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„Es gibt keine etablierte Praxis der Kritik von Genreliteratur, von Jugendliteratur und Young Adult-Literatur. Ein Teil dieser Sparten ist dafür zu jung, vor allem aber hat sich die etablierte Literaturkritik darum nie intensiv gekümmert. Blogger, Booktuber und Bookstagramer können hier auf keine etablierten Muster zurückgreifen, sie müssen neue Muster herausbilden.“
…schreibt Netzfreundin und Bloggerin Katharina Hermann in einem lesenswerten, klugen langen Grundsatztext auf 54Books (Link).
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Ich habe Kulturjournalismus studiert und schreibe heute sehr viel und gern über Genre- und Unterhaltungsliteratur, Mangas, Comics, TV-Serien, Popkultur.
„Selbstverständlich ist doch „ich habe mich gut unterhalten gefühlt“ ein legitimes Beurteilungskriterium für einen Unterhaltungsroman. Selbstverständlich ist „ich konnte mich mit der Protagonistin identifizieren“ ein legitimes Beurteilungskriterium für Jugendliteratur, die doch genau darauf in der Regel angelegt ist. Natürlich ist „das Buch ist lustig“ ein legitimes Beurteilungskriterium für ein Buch, das genau das sein will. Nur weil das keine klassischen literaturkritischen Parameter sind, ist das eben nicht unreflektiert oder dumm, sondern vielleicht: schlicht angemessen.„
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Als Kritiker bin ich schnell gelangweilt von Büchern, Serien, Filmen, Comics, Erzählwelten, in denen…
1 – Figuren sich kaum entwickeln oder ändern; am Anfang schon absehbar ist, wie die Geschichte endet; oder jeder Teil, jede Episode nach dem selben Muster erzählt ist (z.B. „Monk“).
2 – Nebenfiguren so eindimensional bleiben, dass ich bei Frauen denke „Wow: Sexismus?“ und bei Figuren of Color: „Wow: Rassismus?“ (z.B. „Two Broke Girls“).
3 – EIN Geschlecht angesprochen oder als Zielgruppe gedacht wird, und alle Figuren des anderen Geschlechts am Rand bleiben (z.B. „Herr der Ringe“).
4 – Die Hauptfigur NUR triumphiert und wir eingeladen werden, uns an ihrer Seite dem Rest der Welt überlegen zu fühlen (z.B. James Bond, Batman).
5 – Sprache so egal ist, dass mich Klischees wie „rabenschwarze Nacht“ und „ihr Herz blieb fast stehen“ ablenken (z.B. die meisten deutschsprachigen Krimis).
6 – Figuren Berufe, Krankheiten oder Expertengebiete haben, die niemand richtig recherchiert hat (z.B. „Marienhof“).
7 – Alle Figuren außer den Helden Trottel, Abschaum, Monster bleiben (z.B. „Fear the Walking Dead“? Ich schwanke noch).
8 – Eine Grundstimmung ohne Höhen und Tiefen „zum Abschalten“ einlädt: Statt Irritationen und Details, die man im Hinterkopf behalten sollte, bleibt alles ein harmloser, gemächlicher Brei (z.B. „Sturm der Liebe“).
9 – Gegner keine Argumente haben, nichts dazu lernen, oft nur für das „Falsche“, „Perverse“ Andere stehen, über dessen Bestrafung wir uns freuen sollen (z.B. Märchen, „Law & Order“, Kinder- und viele Disney-Bösewichte).
10 – Dinge erzählt werden, die schon lange erzählt werden, auf eine Art und Weise, die niemanden stören, erschrecken, herausfordern soll (z.B. „heitere“ Unterhaltungsromane).
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Nicht alles, was ich mag, muss in JEDER Hinsicht unbequem, überraschend, ikonoklastisch, schwierig, hermetisch sein.
Doch ich habe mehr Respekt vor einem Werk, das probiert, auf originelle Art und Weise mit meiner Geduld und meinen Erwartungen zu spielen, als mit einem Werk, das mir genau das geben will, was vermeintlich „alle“ gerade „wollen“.
Ein Unterhaltungsroman, der mich *nur* unterhält, ein Jugendbuch, das es mir *nur* möglichst leicht macht, ein wenig Welt durch die Augen der möglichst netten Hauptfigur zu sehen, ein lustiger Roman, der *nur* lustig ist – das ist mir zu wenig. Ich mag Werke, die mir MEHR zeigen als nötig – und Fragen, Gefühle, Reaktionen auslösen, die mir nicht schon beim Blick aufs Cover versprochen wurden.
Das ist kein Argument gegen Katharinas Text oder die Arbeit vieler Blogger*innen.
Sondern einfach mein persönliches Kriterium beim Auswählen von Werken: Geben mir Geschichten nur DAS, womit ich eh gerechnet habe… habe ich keine Lust, meine Zeit mit ihnen zu verbringen. Kritiken und Empfehlungen haben für mich einen Mehrwert, sobald sie sagen „Achtung: Dieser Action-Film ist unerwartet traurig!“ oder „Hey: Schau mal, was hier noch alles drin steckt!“
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Bei den Kriterien, wann ein Buch langweilt, bin ich ganz bei dir. Mir ist die Zeit schlicht zu schade für Bücher, die mich langweilen.
Ist „mir hat das Buch gefallen“ ein Qualitätskriterium oder überhaupt eine Beurteilung für ein Buch? Ich denke nicht. Das hat nichts mit Dünkel oder Hochmut zu tun, sondern es ist schlicht eine persönliche Meinung, ein subjektiver Eindruck. Der ist legitim und wenn man einen Blog betreibt, bei dem man über sich und seine Lesegefühle schreiben will, ist das prima. Nur: Wenn mich jemand nicht kennt, wenn jemand meinen Lesegeschmack nicht kennt, wird ihm das schlicht nichts bringen im Hinblick darauf, ob er das Buch nun lesen soll oder nicht.
Trotzdem ist das kein Grund, gegen Blogger zu schiessen und sie zu belächeln, schliesslich und endlich halten sie Literatur am Leben, behalten sie im Gespräch, zeigen Liebe, Leidenschaft und Einsatz für die Literatur. Das finde ich schön.
Gute Liste. Außer dass ich Two Broke Girls anders einschätzen würde. Ich finde es unterhaltsam, wie es mit den Klischees bzgl. Waspy-reich und trashy-arm spielt. Schöne Beitrag.
Diese Liste bildet gut ab, wie man die Grenze von trivialer (Genre-)Literatur gegenüber „anspruchsvoller“ Belletristik ziehen kann. Ich habe für mich noch zwei weitere Kriterien:
1. Ein Buch hat dann sprachliche und künstlerische Qualität, wenn ich mich nicht von Cliffhanger zu Cliffhanger lese, schnell und immer auf das nächste Highlight gespannt, sondern mich beim Lesen an der Sprache (schönen und innovativen Sprachbildern zum Beispiel) freuen kann. So schön, dass ich sie notieren und zitieren möchte.
2. Wenn ein Buch „nachhaftet“, ich nach 20 Jahren noch an einzelne Szenen, Sätze und stilistische Feinheiten denke.
Beides ist leider selten. Vor allem das Nachhaften fehlt (bei Literatur und Film) sehr häufig.
Aber: Es gibt Bücher, die sind trivial aber handwerklich gut gemacht und sauspannend. Auch diesen gebe ich gerne eine Chance. Und lese sie zwischendurch auch gerne.
Ansonsten herzlichen Dank für Deinen schönen Beitrag. Und den Einblick in die Genre-Literatur, die ich sowohl privat als auch in meinem Blog meide.
Beste Grüße
Anja Beisiegel
Hund im Buch. Der literarisch-kynologische Rezensionsblog
Das kann ich gut nachvollziehen – und man könnte die Liste sicher auch noch gut erweitern.
Ich glaube auch nicht, dass du dich rechtfertigen musst. Denn es ist ja so, dass Du dich unterhalten fühlst wenn alles stimmt. Und für dich persönlich bedeutet das eben auch, dass es anspruchsvoller sein muss. Und das bedeutet auch, dass dir reine Beurteilungen vielleicht nicht genügen. Mir genügen sie auf jeden Fall nicht. Ich nehme Beurteilungen erst einmal hin, lese Klappentext und Rückseite, insofern vorhanden. Das hilft meist besser bei der Beurteilung von unbekanntem Material, als irgendeine Meinung. Die Meinung kann für mich schließlich die Kaufentscheidung vereinfachen. Und hier machen solche einfachen Aussagen wie „lustig“, „unterhaltsam“ in Form von Schwarmintelligenz (Amazon Bewertungen) wieder Sinn.
Im Sinne der Kritik muss ich aber auch sagen, dass ein reines „Das Buch ist lustig“ mir als Kritik nicht genügt, das würde ich nicht einmal als richtige Kritik bezeichnen, denn „lustig“ ist für mich kein richtiges Argument sondern eine Beurteilung. Das ist wirklich nicht dumm oder unangemessen – es ist eben eine Meinung. Das ist aber eben einfach viel zu wenig, um als Kritik wirken zu können.
Zu 9. Wie soll die Hexe in Hänsel und Gretel dazulernen, wenn sie verbrannt ist? Jetzt mal aufgedröselt. Kinderbücher und Märchen sind anders aufgebaut,weil sie eine anders verstehende Leserschaft bzw. Funktion haben. Ein schlechtes Beispiel für die Kernaussage des Artikels! Darüber hinaus sind die Kriterien legitim, jedoch subjektiv.