The Daily Frown

Totalverweigerung aus Prinzip

Entgegen aller Rauschebart-Nostalgie im Marx-Jahr 2018™ hat Luise Meier in ihrer MRX MASCHINE eine Einladung zum Diskursverwirbeln vorgelegt, die nicht nur äußerst kenntnisreich geschrieben ist, sondern auch jede Menge Spaß macht.

Spaß deshalb, weil die MRX MASCHINE weder reine Theorie noch ganz Erzählung ist, dafür Elemente aus beiden Textformen vereint: Nach dem furiosen Einstieg, der ankündigt, Marx mit Theorieansätzen zu Desintegration, Blues-Musik, Kolonialismus, Nationalismus, Ableismus, Altersdiskriminierung, Heteronormavität, Psychonormavität, Rassismus, Fabrik- und Minenarbeit zu konfrontieren und verschalten, bringt Meier in einer überraschenden Volte Ingeborg Bachmann ins Spiel: In deren weniger bekannten Erzählung „Der Schweißer“ aus dem Jahr 1959 wird die Hauptfigur Andreas Reiter nach der Lektüre von Friedrich Nietzsches Fröhlicher Wissenschaft in einen Zustand der Totalverweigerung versetzt, der schließlich im Suizid mündet. Eine ähnliche Figur in Bachmanns Werk ist der Briefträger Kranewitzer aus Malina, der sogar ganz ohne ersichtlichen Grund vom einen auf den anderen Tag seine Arbeit niederlegt.

Diskursverwirblerin Luise Meier (Foto: privat)

Geradezu charakteristisch für die MRX MASCHINE ist, dass auf diesen Rückgriff in die Literaturgeschichte ein schlagartiges Umswitchen auf das Digitalzeitalter folgt – mit Stichworten wie Apple, Steve Jobs und „Auto-Logged-In“ geht es nun ins absolut Gegenwärtige. E-Commerce und Servicearbeit, die Auswüchse der prekären Beschäftigung also, mit klassischen Marx-Ideen kurzzuschließen ist ein Move, der geradezu auf der Hand liegt; spannend wird es dort, wo der alte Marx als Theorie-Rüstzeug (z.B. wegen eines grundsätzlich fehlenden Gemeinschaftsgefühl von in der Vereinzelung prekär Arbeitenden) nicht mehr greift. Hier ist die MRX MASCHINE quasi das Upgrade, das neue Wege sucht, die Verhältnisse ins Wanken zu bringen.

Das Motiv der Totalverweigerung wird Luise Meier im späteren Verlauf wieder aufgreifen, etwa wenn sie auf die Fuck-up-Strategie der Radikalfeministin Valerie Solanas zu sprechen kommt: gezielte Sabotage in allen Lebensbereichen, Totalverweigerung aus Prinzip. Zuvor widmet sie sich noch zwei großen Komplexen: Der Datenverarbeitung vom Hollerith’schen Lochkarten-System bis zum Google-Algorithmus, außerdem „Daddy-Fik(a)tion und Staat“ unter besonderer Berücksichtigung von Malcolm X und dem Sklavenhandel in den USA.

Man kann sich in diesem Buch verlieren, so komplex, so ausgestaltet und doppelt und dreifach durchdacht ist die Gedankenwelt der MRX MASCHINE. Luise Meier, die zuvor bereits eine ganze Reihe fragmentartiger Kurzessays auf dem Onlineauftritt der alten Volksbühne publiziert hat, ist damit ein spektakulärer erster Band der ganz eigenen Machart gelungen.

Luise Meier: MRX MASCHINE. Matthes & Seitz Berlin, 208 Seiten, 14 €