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Für Deutschlandfunk Kultur sah ich die achtteilige Mini-Serie „Memorial Hospital“ (2022)
Gespräch mit mir im Link (Audio, 6 Minuten)
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Hurrikan-Serie „Memorial Hospital“
Behandlungsziel: Tod
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Ende August 2005 traf der Hurricane Katrina auf New Orleans. Dass fast 2000 Menschen starben, war oft erst eine Spät- und indirekte Folge des Sturms: Durch Dammbrüche wurden besonders die ärmsten Stadtviertel überflutet. Die Evakuierung verlief schleppend. Ab 2007 arbeitete Sheri Fink, Journalistin und Ärztin in Krisengebieten, an Reportagen und Artikeln zur Frage, warum im Memorial-Krankenhaus binnen fünf Tagen 45 Personen starben. Ihr Sachbuch „Five Days at Memorial“ (nicht auf Deutsch) erschien 2013. Schon 2010 erhielt sie den Pulitzer-Preis. „Memorial Hospital“, eine Miniserie auf Apple TV+, setzt das Sachbuch in acht Folgen als Katastrophen- und Justiz-Drama um.
An Apple-Serien fällt immer wieder auf, dass Optik, Kulissen, Produktionsdesign besonders hochwertig wirken sollen: gediegene Premium-Serien für ein (meist weißes, älteres) Publikum, das für Design viel Geld ausgeben kann und will. Auch an „Memorial Hospital“ wirkt nichts frisch oder jugendlich: Ärztinnen und Klinikchefs, meist zwischen 40 und 70 Jahren, regeln, planen und reagieren wie in einer besonders teuren, aber gesucht gestrigen Episode von „Emergency Room“. Ein Premium-Drama über studiertes Fachpersonal und den Jargon nüchterner Vollprofis. Vera Farmiga („Bates Motel“) spielt Chirurgin Anna Pou: fromm und stets um Barmherzigkeit bemüht. Cornelius Smith Jr. („Scandal“) ist einer der wenigen schwarzen Ärzte – und als im mehr als brusthohen Wasser rund um die Klinik Geschäfte geplündert werden und Schüsse fallen, merkt er, dass er sich draußen trotzdem zunehmend sicherer fühlen könnte als im Gebäude, wo weiße Kollegen mit Pistolen patrouillieren.
Ab 2017 wollte Ryan Murphy („Glee“, „Pose“) in seiner True-Crime-Serie „America Crime Story“ eine ganze Staffel lang von Dr. Anna Pou erzählen. Ein Glück, dass Regie und Drehbuch der Apple-Produktion dagegen bei John Ridley liegen, Drehbuchautor von „Twelve Years a Slave“ und Autor der großartigen „The other History of the DC Universe“-Comics: Ridley konzentriert sich nicht (wie viele True-Crime-Serien) auf Pous Familiengeschichte oder ihre Psyche. Sondern auf die größeren System-Missstände. Denn so routiniert und schnittig alle mächtigen Figuren entscheiden, so fragwürdig bis menscheinfeindlich wirkt bald, was sie als „alternativlos“ behaupten: Wer wird zuerst evakuiert? Für wen ist Geld da, Hilfe, Sonderwege und Hintertüren? Wer soll warten oder würde in einem Helikopter oder Boot vermutlich sterben – und sollen darum die Schwächsten und Hilfsbedürftigsten gar nicht mehr bewegt werden, nicht behandelt und kaum noch versorgt? Fünf erste Episoden der Serie zeigen Tag 1 bis 5. Drei viel langsamere, verkopft-analytische Nachklapp-Episoden fragen nach Ursachen und nach der Verhältnismäßigkeit aller juristischen Folgen.
„Memorial Hospital“ ist ein Meisterwerk: Schon Finks Buchvorlage ist faktensatt, dringlich und zeigt Rassismus, Behinderten-, Armen- und Dickenfeindlichkeit und deren tödliche Wirkungen überzeugend auf. Doch erst die Serie schafft konkrete Bilder und Stimmungen: Wem wird im Katastrophenfall geholfen? Wer hat eine Stimme im Kapitalismus? Wer soll warten, oder gleich verstummen und sterben? Welche Barrieren verhindern schnelle Hilfe? Fast alle Kritiken loben „Memorial Hospital“ dafür, dass „schwere moralische Fragen diskutiert werden“. Dabei sind viele Entscheidungen hier indiskutabel, ein moralischer Bankrott. „Wir werden keine lebende Person im Gebäude zurücklassen“, verspricht die Klinikleitung. Drei Tage ohne Strom und fließendes Wasser reichen, um daraus eine Drohung werden zu lassen. Das anzusehen ist unerträglich. Doch das anzuprangern ist unerlässlich: Entscheidungsträger*innen halten sich für Profis und Elite – und tun bald alles, um die Schwächsten zu übersehen.
„Memorial Hospital – die Tage nach Hurrikan Katrina“. 8 Episoden. Die ersten drei am 12. August 2022 – dann jeden Freitag eine weitere auf Apple TV+
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Die Serie beginnt wie ein typischer Katastrophenfilm. Gezeigt werden vor allem Ärzt*innen und Pflegekräfte.
…und sehr viel Krankenhaus-Verwaltung. Das ist wichtig, weil die Klink einem Konzern gehört – doch ein Bereich im siebten Stock gehört einem anderen Konzern: LifeCare. Immer, wenn die Klinik etwas entscheidet, rollt wer die Augen und sagt: „Ah stimmt, die 50 Betten da oben bei LifeCare. Na ja. Die müssen halt selbst kucken.“ In der Lobby und der Notaufnahme sind viele Leute aus der Nachbarschaft: Man bringt seine Haustiere mit und bleibt, bis der Sturm abklingt und das Wasser abfließt. Doch dann bricht ein Deich und bald ist klar: Gut 2000 Leute sind gestrandet – darunter 500 Patient*innen. Der Notstrom fällt aus. Es kommen keine Boote. Es gibt null staatliche Hilfe. Im Konzern-Büro in Texas sitzt EIN Bubi und telefoniert rum: Ob man noch irgendwo Rettungshelikopter mieten kann.
Triage heißt: Wenn die Mittel begrenzt sind, wem soll dann zuerst geholfen werden?
Zuerst wird Frühgeburten geholfen: die müssen in Brutkästen Treppen runter getragen werden, dann durch ein Parkhaus und hoch auf die Hubschrauber-Plattform. Aber: Geht das auch bei sehr alten Leuten? Bei Leuten im Rollstuhl? Bei sehr dicken Menschen? Nachts könnte wer von der Plattform stolpern. Also sagt die Klinik der Luftrettung: „Wir schlafen jetzt und machen erst bei Sonnenaufgang weiter.“ Weiße Ärzte laufen mit Waffen durchs Gebäude, weil sie Angst vor Schwarzen Gangs haben. Schwarze Familien, die zur Notaufnahme schwimmen, werden weggeschickt – und dann wird beschlossen: Wer getragen werden muss und in der Patientenverfügung angab „Nicht wiederbeleben“, soll warten bis zuletzt.
…weil alle, die „Nicht wiederbeleben“ angeben, im Endstadium einer tödlichen Krankheit sind?
Nein – das hat nichts miteinander zu tun. Ärzt*innen glauben, wer sowas angibt, hat wenig Lebenswille, und man will irgendeine saubere Hierarchie: „Wenn uns das Wasser ausgeht: Wer darf trinken?“ Dabei reicht das Wasser noch. „Für Haustiere ist kein Platz bei der Evakuierung: Wir schläfern die ein!“ Und dann ist doch Platz für Tiere – doch die meisten sind längst vorauseilend getötet. Menschen brauchen Hilfe und Pflege – und Ärzt*innen stellen zur Diskussion, ob sich diese Pflege lohnt und hören auf, zu behandeln. Sehr schnell wird klar: Wer Schwarz ist, wer dick ist, wer alt ist, wer behindert ist, wer keine Familie hat, die Druck macht, steht ganz hinten. Und dann sagen meist weiße Ärzt*innen: „Wir können jetzt nur noch eins für diese Leute tun.“ Einen Gift-Cocktail. Wer sagt: Das ist ne Serie über schwierige Fragen? Nein. das ist ne Serie über Behindertenfeindlichkeit, über Rassismus und über Konzerne. Alle sparen sich, den Schwächsten zu helfen – ich fands herzzerreißend, und ein Meisterwerk.
Es gibt eine Buchvorlage von Sheri Fink, „Five Days at Memorial“ (2013). Schon 2010 gewann Fink für eine Reportage über das Krankenhaus den Pulitzerpreis.
Die Serie ist besser, weil Apple wie immer sehr auf Oberfläche setzt und auf Ausstattung. Dieser Premium-Look hilft, das Krankenhaus wirklich zu sehen: Im Buch hatte ich beim Lesen kaum was vor Augen. Doch ich wollte es für mich unbedingt lesen, weil ich nach der Serie dachte „So viel offene Entmenschlichung: Was wurde da filmisch zugespitzt?“ Doch man hat nichts zugespitzt: Die Serie ist traurig akribisch. Nur kommt im Buch z.B. besser raus, dass die Ärztin, die glaubt, jetzt „helfen“ nur noch tödliche Mengen Morphium, so eine… christlich-katholische Erhabenheit hat, „Ich werde Mörderin genannt? Betet für mich!“, „Und was wir jetzt brauchen, sind Gesetze, dass Leute wie ich nie wieder polizeilich verfolgt und verklagt werden können. Ich wollte es doch allen nur erleichtern.“
Diese Aufarbeitung wird in drei von acht Folgen recht kleinteilig gezeigt.
Das kann man spröde finden – doch ich glaube, man muss das alles sehen: intensiv gefilmt und gespielt, eindringlich erklärt. Bei jeder Bedrohung stellen wir als Gesellschaft vorschnell zur Debatte, wie viel Extra-Schutz jetzt Behinderte brauchen, oder Arme, und ob wir uns diesen Schutz leisten wollen. Die Serie ist überhaupt kein Psychogramm EINER Ärztin vor fast 20 Jahren. Sondern zeigt Strukturen und Entsolidarisierung, die ich jeden Tag in der Pandemie sehe, in der Klimakatastrophe, in der Überflutung des Ahrtals. Behinderte werden dauernd als Ballast gesehen. Und die Barrieren, die im Katastrophenfall dann tödlich sind, die müssen JETZT abgetragen werden – nicht, wenn eh alle nur noch an sich selbst denken. Oder wenn ein Soldat schreit „Um fünf muss die ganze Klinik menschenfrei sein“ und eine Ärztin lieber denkt „Dann helfe ich den Leuten, zu sterben“ statt „Dann helfe ich den Leuten zum Ausgang.“ und niemand schreitet ein.
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