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Am Montag (14. September 2015, ab 22.15 Uhr) spreche ich bei Extra – das RTL-Magazin mit Birgit Schrowange [Link: Wikipedia] über meine Gesichtsblindheit/Prosopagnosie.
Die Sendung ist danach auch in der RTL-Mediathek („RTL now“) sieben Tage abrufbar [Link: RTL now – Extra].
Mehr zu mir und der Störung hier im Eintrag und, u.a., hier.
- Facebook-Freund werden?
- Wikipedia
- Amazon
- längerer Text über mich und meine Arbeit, kleinerdrei.org
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Die Dreharbeiten zum RTL-Beitrag, in der Berliner Buchhandlung „Ocelot“ (Link)
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Ich bin – wie etwa ein bis zwei Prozent aller Menschen – gesichtsblind: Wenn ich von einer Person NUR das Gesicht sehe (keine Frisur, keine Kleidung usw., die mir helfen können, die Person einzuordnen)…
…dann erkenne ich zwar, wie jeder sonst, Geschlecht, Alter, Stimmung, Gefühle der Person… aber ich habe sehr große Mühe, zu entscheiden, ob ich dieses Gesicht schon einmal gesehen habe.
Auch beim Gesicht von Verwandten, Freunden, Partnern.
Die Störung heißt „Prosopagnosie“. Brad Pitt ist betroffen. Der Neurologe Oliver Sacks war betroffen und hat viel darüber geforscht und geschrieben. Wenn ich im Freundeskreis oder bei neuen Bekannten darüber spreche, gibt es oft Leute, die sagen: „Oh! Das kenne ich auch.“ Ich glaube, ich kenne fünf, sechs gesichtsblinde Menschen persönlich. Auch Kathrin Passig, eine tolle Autorin und Journalistin, schreibt oft über ihre Probleme, z.B. hier.
Mit dem Cambridge Face Memory Test kann jeder herausfinden, ob er betroffen ist.
Der Test dauert weniger als 20 Minuten: Link
Zwei Thriller mit gesichtsblinden Hauptfiguren:
- Prosopagnosia (2011, Kurzfilm)
- Faces in the Crowd (2011, mit Milla Jovovich)
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15 Probleme:
- Soldaten, die alle die selbe Kurzhaarfrisur haben
- Nonnen, bei denen man nur das Gesicht sieht, aber keine Frisur usw.
- es gibt sehr viele Frauen mit langen, glatten Haaren: eine meiner Schwestern hat langes, blondes Haar und viele langhaarige, blonde Freundinnen. auf Fotos und in dunklen Räumen verwechsle ich sie oft.
- die meisten deutschen Kinder im Kindergartenalter haben blondes Haar und die selbe Frisur: meinen Neffen oder den Sohn meines besten Freundes könnte ich in einer Gruppe Spielkameraden nicht erkennen.
- wenn zu viele Leute im selben Alter sind, z.B. wenn ich an einer Uni unterrichte oder vor Schulklassen stehe, habe ich Probleme.
- Verkäufer, Nachbarn usw., die immer an den selben Orten zu finden sind, erkenne ich nicht wieder, wenn sie plötzlich an neuen Orten auftauchen.
- Kinderfotos o.ä. überfordern mich, weil ich nicht sehen kann, was das Gesicht des Kindes mit dem Gesicht des Erwachsenen später gemeinsam hat. Leute sagen oft über Säuglinge Dinge wie „Er sieht aus wie der Papa. Nur den Mund hat er von der Mama.“ …und ich denke: https://c1.staticflickr.com/3/2734/4266560677_03d0674183_z.jpg?zz=1
- in Magazinen wie „Bunte“ oder „Gala“ würde ich ohne die Bildunterschriften niemanden unterscheiden können. Das macht die Magazine ziemlich interessant, weil ich immer denke „Wow: SO kann… Iris Berben auch aussehen, mit einer anderen Frisur o.ä.? Wer hätte das gedacht?!“
- wäre Birgit Schrowange irgendwo in Berlin, ich würde sie nicht erkennen. Umgekehrt würde ich bei den RTL-Studios bei viel zu vielen brünetten Frauen denken „Ach: DAS könnte Birgit Schrowange sein.“
- seit 20 Jahren kenne ich die Figur Ute aus „Unter Uns“. trotzdem wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass dieses Foto und dieses Foto die selbe Person zeigen.
- ab und zu spreche ich jemanden an, weil ich denke, dass wir uns kennen… oder ich werde angesprochen, bleibe im Gespräch und denke noch zwei Minuten lang „Wer ist das?“. Richtig beeinträchtigt aber fühle ich mich nur alle paar Wochen. Und oft auch nur, weil mir Freunde Streiche spielen:
- ich kam nach Berlin, stand am Fahrkartenautomaten und wollte ein Ticket kaufen, als mich mein Freund überraschte: Er setzte eine Sonnenbrille auf und sagte mit verstellter Stimme: „Kaufen Sie kein Ticket. Sie können auf meiner Karte mitfahren.“ Ich habe ihn nicht erkannt.
- im Theaterfoyer sagte ich meiner Exfreundin, nachdem wir uns zwei Jahre kannten: „Entschuldigen Sie: Darf ich mal [vorbei gehen]?“
- über die Kollegin, die ich nach zwei gemeinsamen Tagen auf der Buchmesse nicht mehr erkannte, habe ich hier geschrieben: Link.
- 2001 sah ich einen Film mit Gillian Anderson (Scully aus „Akte X“) und Angelina Jolie. beide hatten rote Haare – und ich konnte sie nicht auseinander halten.
- ich finde Fotos und Kostüme interessanter als die meisten anderen Menschen: Ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand aussieht, wenn er plötzlich rote Haare hat oder böse kuckt – das wirkt auf mich immer gleich wie ein ganz anderer Mensch. Deshalb speichere ich viele Fotos meiner Freunde, mache sehr viele Fotos von mir, bin immer überrascht, wie… grundsätzlich anders jemand aussieht, wenn er einen Hut trägt oder sich den Kopf rasiert. Theaterkostüme, Halloween, Makeup usw…? Ich bin da sehr leicht beeindrucken. Weil das für mich IMMER eine durchschlagende Wirkung hat. Eine Drag Queen z.B. könnte ich nie erkennen, außerhalb ihres Kostüms.
- bei „One Tree Hill“ gibt es viele Frauen, die ihre Frisur immer wieder wechseln: Ich habe immer wieder Mühe, diese drei Schauspielerinnen voneinander zu unterscheiden. Auch noch nach sechs bis neun Staffeln:
- 1) Peyton – mit der typischen Haarfarbe von Brooke oder Hailey
2) Hailey – mit den Locken, typisch für Peyton
3) Quinn – die für mich meist genau so aussieht wie ihre Schwester Hailey
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…viermal die selbe Person? oder vier verschiedene Leute? ich rätsle oft, bei solchen Fotos.
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Ich habe keine Probleme damit…
…mir Namen zu merken
…mir Frisuren, Haltung, Stimmen zu merken und Menschen daran wieder zu erkennen.
…ich habe in Toronto gelebt, wo es sehr viele Asiaten gibt: meinen Freund dort habe ich an Gang/Körperhaltung erkannt.
Gesichtsblindheit stört und beeinträchtigt, wenn ich Menschen auf der Straße oder in Gruppen finden und unterscheiden soll. Sie stört, weil ich oft grußlos an Freunden vorbeigehe oder, umgekehrt, Leute anlächle, die ich nicht kenne.
Aber echte Probleme, große Peinlichkeiten gibt es nur alle paar Monate: So lange Menschen nicht plötzlich ihre Frisuren und Kleidung ändern oder sich absichtlich verkleiden und tarnen, komme ich gut zurecht.
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Der Dreh für RTL…
hat Spaß gemacht! Ich gebe oft Workshops oder doziere an Unis zum Thema Kreatives Schreiben, Literaturkritik, Kulturjournalismus. Seit ein paar Monaten bin ich auch hin und wieder bei Deutschlandradio Kultur zu Gast und spreche dann live im Radio. Aber Kameras sind mir noch fremd – ich fange erst an, und lerne.
Das Kamerateam und der Produzent des Beitrags waren toll, ich fühlte mich nicht vorgeführt oder lächerlich gemacht. Trotzdem fühlt es sich komisch an, mehrere Stunden vor der Kamera darüber zu reden, was man NICHT kann, NICHT schafft. Ich hätte lieber Bücher vorgestellt, als Literaturkritiker. 🙂
Heute, kurz vor der Ausstrahlung, habe ich Angst, dass ich lachhaft, selbstverliebt, ungepflegt oder unfähig rüberkomme:
- watschle ich zu sehr, beim Gehen?
- ist mein Haar zu dünn? hätte ich den Kopf rasieren sollen?
- reiße ich die Augen auf beim Sprechen? mache ich Hasenzähne?
- sehe ich aus wie Achim Menzel?
- nuschle oder hasple ich?
- wirke ich altklug?
Vieles ist Übungssache. Ich sehe den Beitrag als Test: eine gute Möglichkeit, Erfahrungen zu machen. Gerne wieder! Aber dann über Bücher? Kultur? smesch@gmx.net
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Stefan Mesch. Foto Jacqueline Schulz, http://meistermaedchen.jacquelineschulz.de/
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mehr zu mir:
ich bin 32, habe in Hildesheim Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus studiert (2003 bis 2008) und war dann 2009, 10, 11, 12, 13 in Toronto oder New York, jeweils drei Monate am Stück. den Rest der Zeit lebe ich im Dorf, in dem ich aufgewachsen bin (bei Heidelberg) und schreibe im leerstehenden Haus meiner toten Großeltern.
für eine feste Wohnung fehlt mir das Geld – aber ich bin oft für einige Tage/Wochen in München, Karlsruhe, Hildesheim oder Berlin.
ich suche vergessene Bücher: Bücher, die noch fast keiner kennt – aber die möglichst viele Menschen mit Gewinn lesen könnten. Role Models? Oprah Winfrey, Elke Heidenreich: Leute, die Bücher und Begeisterung fürs Lesen vermitteln.
2012 gewann ich den Dietrich-Oppenberg-Preis der Stiftung Lesen für ein Essay in BELLA triste über das Entdecken von Büchern,
2013 bis 2015 habe ich für die ZEIT Bibliothek der verschwundenen Bücher nach vergriffener Literatur gesucht, die eine Neuauflage verdient.
ich stelle monatlich Bücher in meinem Blog vor, oft nach Themen oder Genres sortiert, z.B. Bücher aus und über Japan oder aktuelle Jugendbücher, und schreibe oft über Blogs und Literaturvermittlung im Netz, empfehle Buchblogs, Literaturkritik oder führe Interviews, z.B. hier zur Buchmesse.
als Literaturkritiker schreibe ich vor allem über US- und kanadische Literatur, junge deutschsprachige Literatur (im Studium war ich Redakteur bei BELLA triste), Superhelden, Graphic Novels und Mangas, Young Adult/Jugendbücher und Bücher über Tod und Verlust/domestic fiction.
seit 2009 schreibe ich für ZEIT Online (Literatur, manchmal Fernsehen/Netzkultur, Feminismus), den Tagesspiegel (Graphic Novels), seit 2015 auch für Der Freitag (Literatur/Politik) und Deutschlandradio Kultur (Netzliteratur, Videospiele).
ich gebe Creative-Writing-Kurse für Schüler und Pädagog*innen am freien Theater Tempus Fugit in Lörrach, und Workshops zu Literaturkritik und Kulturjournalismus, u.a. in Göttingen und Berlin.
ich übersetze aus dem Englischen, u.a. ein Marvel-Superhelden-Lexikon für DK (München) und, für Luxbooks (Wiesbaden) Amy Hempels „Was uns treibt“. gelegentlich bin ich Lektor, prüfe Bücher für Verlage oder beteilige mich an Social-Media-Projekten, z.B. die #buchsprechstunde der Büchergilde Gutenberg.
ich mag US-Serien und Seifenopern und habe 2015 ein Buch zu 20 Jahren „Verbotene Liebe“ zusammengestellt, mit/bei Nikola Richter im mikrotext verlag (Berlin) und Beiträgen von u.a. Elke Heidenreich und 40 Seifenopern-Fans und Schauspieler*innen, „Straight to your Heart“.
seit 2009 schreibe ich an meinem ersten Roman, „Zimmer voller Freunde“, und war damit u.a. Finalist beim Open Mike 2012 und Gast bei Kabeljau und Dorsch (Berlin) und 54stories/Literaturhaus Lettretage (Berlin).
- Expose in Bildern: http://zimmervollerfreunde.tumblr.com/
- Kapitel 3 als Lesung: http://litradio.net/zimmer-voller-freunde/
Buchtipps von mir. für ZEIT Online: Link
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