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Stationiert und verbannt. Odessa: Stadt der Literatur (3)

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„Es geschah, es geschah in Odessa!“, heißt es überschwänglich in Wladimir Majakowskis frühem Gedichtzyklus „Wolke in Hose“ (1915). Das ist nicht die einzige Hymne, die Künstler auf die Stadt am Schwarzen Meer gesungen haben. Geprägt vom liberalem Geist und mediterranem Klima hat die Stadt viele Autoren hervorgebracht. Und selbstverständlich viele angezogen. Ihre Werke haben das Bild von Odessa geprägt.

Ich bin auf Autoren gestoßen, die die Umstände der Zeit gebrochen haben, aber auch auf solche, die widerstanden oder einfach Glück gehabt haben. Auf Dissidenten, Kriegsgefallene und Opfer der stalinistischen Säuberungen.

Und so ist eine Reihe über die Kinder und Besucher einer Stadt entstanden, die von den Einheimischen liebevoll „Mama Odessa“ genannt wird. Keine Kurz-Biographien im klassischen Sinn, die Leben und Werk würdigen. Sondern mal längere, mal kürzere Skizzen die herausstellen möchten, welchen Bezug die Porträtierten jeweils zu Odessa hatten. Eine, wie ich meine, bunte Sammlung, die manchen auch überraschen könnte.

Installation „Zwölf Stühle“ in Odessa © Sabine Münch

Skizziert werden Schriftsteller, die politisch nicht erwünscht waren. Es werden Namen genannt, die die Zeitläufte getilgt haben, und Werke erwähnt, die wiederzuentdecken wären. Und nicht zuletzt kommen Autoren in der Reihe vor, die bis heute gerühmt werden. – Den Anfang haben drei in Odessa geborene Schriftsteller gemacht, die literarische Kultfiguren geschaffen haben. Isaak Babel in seinen „Geschichten aus Odessa“ den Gauner Benja Krik und das Autorenduo Ilja Ilf und Jewgeni Petrow im Kultroman „Zwölf Stühle“ den Hochstapler Ostap Bender. Danach ging es um einige „Großväter“ der modernen jiddischen Literatur.  – Heute werden Autoren porträtiert, die unfreiwillig in Odessa gelandet sind.

 

Heinrich Böll (1917 – 1984) nahm im Zweiten Weltkrieg im November/Dezember 1943 an Gefechten auf der Halbinsel Krim teil. Vor seinem Abflug in das Kampfgebiet auf die Krim, die die Sowjets im Frühjahr 1944 zurückerobern sollten, war er in Odessa stationiert. Zeugnis davon legt die 1950 erschienene Erzählung „Damals in Odessa“ ab.

Damals in Odessa war es sehr kalt. Wir fuhren jeden Morgen mit großen rappelnden Lastwagen über das Kopfsteinpflaster zum Flugplatz, warteten frierend auf die großen grauen Vögel, die über das Startfeld rollten, aber an den beiden ersten Tagen, wenn wir gerade beim Einsteigen waren, kam der Befehl. Dass kein Flugwetter sei, die Nebel über dem Schwarzen Meer zu dicht oder die Wolken zu tief, und wir stiegen wieder in die großen rappelnden Lastwagen und fuhren über das Kopfsteinpflaster in die Kaserne zurück.

Im Unterschied zu Böll sollte den meisten anderen, die unfreiwillig nach Odessa gekommen waren, der Aufenthalt aber in guter Erinnerung bleiben.

1852 nach Odessa verbannt wurde der polnische Nationaldichter Adam Mickiewicz (1798 – 1855). Neun Monate hat er im Lyzeum der dortigen Universität gelebt, „wie ein Pascha“, bekannte er später. Hier sind die „Sonette aus Odessa“ (1826) entstanden, in denen er seine große Liebe Maryla Wereszczaka besingt, die er nach der Verbannung nicht mehr wiedersehen sollte. Von Odessa aus bereiste er die Halbinsel Krim, wovon der Gedichtzyklus „Krim-Sonette“ (1826) zeugt, mit dem Mickiewicz der literarische Durchbruch gelingen sollte. An seinen Aufenthalt erinnert in Odessa das MickiewiczDenkmal in der Altstadt.

An den russischen Nationaldichter Alexander Puschkin (1799 – 1837), wegen anti-zaristischer Spottgedichte 1823 von St. Petersburg nach Odessa verbannt, gedenkt die Stadt an vielen Stellen. Puschkin allenthalben. In der Puschkin-Straße vor dem Puschkin-Museum, dem ehemaligen Hotel „du Nord“, in dem der Dichter 13 Monate gelebt hat, steht eine Puschkin-Skulptur. Ein Puschkin-Denkmal befindet sich auf dem Primorski-Boulevard, einer Flaniermeile, die abends bunt beleuchtet ist.

Gegenüber dem Hotel, das ich im Juli 2017 bewohnt habe, illustrieren großformatige Wandzeichnungen in einem der prächtigen Innenhöfe der Hafenstadt Episoden aus der Stadtgeschichte. Darunter viele Persönlichkeiten. Selbstverständlich auch Puschkin – und in angemessener Entfernung, ganz so als wäre dem Künstler die Affäre peinlich, auch seine Geliebte, die mit dem damaligen Gouverneur der Stadt verheiratete Gräfin Woronzow. Übersetzerin Valentina setzte mich ins Bild. Die ganze Stadt habe sich damals über die leidenschaftliche Liebesaffäre den Mund zerrissen. Schließlich kam es wie es kommen musste. Graf Woronzow trug dafür Sorge, dass Puschkin Odessa verlassen musste. Aber den Ring, den er von seiner Geliebten geschenkt bekam, soll er bis zu seinem Tod getragen haben.

Das Wandgemälde im Innenhof © GvP

Seine Zeit im Exil in Odessa war literarisch besonders fruchtbar. Puschkin schuf hier das Poem „Die Zigeuner“, beendete seine Arbeit am „Springbrunnen von Bachtschyssarajer“ und schrieb mehr als dreißig Gedichte. Auch sein berühmtes Epos „Eugen Onegin“ entstand zu Teilen hier. Darin heißt es: „Ich lebte damals im Getümmel Odessas, dieser staub’gen Stadt, die viel Verkehr, viel heitern Himmel und einen lauten Hafen hat. Dort wehen schon Europas Lüfte, dort streut der Süden Glanz und Düfte, pulsiert das Leben leicht beschwingt. Italiens holde Sprache klingt auf allen Straßen; hier Slowenen, dort Spanier; Frankreich, Griechenland hat reiche Kaufherrn hergesandt, Armenier feilschen mit Rumänen; selbst aus Ägypten stellt sich dar Held Mor-Ali, der Ex-Korsar.“

Vom Sprachengewirr aus Russisch, Griechisch, Französisch, Deutsch, Italienisch und Jiddisch, das Autoren des 19. Jahrhunderts häufig beschrieben haben, ist leider nicht viel geblieben. Denn genau diese Vielfalt war totalitären Machthabern geradezu verhasst. Die Bolschewiken vertrieben die Franzosen und Italiener. Stalin die Griechen und die Schwarzmeerdeutschen. Und die Nationalsozialisten, die Odessa im 2. Weltkrieg besetzt hatten, die Juden. Allein in Odessa wurden 100.000 Juden ermordet.

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