel einfällt außer, recht wahl- und freudlos zu feiern. Dann sterben neun Menschen bei dem Anschlag – und als Folge wird trotzig und noch freudloser weiter gefeiert. Ab Folge 4 (über eine Sex-Party, die möglichst barrierearm sein soll) wird „Queer as Folk“ sehenswerter: weil die Figuren versuchen, konstruktiver miteinander umzugehen. Am Ende der acht Folgen aber, die zunehmend trauriger werden, ist trotzdem fast jede Freundschaft und Beziehung zerrüttet oder als Großbaustelle dramatisiert. Eine verkrachte Serie für Kopfmenschen, nervös und voller Reue.
Ob „Queer as Folk“ eine zweite Staffel erhält, ist noch offen. Das britische Original (1999) hatte nur zehn Folgen – und auch dort sprengte Hauptfigur Stuart, ein weißer Yuppie, das Auto einer queerfeindlichen Mutter in die Luft (und schlief mit 29 immer wieder mit einem Fünfzehnjährigen). Die erste US-Version (2000 bis 2005) zeigte erst in Staffel 5 einen Bombenanschlag auf den Nachtclub „Babylon“ in Pittsburgh und hatte ebenfalls fast nur weiße Figuren: vor allem Schwule und einige Lesben. Die dritte, aktuelle Serie ist eine Art Remix und versucht, alles so intensiv, leuchtend, trotzig und dramatisch zu erzählen wie möglich. Weil Tod und Sterblichkeit, Drogen, Halluzinationen, Sex und Tagträume so zentral sind, erinnert die Serie vor allem an das Bestattungs-Drama „Six Feet Under“.
Auffällig neu und mutig an „Queer als Folk“ aber ist, wie unfreundlich viele Rollen sind (und sein dürfen!) und, dass die Serie nie tut, als würde irgendwer Schwaches irgendwem Mächtigem „Nettsein“ schulden: In der Logik der Serie ist es emanzipierend und legitim, dass du jede Person, die irgendwie mehr hat als du und sich an dich ranwanzt, möglichst wie Dreck behandelst – zum eigenen Vorteil und als Lerneffekt, damit die Welt merkt, wie sehr die Mehrheitsgesellschaft Minderheiten benutzt. Das ist oft unangenehm anzusehen. Aber radikal, und vielleicht einfach eine wichtige Lektion.
„Queer as Folk“: ab 31. Juli jeden Sonntag zwei Episoden auf Starzplay – dem Premium-Bereich von Amazon Prime.
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„Queer as Folk“, das wird ja oft als „das schwule ‚Sex and the City'“ beschrieben…
Weil viele Serien mit vier, fünf Hauptrollen EIN Milieu zeigen wollen, ja. Bei sowas ist wichtig, welche Bandbreite die Rollen abdecken, zum Beispiel von sozialen Schichten – und das neue „Queer als Folk“ versucht da viele Querschnitte. Viele Figuren sind auch nicht „er“ oder „sie“, sondern nichtbinär, zum Beispiel Mingus. Mingus ist 17, will Drag Queen sein und geht in einen Club in New Orleans, das „Babylon“. Erst hat Mingus Sex mit einem deutlich älteren Mann, auf dem Klo. Dann steht Mingus auf der Bühne – und ein Faschist feuert um sich und tötet neun Leute. Die Serie zeigt einen Freundeskreis aus Überlebenden nach dieser Tat. Mingus will in diese Clique, obwohl dort auch z.B. Mingus‘ Lehrerin ist, die trans Frau Ruthie: eine ältere Generation. Für alle Figuren geht es dann endlos um Trauma, Drogenprobleme, Verdrängung und sehr verzweifelten Sex.
Die ersten beiden „Queer as Folk“-Serien, 1999 und 2000, waren auch Komödien. Das klingt jetzt düsterer.
Ins britische Original sah ich erst jetzt zum ersten Mal lange – damals hörte ich immer nur: „Arbeiterstadt Manchester, bissiger Humor, ganz subversiv!“ – doch die Hauptrolle ist ein Yuppie in der Werbeagentur, monströs selbstbezogen. Empowernd fanden Leute das wohl damals, weil z.B. der Autohändler sagt „Kaufen Sie bitte nicht DEN Jeep: den kaufen Schwule. Zahlen Sie lieber fürs größte Modell“ …und eine Figur nimmt den Jeep und rast damit durchs Fenster des Händlers. Na ja. Und die bekanntere US-Version kam erst 2006 ins deutsche TV – da war ich schon viel bessere Serien mit Sex und queeren Figuren gewohnt, zum Beispiel „Six Feet Under“. Der Witz beim aktuellsten „Queer as Folk“ (2022) aber ist: Es ist genau wie „Six Feet Under“.
„Six Feet Under“, das war diese schwarze Komödie über ein Bestattungsinstitut.
Weil bei „Six Feet Under“ der Tod so präsent ist, denken alle Rollen oft aus dem Nichts: „Das Leben ist kurz. Ich lasse es krachen!“ Sie haben impulsiven Sex, nehmen wahllos Drogen… und so ist jetzt das neue „Queer as Folk“. Weil sie den Anschlag überlebten, geben sie jedem Impuls nach. Statt zu reden, wird betrogen – ich brauchte super-lange, um zu merken: Welche Taten soll ich witzig finden? Ist das queere Widerstandskraft, Resilienz? Soll ich mir Sorgen um die alle machen – weil: Niemand dort zeigt emotionale Intelligenz. Die Figuren sind Chaot*innen, super-messy. Leute kennen sich seit 10 oder seit 30 Jahren und haben sich die wichtigsten Sachen nie gesagt: Folge 1 dreht sich so beklemmend um dieses queerfeindliche Gemetzel. Dann kommt… „buntes, trotziges Chaos“, das mir Kopfweh macht. Und bald ist es nur noch Chaos, und gar nicht mehr witzig. Ab Folge 4 sah ichs gern. Doch am Ende, bei Folge 8, dachte ich: Oha – das mögen außer mir doch keine… vier Leute auf Welt: wie haltlos, wie trostlos da die Stimmung kippt.
Was lernt man dabei über queere, aktuelle Lebenswelten?
Folge 4 ist toll, weil es um selbstbestimmten Sex bei Behinderten geht und eine Sex-Party von und für Behinderte. Schade nur: eine (nicht-binäre) Person fährt Rollstuhl und denkt „Der Kerl, der mit mir flirtet, meint es nicht ernst. Ich bin ja behindert!“ Und dann gibt es noch einen Schwulen mit Halbseitenlähmung. Der denkt: „Der Kerl, der sagt, er liebt mich? Dem glaube ich nicht. Ich bin ja behindert!“ Also: zwei Behinderte, genau der selbe 08/15-Komplex. Ich finde alles hier viel provokanter und ambitionierter als z.B. das aktuelle deutsche Pendant, die ARD-Serie „All You Need“. Aber interessant, dass beides eine schwarze, schwule Hauptrolle hat, die Rassismus erfährt – aber zugleich aus einer reichen Familie kommt, und damit dann Intersektionalität erklärt: „Liebe Leute, einerseits bin ich doppelt marginalisiert: Ich bin Schwarz und Schwul. Andererseits habe ich durch Mamas Geld Privilegien.“
Also doch eine Empfehlung für die Serie?
Nein. Der Erfinder des Originals schuf letztes Jahr eine Serie über HIV in den 80ern – die ist ein Meisterwerk: „It’s a Sin“. Doch „Queer as Folk“ sagt jedes Mal: „Wir zeigen queeres Leben“ und stellt dann als Love Story zentral: „Wenn jetzt ein Schulkind dich halt WIRKLICH will, hat dieser 15- oder 17jährige schon auch ne Chance verdient? Auch, wenn du 30 bist fast!“ Im Original sagt Stuart, wie sexy es war, mit 12 zum Sportlehrer in die Dusche zu steigen und sich von diesem Lehrer anfassen zu lassen. Ich will keine Serie, die dauernd fragt: „Der Minderjährige und dieser 10, 15 Jahre ältere Mann: Wär das was? Sexy und selbstbestimmt! Der Jüngling will das auch SO sehr.“ Und darum mag ich gar keine Version von „Queer as Folk“ empfehlen.
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