SteglitzMind

Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben nannte man so etwas früher. – Ein Gastbeitrag von Gregor Keuschnig

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Im Rahmen der losen Gesprächsreihe “Steglitz stellt Buchhändlerinnen und Buchhändler vor” hatte ich vorgeschlagen, dass Ihr Gastbeiträge beisteuern könntet. Schilderungen aus dem Buchhändleralltag oder, was auch immer… Erfahrungsberichte zum Beispiel: Was habt Ihr in Buchhandlungen erlebt? Woran denkt Ihr gerne zurück, was ist Euch aufgestoßen? Nach der Polemik von Stefan Möller aka @Hedoniker „Lieber stationärer Buchhandel, wir müssen reden!“, die reichlich Wind machte, der Replik darauf von Lorenz Borsche und dem Brief des sterbenden Bildungsbürgers vom Krankenbett herab, dass kein Ausweg sei aus der Feder des Herrn Sandhofer, steuert heute Gregor Keuschnig einen Beitrag bei. Ich sage dem Verfasser danke und verhehle meine Freude nicht, dass die Gastbeiträge auf SteglitzMind vielfach und allerorts diskutiert werden. – So soll es sein.

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Wo ist der Mehrwert? Ein Gastbeitrag von Gregor Keuschnig

Da sage noch einmal einer, Fernsehen bewege heute nichts mehr. Die Amazon-Dokumentation Anfang des Jahres rückte die Unterbringungs- und Arbeitsbedingungen (nicht unbedingt die gezahlten Löhne) der saisonal bei Amazon beschäftigten in den Fokus. Plötzlich hatten die Medien nicht nur einen Buhmann entdeckt, sondern auch den Buchhandel. Derzeit ist es trendy, Amazon zu prügeln. Journalisten arbeiten sich mit Büchern an der „Datenkrake“ ab – die man dann wie selbstverständlich bei Amazon kaufen kann. In der FAZ beschwerte sich eine Studentin, die bei Amazon Aushilfsarbeiten verrichtet hatte, das ihr das Essen in der Kantine nicht geschmeckt habe.

Längst wird der alltägliche Einkauf von Gütern zu einer moralischen Aktion aufgeblasen. Alle kaufen nur noch „Bio“ (ohne genau zu definieren, was es bedeutet) und wollen „faire“ Preise bezahlen. Somit wird die Illusion erzeugt, aufgrund des Preises ein besserer Mensch werden zu können. Was bei Billigkleidung vielleicht noch funktioniert (wenn auch nur als Camouflage, denn auch teure Handelsmarken lassen in Bangladesh, Indien oder China produzieren), scheint bei Büchern nicht möglich. Es gibt hier streng genommen keinen Preiswettbewerb. Es herrscht Buchpreisbindung. Der Markt sortiert sich aufgrund dessen, was man Kundendienst nennt.

Der Lobbyverband der Buchhändler hat seine neue Chance entdeckt. Der Leser soll, damit er (sie) sich besser fühlt, im „stationären Buchhandel“ einkaufen. (Alleine das Wort klingt schon, als sei da jemand in ein Krankenhaus eingeliefert worden und benötige dringend Hilfe.) Oft genug wird das dann ein Laden jener Buchhandelsketten sein, die, was dezent verschwiegen wird, mit dem Knechten der Verleger angefangen und die Büchertische in den letzten Jahren mit leicht gängiger, kommerzieller Scheißhausliteratur vollgestopft haben. Die rüden Methoden mit denen vor einigen Jahren die Verlage gepiesackt wurden, sind jedoch scheinbar vergessen (aber nicht unbedingt abgestellt). Damals wurde auch der Konzentrationsprozess noch wortreich beklagt und schon 2007 das Totenlied für die kleinen Buchhandlungen, die der Markt- und Übermacht der Thalias, Hugendubels und wie auch immer nicht gewachsen seien, angestimmt.

Es ist also noch gar nicht so lange her, dass diese vermeintlichen Heuschrecken des Buchhandels, die sich nun über Amazon beklagen, selber in der Kritik standen. Jetzt werben sie mit ihrem individuellen System der Kundenberatung. Dabei braucht man sich nur ihre Webseiten anzusehen, um den Wind zu erahnen, der dort weht. Wenn diese Leute ihre Buchempfehlungen tatsächlich ernst meinen, möchte ich von ihnen nicht einmal ignoriert werden. Der Begriff der Rezension, bei Amazon von allzu vielen Teilnehmern pervertiert, fristet hier auch nur noch ein erbärmliches Dasein: Es gibt fünf oder sechs Zeilen. Der potentielle Leser will ja angeblich nicht überfordert werden. (Und da habe ich schon Ambitionierteres auf Amazon gelesen.)

Aber wenn es gegen Amazon geht, werden neue Allianzen geschmiedet. Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben nannte man so etwas früher. Und das jetzt ausgerechnet diese Konzerne ein E-Book-Lesegerät mit entsprechender moralischer Aufladung gegen den „Moloch“ Amazon anbieten, ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten.  Es könnte im Übrigen ein ökonomisches Desaster werden. Ich denke an den sogenannten „Formatkrieg“ der Videorekordersysteme der 1970er/80er-Jahre und die Hybris von Grundig und Philips, den weltweit agierenden Platzhirschen mit einem eigenen Format die Stirn bieten zu wollen. (Das Ergebnis ist bekannt.)

Die Wortmeldungen hier auf SteglitzMind zeigen, dass es noch eine gute Buchhandlungsdichte unabhängiger Läden gibt – mindestens in den Städten oder Speckgürteln. Aber auch hier ist das Mitschwimmen im Strom nötig. Und man mache sich nichts vor: Literatur, die nicht bereits auf Seite 8 irgendwie „authentisch“ oder „spannend“ daherkommt, wird inzwischen sowohl von großen Teilen der Kritik als auch vom Publikum als „elitär“ angesehen und mit spitzen Fingern ins Regal zurückgestellt. Das hat auch damit zu tun, dass der Literaturbegriff längst auf Elke-Heidenreich-Niveau heruntergekommen ist. Ihr debiler „Lesen!“-Missionarismus, der „süffige“ und „gut zu lesende“ Bücher abfordert wird mehr oder weniger bereitwillig von der Branche nachgeplappert. Als sei der bloße Lesekonsum schon per se richtig. Hinzu kommt auch noch, dass der Egalitarismuswahn Einzug gehalten hat. Das lustig-freche Bekenntnis man brauche keinen Verlag mehr und publiziere jetzt auf eigenen Wegen, zeigt in diese Richtung. Dass man damit eine Seifenkiste mit einem Mittelklasse-PKW vergleicht, stört kaum noch jemand.

Ich kenne sehr kleine Verlage, die mit viel Enthusiasmus einige Bücher herausgebracht haben und nun abseits von den Buchhandelsketten versuchen, diese in ausgewählten, freien Buchhandlungen zu vermarkten. Unnötig zu sagen, wie schwierig das ist, denn in den gängigen Multiplikatoren werden solche Titel kaum behandelt. Der Buchhändler müsste also den Kunden darauf aufmerksam machen. Das wiederum bedingt, dass er es gelesen haben muss. Dafür würde aber Zeit benötigt, die dann für ein Buch aus dem Hanser- oder Suhrkamp-Paket fehlt. Dabei ist nicht einmal schlimm, dass der Händler diese Bücher nicht möchte. Man kann das ja vielleicht noch verstehen. Aber er kann noch nicht einmal auf sie hinweisen – weil er von ihrer Existenz gar nichts weiß. Der Amazon-Algorithmus kennt aber kein „Nicht-Kennen“. Natürlich ist er auch nach kommerziellen Kriterien programmiert. Aber die Möglichkeit, dass man auf Bücher kleinerer Verlage, die ein auch noch so williger und interessierter Buchhändler gar nicht alle kennen kann, aufmerksam wird, ist dort eben gegeben. Ich kenne durchaus Kleinverleger, die diesen Algorithmus begrüßen und hierüber – trotz unverschämter Rabattierungen – ihr Geschäft ausgedehnt haben. Derzeit ist es aber mehr en vogue ins gegenteilige Horn zu blasen, sich wortreich und kurzzeitig publikumswirksam am Ende jedoch folgenlos von Amazon zu verabschieden.

Da gibt es ja noch die persönliche Beratung. Das ist gut und schön. Ich erinnere mich noch an die frühen 1990er Jahre, die Buchhandlung Boltze in Mönchengladbach, auf der Hindenburgstraße. Holzregale; ein dezenter Tisch mit Neuerscheinungen. Samstags gegen 11 Uhr traf die Chefin ein; eine schon etwas ältere Dame, mit Stil und Hochfrisur. Die Angestellten wussten schnell, welche Bücher ich mochte und eventuell mögen konnte. Dennoch nahm ich das Angebot einer Beratung fast nie an. „Ich schaue nur“, war mein Standardsatz (und ist es geblieben), weil es mir immer noch peinlich ist, den Enthusiasmus eines Lesers, der auch zufällig Buchhändler ist, abzulehnen (Nicht-Kauf) oder ihm aus Mitleid nachzugeben (Kauf).

Ja, das waren noch Zeiten. Wo man in Ruhe stöbern konnte, ohne von Plakaten des neuesten Bestsellerdrecks belästigt zu werden. Auch heute noch gibt es solche Refugien und unter den Buchhändlern tatsächliche Leser. Das ist sehr schön. Aber wer kann schon bei der Fülle der Neuerscheinungen (wobei Quantität mit Qualität nicht zu verwechseln ist) auch nur annähernd einen Überblick behalten? Wer kann mir etwas zu aktuellen literaturwissenschaftlichen Büchern zu einem bestimmten Thema sagen? In den Computer schauen kann ich selber. Wer dann der Branche was Gutes tun will, benutzt die häufig genug angebotenen Leseproben und kann dann in der Buchhandlung seines Vertrauens das Buch bestellen.

Wer um 1960 herum geboren ist, hat das Sterben der Tante-Emma-Läden miterlebt. Mit großem Pompöse drangen große, sogenannte Supermärkte in die Städte (und später noch größere außerhalb von ihnen) ein. Sie waren sogar billiger – anfangs. Kaufvorgänge wurden rationalisiert, einzelne Handgriffe muss nun der Kunde selber vornehmen. Das Schwätzchen im Laden, das persönliche Momentum, blieb auf der Strecke. Und längst gibt es Projekte, dass man den Bezahlvorgang demnächst ohne Personal abwickeln soll. Insgeheim passt diese zunehmende Anonymisierung durchaus in die Zeit: Lebensmittel werden heute in Eile angeschafft, lieblos in den Wagen geworfen. Man stellt sich in einer Schlange an. Und wenn dann eine ältere Dame mit dem Kassierer ein bisschen länger spricht, scharren die Kunden mit ihren Wägelchen und brüllen ihr „Ich komme später“ in das Mobiltelefon.  Eine solche Strukturveränderung wie weiland der Lebensmittelhandel macht die Buchbranche seit Jahren durch – und zwar schon deutlich vor Amazon. Dessen steriles Konzept ist aber sowohl für den gelegentlichen Buchkäufer als auch für den Feuilletonleser offensichtlich attraktiver. Die Frage, die man sich viel zu wenig stellt, lautet: Warum eigentlich?

Wenn die Beratung, wie man überall lesen kann, derart wichtig und gut ist – warum wird sie dann immer weniger in Anspruch genommen? Der Hauptgrund: Der potentielle Leser ist heute deutlich informierter als noch vor vielen Jahren. Er (Sie) hat längst einiges über das Buch gelesen oder gehört. Das ist zunächst etwas Gutes. Der Buchhandel muss darauf eingehen. Wer jemand mit einem festen Buchwunsch in den Laden kommt, könnte/müsste auf andere Bücher hingewiesen werden können. Und zwar kompetent und jenseits gängiger Beststeller-Listen. Und warum nicht Veranstaltungen mit Leseproben verschiedenster Neuerscheinungen anbieten und dabei auf Rezensionen eingehen? Und bitte auch „umstrittene“ Sachen aufnehmen und nicht immer diesen Rosarot-Infantilismus, der bei den „Buchenthusiasten“ wie eine ansteckende Krankheit zu grassieren scheint, wenn man sich entsprechende Foren ansieht. Warum nicht Leserzirkel einrichten, die zu bestimmten Zeiten öffentlich über Leseerfahrungen reden? (Das funktioniert online schlecht, aber vielleicht „im richtigen Leben“.) Raffiniert konstruierte Webseiten könnten diese Maßnahmen unterstützen und das „Ein-Click“-Kaufen schlichtweg kopieren. Es ist erwiesen, dass virtuelle Käufe schneller getätigt werden, als mit Büchern über zwei Stockwerke zur Kasse zu gehen.

Der Buchhandel muss dem Kunden einen Mehrwert bieten. Das macht man nicht, in dem man überall die gleichen Bücher auslegt, nur damit der übliche Pawlowsche Reflex des Lesefutterknechts befriedigt wird, der seine zwei Bücher pro Jahr kauft, weil ihm diese von den üblichen Verdächtigen in Funk und Fernsehen wie das sprichwörtliche Sauerbier angepriesen worden sind. Das macht man auch nicht, in dem man Bücher wie sakrale Gegenstände überhöht. Das Gegenteil müsste passieren: Nicht das Bücherlesen ist exotisch, sondern das Nichtlesen. Ich kenne Leute – und nicht nur aus sogenannten „bildungsfernen“ Schichten – die sich damit rühmen, nicht zu lesen. Lesen gilt auch als elitär, weil es von denen, die davon leben, elitär gemacht wurde.

Um nicht in falschen Verdacht zu geraten, setzt man für Nichtleser immer häufiger einen „Disclaimer“: Nein, das ist kein Plädoyer für Amazon. Oder gar gegen den Buchhandel. Die Welt ist komplizierter als „Amazon  = böse“ und „Buchhandel = gut“. Gut gemeinte Ratschläge, sich mehrmals zum Buchhändler zu begeben, um seine Bücher dann irgendwann einmal in Händen zu halten, sind von der bräsigen Arroganz des Ignoranten. Leute, die derart argumentieren, werden hinweggefegt werden von der Realität. Und das ist vermutlich auch gut so.

© Gregor Keuschnig

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