Im Rahmen der losen Gesprächsreihe “Steglitz stellt Buchhändlerinnen und Buchhändler vor” hatte ich vorgeschlagen, dass Ihr Gastbeiträge beisteuern könntet. Schilderungen aus dem Buchhändleralltag oder, was auch immer… Erfahrungsberichte zum Beispiel: Was habt Ihr in Buchhandlungen erlebt? Woran denkt Ihr gerne zurück, was ist Euch aufgestoßen?
Nach der Polemik von Stefan Möller aka @Hedoniker Lieber stationärer Buchhandel, wir müssen reden!, die reichlich Wind machte, der Replik darauf von Lorenz Borsche, dem Brief des sterbenden Bildungsbürgers vom Krankenbett herab, dass kein Ausweg sei aus der Feder von Sandhofer, Gerrit van der Meers persönlichem Bericht Draußen vor der Tür. Als arbeitsloser Buchhändler nachts in einer fremden Stadt und Guido Rohms Abgesang Ein Ort für Elben steuert heute Norbert W. Schlinkert einen Beitrag bei.
Norbert, der auch als bildender Künstler unterwegs gewesen ist, veröffentlichte 2005 seine Studie „Wanderer in Absurdistan. Novalis, Nietzsche, Beckett, Bernhard und der ganze Rest“ (Königshausen & Neumann) und wurde 2009 mit seiner Studie „Das sich selbst erhellende Bewußtsein als poetisches Ich. Von Adam Bernd zu Karl Philipp Moritz, von Jean Paul zu Sören Kierkegaard“ promoviert; das Buch erschien Ende 2010 im Wehrhahn-Verlag. Für sein aktuelles, soeben beendetes Romanprojekt wurde ihm 2010 ein Aufenthaltsstipendium des Künstlerdorfes Schöppingen zugesprochen. – Kennengelernt haben wir uns, weil er sein literarisches Weblog Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen im Rahmen der Steglitzer Blogger-Interviewreihe auf Empfehlung von Phyllies Kiehl aka Miss TT vorgestellt hat. – Ich sage Norbert für seinen Gastbeitrag danke.
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Vorsicht Buchhandel! Zu Risiken und Nebenwirkungen … Von Norbert W. Schlinkert
Mich sieht selten eine Buchhandlung in sich hineinspazieren. Dabei konnte ich mir bis Mitte der 1990er Jahre kaum Schöneres vorstellen (einiges natürlich schon), als in eine hineinzugehen und dort das Angebot auf mich wirken zu lassen. In meiner Jugend habe ich, in einer Kleinstadt im südöstlichen Ruhrgebiet mit kaum 50.000 Einwohnern, oft Stunden in der Buchhandlung verbracht und mich zum Beispiel entscheiden müssen und vor allen Dingen können, welche Dostojewski-Übersetzung von „Der Idiot“ ich kaufen soll – die Bücher standen im Regal. Mit ellenlangen Wunschlisten habe ich mit dem Rad Pilgerfahrten zu den Dortmunder Buchhandlungen unternommen und bin manchesmal nach Münster getrampt – alles der Bücher wegen, die ich in Augenschein nehmen, in die Hand nehmen wollte, die ich hineinlesend ergründen wollte. Zu Beginn meiner Zeit in Berlin fuhr ich noch von Prenzlauer Berg zu Kiepert am Ernst-Reuter-Platz, bis die sich entschlossen, alles bunt und lustig und kommunikativ zu machen, nur um pleite zu gehen. Alles vorbei!
Nun, angesichts der Buchhändler:innen-Interviews auf SteglitzMind habe ich mich also gefragt, warum ich nicht mehr in Buchhandlungen gehe. Warum ich als Cineast kaum mehr ins Kino gehe, das weiß ich, aber warum nicht mehr zu den Büchern? Ganz einfach, sie sind nicht mehr dort, sie warten nicht mehr auf mich und die anderen Leser meines Schlages. Bin ich aus der Zeit gefallen? Liegt es an mir? Nicht etwa, dass es nicht vereinzelt gute Buchläden gäbe, aber da muss man schon Glück haben, dass sich einer in der Nähe befindet. Zugegeben, ich bin inzwischen eindeutig überqualifiziert und kann nicht erwarten, meine Interessen in einer jeden Buchhandlung berücksichtigt zu finden, es sei denn, es handele sich um eine sogenannte Universitätsbuchhandlung, aber auch da wäre ich inzwischen skeptisch angesichts der um sich gegriffenen Verschulungstendenzen an den Hochschulen, die mehr und mehr zu reinen Ausbildungsstätten für die Wirtschaft verrohen.
Komme ich denn nun nicht mehr an meine Bücher? Doch, natürlich, und zwar wie viele andere Leser auch – ich bestelle sie selbst, oft antiquarisch, und lasse sie mir zu „meiner“ Packstation schicken, wo ich sie auf dem Rückweg vom Einkauf abhole. Eine Buchhandlung würde bei diesem Prozess nur stören. Selbstverständlich, das wäre ein Einwand: Ich könnte das Buch, wenn es sich um ein Neubuch handelt, das der Zwischenhändler auf Lager hat, auch auf der Website einer kleinen Buchhandlung bestellen. Warum tue ich das nicht? Nun, abgesehen davon, dass viele Buchhandlungen inzwischen ästhetisch höchst fragwürdig kunterbunt aussehen wie Kindertagesstätten, und sich auch nicht selten so anhören, habe ich mir zwei, drei Mal diese Blicke der Buchhändlerinnen angetan, die unverhohlen die Nachricht aussendeten, dass sie mich für einen Spinner halten, einen Menschen, der „schwierige“ Literatur liest und gar noch philosophische Bücher. Da fühlte ich mich fehl am Platze, ausgegrenzt und vertrieben. Entschuldigen Sie bitte meine Empfindlichkeit!
Warum machen eigentlich die Buch-Zwischenhändler keine Buchläden auf? Aus dem gleichen Grund, warum die Anbieter von Haushaltsgegenständen und Goldschürfausrüstungen nicht auf Goldsuche gehen. Das Gold wird nämlich immer weniger, je mehr danach suchen. Klar ist das kein gutes Beispiel für den Buchhandel, alle Beispiele hinken, weswegen man am besten das Original betrachtet. Doch was ist das Original? Meiner Ansicht nach ist das Original die immer noch sehr bunte Verlagslandschaft in Deutschland, getragen vor allem von viel, sehr viel aufopferungsvoller Arbeit der Autoren und Verlage und Lektoren und Übersetzer und geschützt von der Buchpreisbindung – fiele diese, so setzten sich auf dem Markt schnell die durch, die mit einer Ware handeln, die nur zufällig Buch heißt und nicht Banane.
Ich kann mich wie die meisten Menschen sehr gut ohne Buchhändler über Bücher informieren, die noch nicht beworbene kommende Massenware mal ausgenommen – warum also, die Frage wird nicht weniger, eine Buchhandlung aufsuchen? Ab und zu gucke ich bei einem Discount-Buchhändler nach preisreduzierten DVDs, manche kaufen da regelmäßig ihre Schokolade. Es scheint allerdings, wie ich neulich mitbekam, eine Kampagne des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zu geben, die alle Menschen zum Buchhändler ihres Vertrauens und zum Buch selbst führen soll. Drei Millionen Euro hat sich der Börsenverein das angeblich kosten lassen, an Geld scheint es denen ja nicht zu mangeln, wenn ich auch ein wenig daran zweifle, ob der Name der Kampagne gut gewählt ist, nämlich „Vorsicht Buch!“ Abgesehen davon, dass die meisten Menschen davon sicher noch nichts gehört haben, sollte es, angesichts der Realität, wohl eher heißen „Vorsicht Buchhandel!“ – zu Risiken und Nebenwirkungen …
© Norbert W. Schlinkert 2013