„Der Weg Berlins zur Metropole dauerte doch länger als gedacht.“ Gespräche mit ehemaligen DDR-Buchhändlern

Meinen hier publizierten Versuch, die Bedingungen des sozialistischen Literaturvertriebs und den Strukturwandel des ostdeutschen Buchhandels infolge der Privatisierung zu skizzieren, habe ich mit der Bitte verknüpft, dass sich Zeitzeugen mit ihren Erfahrungen einbringen mögen. Einiges hat uns bereits Heike Wenige wissen lassen. Im ersten Teil unseres Gesprächs erinnert sich Holger Brandstädt an die Jahre 1989/90. Heute geht es um seine Erfahrungen infolge der Privatisierung des ostdeutschen Buchhandels und im letzten Teil werden wir u.a. über die wechselhafte Geschichte der „Friedrich-Wagner-Buchhandlung“ in Ueckermünde sprechen, die Holger Brandstädt 2001 übernommen hat.

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Neben anderen Filetstücken übernahm die „Berliner Buchhandelsgesellschaft Bouvier und Nicolai“ GmbH (BBN) im Juli 1990 das „Internationale Buch“. Welche Folgen hatte das?

Es kam westdeutsches Kapital in den Betrieb, dazu Know How. Die Pressesprecherin der BBN war Monika Grütters, jetzt Kulturstaatsministerin. Thomas Grundmann aus Bonn und Sönke Christiansen aus Hamburg, dazu Dieter Beuermann von der Nicolaischen in Berlin, da konnte man sich schon gut aufgestellt fühlen. Es gaben sich reihenweise Autoren die Klinke in die Hand und mit viel PR wurde versucht, die BBN-Läden als Platzhirsch zu etablieren. Was auch gelang, denn zum Anfang wagte kaum ein großes Buchhandelsunternehmen den Sprung nach Ostberlin. Erst mit dem Bau neuer Einkaufcenter kamen Mitbewerber in die Stadt.

Waren die Arbeitsplätze nach der Übernahme garantiert?

Erstmal ja, aber mit den ersten Filialschließungen kam es auch zum Personalabbau. Ich denke schon, dass versucht wurde, die Leute möglichst lange woanders unterzubringen. Letztlich war das aber nicht zu halten. Ich selbst war ganz gut aufgestellt, da verliert sich der Blick für die Kollegen leider. Einige sind aber wohl auch durch Studium und andere neue Lebenssituationen ausgeschieden. Die Welt war plötzlich größer geworden, da brauchten sie die Nische nicht mehr.

Wie schätzen Sie im Nachhinein das Joint Venture der Berliner Buchhandelsgesellschaft mit Bouvier und Nicolai ein?

Es war ein spannender Versuch, der Ost und West zusammenführte. Ich sehe noch meinen Filialleiter an einer Karte erklären, wie unser Einzugsgebiet sich denn in Zukunft zusammensetzen würde. Allerdings brauchte es dann noch über 20 Jahre bis dieses Szenario Wirklichkeit wurde und die Bewohner der Stadt die nun unsichtbare Grenze überschritten. Leider hatte die Buchhandlung diese Zeit nicht.

1990/91 haben Sie in Bonn und Köln Praktika bei Bouvier gemacht. Wie waren Ihre Erfahrungen?

Holger Brandstädt vor seiner Friedrich-Wagner-Buchhandlung © privat

Holger Brandstädt vor seiner Buchhandlung © privat

Die BBN wollte Synergien nutzen und ihre Mitarbeiter intern fit machen. Ich wurde für einen Austausch vorgeschlagen und habe dann mehrfach Wochen in den Bouvier-Flagschiffen verbracht. Die „Universitätsbuchhandlung“ in Bonn war meine erste Station. Ich war damals erst ein paar Monate im Buchhandel, aus dem Osten und noch dazu ungelernt. Auf beiden Seiten war die Unsicherheit wohl recht groß, was da auf einen zukam. In Bonn stand zu dieser Zeit ein Leitungswechsel an, vom klassischen Buchhandel zu einem sich ausschließlich an betriebswirtschaftlichen Zahlen ausgerichteten Unternehmen. Das Gleiche habe ich ein paar Jahre später bei Wohltat erlebt. – In beiden Fällen wurden die Firmen von den Prokuristen an die Wand gefahren. Das war eine wichtige Lehre für mich: Es geht nur mit den Mitarbeitern und, klar, insgesamt muss es sich rechnen, einzelne Teile müssen jedoch nicht immer sofort Gewinn abwerfen. Manches braucht Zeit und bringt erst auf den zweiten Blick etwas.

Das „Buchhaus Gonski“, wo Sie ebenfalls gelernt haben, galt in den 1990ern als ein Meilenstein im Kölner Buchhandel …

Das „Buchhaus Gonski“ war dann noch mal ein ganz anders Konzept als die Bonner Unibuchhandlung mit ihrem angeschlossenen wissenschaftlichen Verlag und der Kunstabteilung. Gonski war ein Buchkaufhaus mit Rolltreppe und Café – nur leider war der Kölner Neumarkt von Großbuchhandlungen umstellt. Die Fläche war sehr personal intensiv und alles andere als optimal zugeschnitten. Beide Buchhandlungen einte ein riesiges Angebot, das aber auch viel Tapete beinhaltete. In Bonn stand Reclam Stuttgart 1x numerisch und 1x alphabetisch geordnet – komplett! Und dann gab es noch ein paar Regale, in denen die besser verkäuflichen Titel der RUB standen. Neu war für mich der EDV gestützte Zugriff auf ein eigenes Zentrallager und der Umgang der Kollegen untereinander. Private Kontakte unter Mitarbeitern waren von der Firmenleitung nicht gern gesehen. Da war es schon etwas Besonderes dem Ostimport die abendliche Kneipenszene zu zeigen. Im Osten interessierte das keinen und natürlich waren wir Buchhändler untereinander befreundet. Wie auch immer, es war eine spannende Zeit. Ich wurde von den Kollegen in Bonn und Köln gut aufgenommen und hab mich wacker geschlagen – eine Erfahrung, die mich beruflich sehr stärkte.

In dieser Zeit haben Sie ein Fernstudium absolviert. Wurden Sie dabei aus Fördertöpfen unterstützt?

Das Studium wurde vom Landesverband Baden Württemberg und dem Börsenverein gefördert und veranstaltet. Neben Lehrbriefen und Aufgaben gab es Seminare in Leipzig und Stuttgart, eine interne Abschlussprüfung und daran anschließend eine bei der IHK in Berlin. Der Fernunterricht war eine gezielte Fördermaßnahme für Seiteneinsteiger überwiegend aus den neuen Ländern.

Im August 1992 kam das Aus für die „Berliner Buchhandelsgesellschaft Bouvier und Nicolai“ (BBN). Welche Folgen hatte diese Zäsur für Ihren Betrieb?

Schon zuvor mussten erste Filialen geschlossen werden, weil Mietverträge gekündigt wurden. Das „Gute Buch“ am Alexanderplatz gehörte dazu und die „Buchhandlung Unter den Linden“. Deren Leiter übernahm das „Internationale Buch“, setzte überall seine Leute aus Schlüsselpositionen ein und ging dann trotzdem baden. Die Chemie in der Buchhandlung stimmte nicht mehr, die Umsätze blieben hinter den Erwartungen zurück und die westdeutschen Partner wollten wohl ihr Engagement nicht bis ins Ungewisse ausdehnen. Der Weg Berlins zur Metropole dauerte doch länger als gedacht. Zuerst wurden nach Sozialplan vor allem junge Mitarbeiter entlassen. Diese fanden dann häufig wieder eine Anstellung. Wer durch Protegé oder aus Altersgründen bleiben durfte, hatte es anschließend deutlich schwerer.

Nach dem Zerfall der BBN kamen Sie zur Wohlthat’schen Buchhandlung GmbH; eine Gruppe, die durch Zukäufe in Ostdeutschland nach 1990 stark wuchs, inzwischen aber nicht mehr existiert. Wie haben Sie die Expansion damals wahrgenommen?

Ich arbeitete zuerst für Wohlthats in Berlin/Marzahn, später dann in Berlin/Weissensee und zuletzt als Filialleiter in Berlin/Friedrichshagen. Während der ganzen Zeit war die Transformation vom Alt68er-Unternehmen zum ’normalen‘ Buchdiscounter in Bewegung. Dazu trugen die Zukäufe im Osten wesentlich bei. In diesen herrschte eine ganz andere, eher autoritär geprägte Unternehmenskultur. Es gab Filialen, die vom Personalchef geführt wurden, dem leider viel zu früh verstorbenen Klaus Roggenhausen, und welche, die der Prokurist Ojars Baumeister leitete. Beide standen für völlig unterschiedliche Konzepte in der Personalführung. Der Kampf der Firmenleitung gegen die Bildung eines Betriebsrates zeigte, wie fern die linken Ideale in den 1990ern schon waren. Mit dem Tod des Personalchefs setzte der Prokurist sich in der gesamten Firma durch.

Um sich am Markt halten zu können, setzte Wohltat zunehmend auf preiswerte Bücher und ein selbstbedienungsorientiertes Konzept? Wie sind Sie damit klar gekommen?

Ganz gut. Es gab tolle Reste exklusiv bei Wohlthats, jede Filiale kaufte eigenverantwortlich ein und gerade die Ostberliner Filialen waren in vielen Fällen eben doch Kiezbuchhandlungen für ihre Kunden. Da gingen Kalender für 49,- DM zum Originalpreis über den Ladentisch, das Sortiment war breit gefächert, das Maß an Eigenverantwortung zu meiner Zeit noch hoch. Nach meinem Weggang gab es dann immer mehr zentrale Regulierung, man sieht ja was daraus geworden ist. Letztlich gab es aber auch ein paar Punkte (Ladeneinrichtung / Veranstaltungen / Personalführung), die ich persönlich anders gestalten wollte und das ging nur über den Weg der Selbstständigkeit.

Wohltat wurde dann von Weltbild übernommen …

Letztlich blieb ein Scherbenhaufen unter Weltbildägide. Was für ein Hohn: die Firma, die ihr Geld mit Titeln wie „Sex und Folter in der Katholischen Kirche“ und den „Bakunin-Tagebücher“ gemacht hatte, die einen wesentlichen Teil der Auflage des „Heimlichen Auges“ von Konkursbuch und Erotikwälzer von Taschen vertrieb, verkaufte sich an ein Konglomerat aus Soldatenseelsorge und katholischen Diözesen. Erotik wurde sofort aus dem Angebot genommen. Mit Titeln wie „Wölfe im Eismeer“ und „Die deutschen Stukka-Asse“ hatte Weltbild leider deutlich weniger Berührungsängste. Die hätte es bei Wohltat nie gegeben. Ich erinnere mich an stundenlange Diskussionen, ob man den Leni Riefenstahl Band von Taschen denn nun anbieten solle oder nicht. Letztlich sprach sich die Mehrheit der Wohlthat-Filialleiter dagegen aus.

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Der ausgebildete Koch Holger Brandstädt (geb. 1966) fing im September 1989 als ungelernte Kraft im „Internationalen Buch“ in der Spandauer Straße in Berlin/Mitte an. Eingestellt wurde er von Gerald Nußbaum, dem damaligen Direktor des Ostberliner Volksbuchhandels, der zu DDR-Zeiten unter dem Namen „Berliner Buchhandelsgesellschaft“ firmierte. 1989 gehörten circa 64 volkseigene Buchhandlungen zum Verbund.

Nußbaum trug sich bereits früh mit dem Gedanken, mit einem starken, westdeutschen Partner zu fusionieren. Nach Verhandlungen mit Thomas Grundmann von der Bouvier Buchhandelsgruppe in Bonn entstand im Juli 1990 die „Berliner Buchhandelsgesellschaft Bouvier und Nicolai“ GmbH (BBN), die sich die interessantesten Objekte der ehemaligen Hauptstadt der DDR sicherte. Unter den ehemaligen Renommierläden wie „Universitätsbuchhandlung“, „Kunstsalon unter den Linden“, war auch das „Internationale Buch“, wo Holger Brandstädt beschäftigt war. Er absolvierte 1990/91 in Bonn und Köln bei Bouvier diverse Praktika; zeitgleich machte er per Fernstudium seinen Abschluss als Buchhändler. Im August 1992 kam das Einsehen, dass sich die BBN überhoben hatte. Die vermeintlichen Filetstücke des Ostberliner Buchhandels hatten sich als nicht lukrativ genug erwiesen. Die meisten Buchhandlungen der BBN machten dicht; lediglich zwei konnten im Rahmen eines Management-Buy-Out an ehemalige Mitarbeiter verkauft werden.

Nach dem Zerfall der BBN ging Holger Brandstädt zur „Wohlthat’schen Buchhandlung“ GmbH, bei der er zuletzt als Filialleiter in Berlin/Friedrichshagen beschäftigt war. Im Oktober 2001 übernahm er in Ueckermünde die traditionsreiche „Friedrich-Wagner-Buchhandlung“.

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Mein Dank gilt allen, mit denen ich mich bislang habe austauschen dürfen. Ich würde mich freuen, wenn sich weitere Zeitzeugen einfänden, um das eine und andere aus der eigenen Erfahrung zurechtzurücken und/oder Lücken zu schließen.

2 Kommentare zu “„Der Weg Berlins zur Metropole dauerte doch länger als gedacht.“ Gespräche mit ehemaligen DDR-Buchhändlern

  1. Hab`so Mitte 80er bei Wolthats im Lager gejobbt. War glaub` in Kreuzberg 61, in einer großen Lagerhalle. Der Vorarbeiter war ein Langhaariger mit Pfälzer Dialekt. Glaube Armin. Ojars Baumeister hatte ein Büro ohne Schreibtisch. Alles lag nach einen System auf dem Boden. Gehobener Trash …und es wurden auch Reprints in Auftrag gegeben. Prinz Eisenherz zB. Baumeister gab mir bezahlten Urlaub für eigene Schriftstellerei. War noch ein Unternehmen aus der Zwischenwelt. Hufscharrend in den Startlöchern, aber noch von einer Seele beschwert.

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