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Bloggen nach étiquette? Anmerkungen zur Gesprächsreihe mit bibliophilen Bloggern

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Dass lose Gespräche mit bibliophilen Bloggern ein brauchbarer Kompass sein könnten, um sich im Dickicht der buchaffinen Netzszene etwas besser zurechtzufinden, dies fand inzwischen viel positive Resonanz. Die Interviewreihe, die Petra Gust-Kazakos am 5. September an den Start brachte, nahm schnell Fahrt auf. Mit der Lesewelle, deren Urheberin sich gestern präsentiert hat, haben wir inzwischen 20 Blogs, deren Betreiber und Intentionen näher kennengelernt. Ein großes Dankschön gebührt allen Gesprächspartnern. Außerdem meine ich, dass man nun ein erstes Resümee versuchen könnte.

wie bei Tisch, so im Blog … © G.v.Prittwitz

Mit einer Frankophilen, die in Paris lebt, einem Türken aus Istanbul, drei Schweizerinnen, einem deutschen Blogger, der in Norfolk wohnt, zwei Literaturbloggern aus Österreich und allerlei Empfehlungen, die über die deutschen Sprachgrenzen hinausführen, kann man guten Gewissens behaupten, dass das Projekt internationales Flair entwickelt. Angenehm ist auch, dass das ungleiche Verhältnis zwischen den Geschlechtern, das ich am 30. September noch konstatierte, sich im vergangenen Monat etwas zugunsten der weiblichen Anteile verschoben hat. Die Frauen haben zwar aufgeholt, überholt haben sie die männlichen Buchblogger allerdings noch nicht.

Mehr als das Gender-Ungleichgewicht, das aktuell bei 8 : 12 liegt, überrascht mich, dass das Bloggen über Bücher und den Literaturbetrieb offenbar ein Kinderspiel ist. Abgesehen von Selçuk, dessen Plattform in der Türkei zweitweilig verboten war, schilderte bislang kein einziger meiner 20 Gesprächspartner, dass dabei dezidierte Probleme oder Hindernisse auftreten. Dies wiederum steht im Widerspruch zu dem Erfahrungsbericht eines Bücherwurms, der vor wenigen Tagen im Social Web seine Runden machte. Und zwar berichtete die Bloggerin über Situationen, in denen sie es hasst, ein Blogger zu sein. Wie das? U.a. musste sie sich gegen Bashing zur Wehr setzen, weil sie sich weigerte, unaufgefordert zugestellte Titel zu besprechen. – Doch lest selbst …

Solch negative Erfahrungen spiegeln die Interviewbeiträge hier jedenfalls nicht. Zwar beklagen die Gesprächspartner durchgängig Zeitmangel oder gewisse technische Probleme, die sich im Anfangsstadium allerdings legen. Selten wird die Sinnfrage gestellt: „Wozu machst du das eigentlich? Das liest doch eh niemand, das braucht die Welt doch nicht, niemand wartet auf deine Texte“, fragt Sandra Matteotti sich in ihrem Beitrag.

Gelegentlich stößt man auf Selbstzweifel, ob man den eigenen bzw. den Ansprüchen anderer genügt und ob man Atem genug hat, um kontinuierlich zu bloggen. Bisweilen schimmert auch durch, dass ausbleibende Resonanz und magere Klickraten die Freude am Bloggen mindern. Ab und zu wird zudem bemängelt, dass die Debattier- bzw. Kommentarfreudigkeit in der bibliophilen Netzszene nur wenig ausgeprägt ist. Im Großen und Ganzen stimmt man jedoch unisono darin überein, dass bibliophile Blogger keine Hürden zu nehmen hätten.

An einem solchen Bild einer „schönen heilen Blogger-Welt“ kratzen vereinzelt allerdings die Kommentare. So wurden beispielsweise im Zusammenhang mit dem ungleichgewichtigen Genderverhältnis Überlegungen angestellt, warum Bloggerinnen (in der öffentlichen Wahrnehmung) eine Minderheit stellen. Klausbernd beklagte die Tendenz, dass auf Blogs „eine Kultur affirmativer Inhaltslosigkeit“ gepflegt wird. An anderer Stelle legte er wiederum dar, dass es keine Perspektive sein kann, Kultur im Netz auf Dauer kostenlos zur Verfügung zu stellen. Und Dieter Wunderlich berichtete in einem seiner Kommentare von Situationen, in denen er sich ausgebeutet fühlt. Flattersatz thematisierte eine Abhängigkeit von der Plattform, auf der gebloggt wird, und Mila wies in einer Randbemerkung darauf hin, dass eine öffentliche Selbstdarstellung auch der Tendenz Vorschub leisten kann, sich in einem möglichst positiven Licht zu präsentieren. Deutliche Kritik an der Bloggerkultur übte Martin alias emhaeu, der Rumgekritzelt betreibt, in einem seiner Kommentare zum Gespräch mit Klausbernd:

In viele Blogs und Communities ist eine seltsame Höflichkeit eingezogen, im ursprünglichen Sinne: Courtoisie – Leben nach der Etikette des Hofes. Und wie in der Kultur der adligen Höfe der vorbürgerlichen Zeit zieht sich ein Regelwerk durch die Blogsphäre, die sowohl den Austausch wahrer Empfindungen als auch eine ehrliche Diskussion verhindert. […]. Fein, wer von uns würde nicht gerne ständig gelobt? Aber sind wir tatsächlich alle so schwach, haben wir ein derart zerbrechliches Selbstbewusstsein, dass jeder Anflug von Kritik vermieden werden muss, dass das „Like it“ zum Pflichtprogramm degeneriert? Wäre sehr schade, weil das Medium doch eigentlich wie geschaffen ist für einen Austausch.

Und nun frage ich mich, warum dieser Kuschelkurs, beobachtet ihr das auch? Und: Ist das etwa eine Besonderheit der bibliophilen Szene, dass man sich die Welt im Netz lieber heil und schön bzw. rosa schreibt?

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