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Queere Literatur – aus Europa und der Welt: Vom 14. bis 16. Juli 2016 veranstaltet das Literarische Colloquium Berlin (LCB, am Wannsee) ein Festival zu Homosexualitäten – „Empfindlichkeiten“ (mehr Infos in der Spex und auf der LCB-Website).
Ich werde das Festival als Liveblogger begleiten… und stelle bis Sonntag mehreren Künstler*innen, Autor*innen und interessierten Besuchern kurze Fragen über Queerness, Widerstand und das Potenzial homosexueller Literatur.
Den Anfang machte Katy Derbyshire (Link). Jetzt…
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…Kristof Magnusson – Autor, Übersetzer und, beim Festival „Empfindlichkeiten“:
- am Samstag, 16. Juli, 14 Uhr auf dem Podium „Schrift“, mit Alain Claude Sulzer (Basel), Dieter Ingenschay (Berlin), Édouard Louis (Paris) und Raziel Reid (Vancouver); Moderation: Nina Seiler
- danach, ab 19 Uhr: mit einer literarischen Kurzlesung auf der Gartenbühne
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Kristof Magnusson wurde 1976 in Hamburg geboren. Er machte eine Ausbildung als Kirchenmusiker und studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Er übersetzt aus dem Isländischen, veröffentlichte die Romane „Zuhause“, „Das war ich nicht“ und „Arztroman“ und u.a. das Theaterstück „Männerhort“ und lebt in Berlin.
Kristof auf Wikipedia | Kristof auf Goodreads
- Rezension von mir zu Kristofs Debüt, „Zuhause“ (Literaturkritik.de, 2006)
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01_Eine eigene Arbeit, ein Text, Link oder Bild, der/das mich vorstellt und/oder der/das einen Blick wert ist:
Mein Roman „Zuhause“.
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02_Wenn mich jemand „homosexueller Autor nennt…
…dann ist das insofern relevant, als bei meiner Arbeit meine Person und meine persönlichen Erfahrungen eine Rolle spielen. Ich schreibe zwar nicht unbedingt biografisch gefärbte Texte, aber etwas mit mir und meinem – homosexuellen – Selbst hat das schon immer zu tun. Ja, es besteht eine Differenz zwischen Werk und Autor, aber es ist eine durchlässige Trennung mit vielen Abstufungen.
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03_Das Queerste, das ich in meiner Kindheit sah oder kannte, war…
Etwas aus der Popkultur, das ich schon als Kind eindeutig als queer wahrnehmen konnte, war sicher der Pop-Act Frankie Goes To Hollywood. Das war nicht kryptisch und verklausuliert, sondern für jeden erkennbar queer. In meinem persönlichen Umfeld gab es queere Bekannte meiner Eltern und meiner großen Schwester, der Queerste jedoch war sicher mein Onkel Níels aus Island, der ein Kino hatte, in der Freizeit isländische Briefmarken gestaltete und in den Sommerferien nach Kopenhagen fuhr, um Antiquitäten zu kaufen.
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04_Ein queeres Buch, das mich beeinflusst hat…
Michael Chabon, Die Geheimnisse von Pittsburgh
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05_Ein anderes Stück queerer Kultur [andere Kunstformen], das mich beeinflusst hat…
Bildende Kunst von Bruce Nauman, und die Shows in Corny Littmanns „Schmidt Theater“ auf der Reeperbahn.
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06_Ich wünschte, ich hätte in Sachen Homosexualität früher gelernt/gewusst/erfahren, dass…
…es so viele verschiedene queere Lebensweisen gibt. Viele meiner Ängste und Hemmungen hatten – und haben – damit zu tun, dass sich bestimmte falsche, medial verbreitete Bilder festgesetzt haben. Ich hätte gerne viel früher im Leben vielfältige und positiv dargestellte Beispiele für queere Lebensentwürfe gekannt. Und wäre es nur in Soap-Operas im Privatfernsehen gewesen.
[Stefan: nach meiner Wahrnehmung gab es queere Figuren selten in Privat-Soaps… aber durchgängig, 20 Jahre lang, in der öffentlich-rechtlichen „Verbotene Liebe“.]
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07_Zu viele Menschen denken bei „Homosexualität“ zuerst oder fast nur an schwule Männer. Ich wünschte, stärker in den Fokus rücken…
Ich kann ich nur zustimmend sagen, dass es tatsächlich ein Problem ist, dass der Blick auf Homosexualitäten oft verkürzt ist und bei schwulen Männern endet.
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08_Eine politische oder öffentliche Figur, über die wir dringend mehr reden müssen. Und eine, über die wir weniger reden sollten:
Das ist eine sehr schwierige Frage, denn wer ist „wir“? Wir als Gesellschaft insgesamt? Dann würde das ja ganz schnell in Richtung Medienkritik gehen (Talkshows, Zeitungen etc.). Oder wir als queere Community? Können wir überhaupt von den Gemeinsamkeiten einer Community ausgehen? Das ist sehr kompliziert.
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09_Eine queere Figur, ein queerer Star oder eine queere Geschichte aus dem Mainstream, über deren Popularität/Strahlkraft ich mich freue:
Der Mainstream-Erfolg von Ru Paul’s Drag Race ist doch sensationell, oder? Sicher nicht ganz unproblematisch, aber Großen und Ganzen doch ein Zeichen für gesellschaftlichen Fortschritt. Viel mehr als über einen weiteren queeren Star würde ich mich darüber freuen, wenn auch unter schwulen Männern das Bewusstsein dafür wachsen würde, dass queer in erster Linie Vielfalt bedeutet.
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10_Ich wünschte, folgendes reaktionäre Vorurteil/Denkfigur würde endlich verschwinden/nicht immer wieder neu diskutiert werden:
Ist es nicht frustrierend, dass die Denkfigur des „Natürlichen“ immer wieder hervorgekramt wird? Können sich nicht alle endlich einmal hinter die Ohren schreiben, dass „Natur“ genauso eine kulturelle Konstruktion ist wie quasi alles andere um uns herum?
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11_Ein queeres guilty pleasure in meinem Leben:
Jim Sharmans Rocky Horror Picture Show. So viele Filme enthalten parodistische Darstellungen von queeren Figuren, die unfair und gemein sind, aber trotzdem sehr witzig. Zählt das dann auch als queeres guilty pleasure?
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12_Queere Texte handeln oft von Sexualität, Identität/Selbstfindung und Diskriminierung. Andere Themen/Fragen, denen ich in queeren Texten mehr Gewicht wünsche:
Die in der Frage genannten Themen sind nach wie vor selbstverständlich relevant. Und viel mehr als andere Themen wünsche ich mir andere Sichtweisen: neben problemorientierten Darstellungen wünsche ich mir viel mehr positive Darstellungen queerer Lebensrealität. Queere Literatur bedeutet doch auch, queere Inhalte als selbstverständlich, gesund und normal darzustellen.
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13_Ein Staat, eine Stadt, Region, Kultur oder eine Szene, aus der ich wichtige queere Impulse erhalte (welche?) oder über die wir mehr sprechen müssen:
Reykjavik, wo jedes Jahr über 10 % der isländischen Bevölkerung der Gay Pride Parade zugucken.
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14_Identität (und: Diskriminierung) wird immer öfter intersektionell beschrieben und diskutiert. Als queere*r Künstler*in interessiert mich aus dieser Perspektive besonders…
Grundsätzlich halte ich eine möglichst diverse Bearbeitung queerer Themen für unbedingt notwendig. Ich selbst spreche als Autor aus der Perspektive eines weißen cis-Manns und möchte mir auch gar nicht anmaßen, qualifiziert über Probleme der Intersektionalität zu reden.
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15_Der Mainstream räumt Queerness oft mittlerweile etwas mehr Platz ein. Räumt Queerness auch dem Mainstream mehr (zu viel?) Platz ein – in Fragen wie Familien- und Rollenbildern, Selbstdarstellung, Konsum und Politik? Wo reiben sich Queerness und „Normalität“? Reiben sie sich genug?
Davon, dass der Mainstream der Queerness zu viel Platz einräumt kann kaum die Rede sein. Das lässt sich quantitativ einfach belegen. Wie viele Personen weichen auf die eine oder andere Art von der binären heterosexuellen Norm ab (viele), und wie sichtbar ist das im Alltag? (wenig)
Ich persönlich habe zum Glück einen Alltag, in dem wenig Reiberein an queeren Themen vorkommen. Der Literaturbetrieb ist ein grundsätzlich progressives und menschenfreundliches Metier. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich bin froh, dass ich – anders als viele andere – nicht in einer Branche arbeite, in der ich im Arbeitsalltag permanent Homophobie ausgesetzt bin.
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16_Wenn Universitäten und Akademiker auf queere Diskurse (und: Gender-Diskurse) blicken, denke ich…
…dass queere Themen genau so sehr in die Wissenschaft gehören wie alle anderen Bereiche des Lebens. Ich möchte, dass es über queere Themen genau so viel Forschung gibt wie über Politik, Geschichte, Medizin oder Teilchenphysik. Falls diese Frage darauf hinaus laufen sollte, wie ich zu den fachspezifischen Eigenheiten der Gender-Studies stehe, so kann ich die Frage nur mit Sprachkritik beantworten: Akademischer Jargon hat einfach seine Schrullen, da machen Gender-Studies keine Ausnahme.
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17_Kulturvermittler*innen, Institutionen, Journalist*innen machen, nach meiner Erfahrung, im Umgang mit queerer Kultur manchmal folgenden Fehler:
Mir fällt oft auf, dass mit einem gewissen Exotismus über queere Themen berichtet wird – so als gehöre man als queerer Mensch gleich einer anderen Spezies an. Bitte liebe Institutionen, Kulturvermittler und Journalisten, streicht diesen distanzierten, leicht überraschten Tonfall aus eurem Repertoire, wenn es um queere Themen und Personen geht. Ich habe übrigens bewusst die männliche Form verwendet. Es sind vor allem Männer, deren Sprache über queere Themen von Distanzierungs- und Exotismusformeln beherrscht ist. Eine geschlechterneutrale Darstellung würde Kulturvermittlerinnen und Journalistinnen unfair in Sippenhaft nehmen.
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18_Wie/wo/wann profitierte ich künstlerisch von meiner eigenen Queerness? Und steht/stand sie mir je im Weg, war sie je eine Schwierigkeit für mich?
Mich irritiert es, dass oft im Nachhinein in die Queerness hineingeheimnisst wird, dass das einem als Autor oder Künstler hilft. An dieser Stelle möchte ich gerne mal den anderen Aspekt in den Vordergrund stellen: Ja, es war schwierig, ja es stand mir oft im Weg. Die viele Zeit in der Jugend, die von Angst, Scham und Unsicherheit geprägt war, darauf hätte ich liebend gern verzichtet. Das Gefühl, dass die Welt eigentlich für andere gemacht ist, nicht für dich, das kann man im Nachhinein vielleicht verklären, weil es möglicherweise den künstlerischen Blick geschärft hat. Schön ist es aber nicht.
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all my 2016 interviews on Queer Literature:
…and, in German:
- Katy Derbyshire (Link)
- Kristof Magnusson (Link)
- Angela Steidele (Link)
- Hans Hütt (Link)
- Martina Minette Dreier (Link)
Kuratoren & Experten am Literarischen Colloquium Berlin:
Queer Literature: “Empfindlichkeiten” Festival 2016: