Nun muss ich meinem Unmut doch Luft machen. Ich kann es nicht mehr hören. Das, was ich in den letzten Jahren immer öfter und während der weltgrößten Büchershow in den vergangenen Tagen aber- und abermals zu hören bekam: Nämlich, dass die Zukunft des Buches elektronisch sei.
So ein Quatsch! Das Buch ist ein Trägermedium. Und zwar für Inhalte oder neudeutsch: für Content. Diesbezüglich stellt sich ja auch keiner mehr hin, um (je nach Standpunkt) mit Verve oder mit Wehmut zu erklären, dass deren Zukunft elektronisch sei. Ein Hinterwäldler, würden wir von ihm denken, einer der die Entwicklung komplett verschlafen hat … Haben wir uns nicht schon lange daran gewöhnt, dass die Digitalisierung in Alltag, Freizeit und Beruf fest Fuß fasste? Schließlich gehen wir seit Jahren selbstverständlich mit digitalisierten Inhalten um, sei es wenn wir Musik hören, fotografieren, uns mit Freunden und Bekannten in sozialen Netzwerken austauschen oder auf dem Rechner bzw. Smartphone Meldungen, Kommentare oder Informationen lesen.
Längst ist auch das elektronische Buch auf dem Vormarsch. Und die Buchbranche, die sich lange gegen die Entwicklungen gesträubt hat, stellt die Weichen ebenfalls neu. So mancher Verlag wagt sich auf Neuland. Sorgen muss uns auch nicht, welche Rolle die Frankfurter Buchmesse spielen wird, wenn es im großen Stil zukünftig das nicht mehr gibt, was bislang zwischen Buchdeckeln gehandelt wurde. Eine Messe für’s Non-Book? Das ist sie doch längst. Ein Think Tank für Überlegungen, wie sich Geschäfte mit dem machen lassen, was nach dem Buch kommt? Auch das wurde in Frankfurt viel diskutiert.
Fest steht jedenfalls: Nach all‘ dem Wehklagen, Lamentieren und Beharren darauf, dass keine Abkehr vom Buch stattfände, setzt sich nunmehr auch bei den Hinterwäldlern die Einsicht durch, dass die Tage für das gedruckte Buch gezählt sind. Das lässt sich beispielsweise auch eindrucksvoll an der Außenwahrnehmung ablesen, die das Frankfurter Buchspektakel heuer hatte. Sehr viel weniger Lobgesang auf Bücher, Autoren und die Buchkultur als noch in früheren Jahren, dafür umso mehr Abgesang! Wehmütig-polemisch etwa bei Sibylle Berg, martialisch bei Malte Herweg, der sich eine Guillotine besorgte, um sich seiner Bibliothek zu entledigen, oder bissig wie bei Robin Detje und seinem eBuch-Selbstversuch.
Und auf der Messe selbst? Auch dort standen die Folgen der Digitalisierung im Fokus. Ihre Berührungsängste haben Verlage inzwischen verloren. Angst macht nun nicht mehr das eBuch, sondern die Entwicklungen beim Self-Publishing, die Verlage kannibalisieren, wie Ina Fuchshuber von neobooks in Frankfurt meinte. Unverblümt sprach Messedirektor Boos in seiner Eröffnungsrede davon, dass wir es mit der größten Umbruchsphase seit Einführung der Druckerpresse, einem „Urknall im Publishing“ zu tun hätten. Fast könnte man meinen, dass sich die Buchbranche Mitte Oktober 2012 zu digitalen Ufern aufmacht. Ginge da nicht diese Mär, dass die Zukunft des Buches eine digitale sei …
Ich mag mir jedenfalls kein X mehr für ein U vormachen lassen. Digitaler Content ist keine Zukunftsmusik, sondern schon lange Realität! Insofern ist man gut beraten, sich diesem zuzuwenden. Auch diesbezüglich setzte Frankfurt, wenn wohl auch nicht als Trendscout, unmissverständliche Zeichen. Ob davon allerdings Zugkraft genug ausgeht, um die Versäumnisse der vergangenen Jahre wettzumachen? Die Buchbranche hatte ja nicht nur die Digitalisierung zu weiten Teilen verschlafen. Vielfach verlor sie auch einen Bezug zu Inhalten und Ehrfurcht vor jenen, die Inhalte schaffen. Statt auf die Qualität von Büchern zu achten, wurde auf Mainstream und Quantität, d.h. massenhaften Verkauf gesetzt. Lässt sich das wieder gutmachen? Mit einer Buch-Marketingkampagne des Börsenvereins, die „laut, überraschend, involvierend und aktivierend“ geplant ist, sicher nicht. Und mit lautschreierischen Aktionen, karnevalistischen Aufzügen, sensationellen Aufmachern und hippen Social Media Maßnahmen, derer Frankfurt auch voll war, ebenfalls nicht.