Im Rahmen der losen Gesprächsreihe “Steglitz stellt Buchhändlerinnen und Buchhändler vor” hatte ich vorgeschlagen, dass Ihr Gastbeiträge beisteuern könntet. Schilderungen aus dem Buchhändleralltag oder, was auch immer… Erfahrungsberichte zum Beispiel: Was habt Ihr in Buchhandlungen erlebt? Woran denkt Ihr gerne zurück, was ist Euch aufgestoßen? Den Anfang heute macht Stefan Möller mit einer Polemik, die Zündstoff birgt. Ich danke dem Verfasser und würde mich freuen, wenn sein Mittun hier Schule macht.
Stefan lebt und arbeitet als Texter in Hannover. Begegnet sind wir uns vor Jahren via Twitter, wo er die Timeline als @Hedoniker bereichert. Er bloggt über Bücher, die jeder nichtdoofe Mensch gelesen haben sollte, und schreibt für diverse Online-Magazine Rezensionen. Bei Facebook findet Ihr ihn selbstverständlich auch.
Lieber stationärer Buchhandel, wir müssen reden! Eine Polemik von Stefan Möller
Es war doch mal schön mit uns, viele, viele Jahre lang. Warum hast du aufgehört, dich für mich zu interessieren? Was habe ich falsch gemacht? Ich habe mir doch wirklich Mühe gegeben. Hab dich regelmäßig besucht und viele Stunden mit dir verbracht. Waren wir nicht ein perfektes Paar? Gut, das Vergnügen war natürlich erkauft, ganz billig war es nie, dich zu besuchen. Aber dafür hattest du auch viel zu bieten. Du hast mich immer wieder überrascht. Hast mir Dinge gezeigt, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Aber es waren immer Dinge, die mich erfreut haben. Ja natürlich, ich wusste, dass du mir nicht treu bist, dass du immer auch das Verlangen nach Gewöhnlichem befriedigt hast. Aber es war mir egal, solange ich das Gefühl hatte, dass du dir für mich immer etwas Besonderes überlegt hattest. Es war schön, damals, und deshalb bin ich auch immer wieder zu dir gegangen und habe dich nie betrogen. Weißt du noch, wie es war, als ich bei dir Warlam Schalamow kennengelernt habe? An genau der Stelle, wo jetzt die historischen Romane stehen? Wie ich aus den Auslagen deines Lyrikregals, das vor einiger Zeit der Romantic Fantasy weichen musste, den Band von Monika Rinck zog?? Es war okay, dass du immer schon andere mit Lind, Wanderhuren und Wanne-Eickel-Cottbus-Bottrop-Hintertupfing-Krimis zufriedengestellt hast, wirklich! Trotzdem blieb diese Spannung, das Knistern zwischen uns. Jetzt langweilst du mich nur noch. Und das verzeihe ich dir nicht. Ordinär bist du geworden, wo früher Schönheit zu finden war, ist jetzt nur noch billige Tünche, die alles, was an dir mal attraktiv war, verkleistert hat. Ab und zu schaue ich noch vorbei, in der Hoffnung, dass du dich wieder geändert hast. Aber meistens schickst du mich weg und sagst, ich solle am nächsten Tag wiederkommen. Ich will das nicht mehr. Ich habe auch keine Lust mehr, mir von dir immer wieder leere Versprechungen machen zu lassen. Du sagst, du weißt, was gut für mich ist und fragst dann doch nur noch „Wie schreibt man das?“
Lieber stationärer Buchhandel, du sagst mir, dass es dir nicht so gut geht, dass deine Geschäfte auch schon mal besser liefen. Dass deine Kunden immer öfter jemand anders attraktiv finden. Dass sie dir weglaufen, dass sie immer weniger gedruckte Bücher lesen. Das tut mir leid. Und auch wieder nicht. Denn du bist selbst schuld. Hast dich darauf verlassen, dass man dir treu bleibt und dir immer weniger Mühe gegeben.
Liebe Buchhandlung Storm in Bremen, liebe Connewitzer Verlagsbuchhandlung in Leipzig, liebe Litera in Hannover – ihr seid immer noch schön, habt nichts an Attraktivität eingebüßt, euch gelten diese Zeilen nicht. Wärt ihr bei mir in der Nähe, ich würde diese Zeilen nicht schreiben. Ihr aber, die ihr 150 Exemplare von „Fifty shades of grey“, aber nicht einen Titel von Matthes & Seitz vorrätig habt; ihr, die ihr es eine tolle Idee fandet, immer weniger verschiedene Titel auf Lager zu haben, weil der ganze Plunder, den ihr Non-Book nennt und dessen Produktionsbedingungen euch weit weniger interessieren als die Arbeitsbedingungen bei Amazon, Platz braucht, ihr, die ihr mir jetzt mit Sicherheit sagen werdet, dass ihr euch nach dem Bedarf richten müsst und deshalb auf leicht Verkäufliches setzt, weil sich Gedichte schließlich nicht verkaufen (auch wenn diese Entwicklung, nach allem, was man so hört, ja auch nur so mittel funktioniert) – denkt einfach mal drüber nach. Denn ein so außergewöhnlicher Kunde bin ich nicht, es gibt viele von meiner Sorte. Menschen, die unter Literatur nicht Dan Brown verstehen, die Coelho nicht philosophisch finden; Menschen, die in einer Buchhandlung keine Schokolade kaufen wollen.
Derweilen bestelle ich im Internet, bei den Verlagen selbst, weil mir kein vernünftiger Grund einfällt, zweimal in einen Laden zu gehen, um ein Buch zu kaufen. Mit dem Paketauslieferer bin ich übrigens schon seit Langem per du.
Vielleicht wird es ja eines Tages wieder Zuneigung. Man soll die Hoffnung ja nicht aufgeben.
Dein
Stefan Möller
© Stefan Möller
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Wie nicht anders zu erwarten, regte Stefans Gastbeitrag vielfältige Diskussionen an. Nicht allein hier, sondern auf vielen anderen Kanälen im social Web. Eine Replik könnt Ihr auch auf Sophies Blog Literaturen lesen