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- vor 10 Tagen bloggte ich auf Buzzfeed (Link)
- vor 5 Tagen wurde ich bei Buchmarkt.de dazu interviewt (Link)
heute nochmal länger, und auf Deutsch:
„Der Buch-Blogger und Kulturjournalist Stefan Mesch hat auf BuzzFeed die Zehn großen Trends“ der Covergestaltung des kommenden ersten Halbjahres 2015 enthüllt; eine spannende Übersicht“
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In meiner Kindheit waren Bücher Männersache: Unser Pfarrer hatte eine Bücherwand, mein Grundschulrektor las „Der Herr der Ringe“, im Fernsehen blätterten zerstreute alte Herren wie Papa Schlumpf durch dicke Zauberbücher.
Heute werden meist ältere Frauen bedient: Duftkerzen und Badesalz, Elke Heidenreich und Wolfgang Herles, ein Flut „ergreifender, zarter“ Bücher fürs Gänsehaut- und Taschentuch-Publikum.
Ich suche jeden Winter durch Verlagskataloge und, weil es bequem und online ist, auch durch Amazon-Register… und merke mir Bücher vor, die ich meinem ZEIT-Redakteur vorschlagen kann: zur Rezension oder für Autoren-Interviews auf ZEIT Online.
Seit 2011 mache ich diese Listen interessanter Neuerscheinungen auch gleich öffentlich – in meinem Blog.
Ich lese fast 100 Romane im Jahr, blättere durch fast jede literarische Neuerscheinung, zu der ich Online-Leseproben finde, und will in fünf, zehn Jahren gerne selbst solche Elke-Heidenreich-Empfehlungen geben, möglichst öffentlich:
Ich will Bücher entdecken, die noch fast keiner kennt – aber die möglichst viele Leute mit Gewinn lesen können.
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Letzte Woche fragte Tine Maria Winther, Redakteurin der Literaturbeilage von Poltiken (Dänemark), ob ich ihr als Deutschland-Experte einige Sätze zu den Büchern, über die in Deutschland 2015 gesprochen werden wird, schicke.
Meine Blogger-Kollegin Mara Giese sagt: der Frühling 2015 gehört J.D. Salinger, mit neu veröffentlichten Stories und mehreren Biografien und Memoirs.
Ich selbst schaute durch 500 Frühjahrs-Titel und fand vor allem bemerkenswerte Cover.
„Sinnliche“, farbstarke, gefilterte Fotos. Bildstarke, kräftige Motive. Titel, die Lebenswelten vermitteln. Stimmungen. Buchcover 2015, das heißt sehr oft: Atmosphäre!
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Kurz nach Mitternacht hatte ich 500 Amazon-Seiten offen. Gegen 2 Uhr fing ich an, Buchcover nach Motiven zu sortieren, nach Moden, Trends, Dopplungen und heimlichen Zwillingen. Erst wollte ich die Cover nur auf meinem eigenen Blog sammeln, https://stefanmesch.wordpress.com/
Dann dachte ich nach, ob ich für ZEIT Online oder den Berliner Tagesspiegel einen Buchcover-Artikel pitchen soll. Aber oft sprechen die Bilder und Zusammenstellungen, die ich die Nacht lang ordnete, für sich: Es braucht nicht viele Worte. Ich will nur kurz meine Favoriten zeigen. Ein paar kuriose Dopplungen. Ein wenig Trash und ein halbes Dutzend verunglückte Fotomontagen:
In einem Online-Feuilleton wäre das eine reine Klickstrecke. In meinem Blog gehen solche kurzen, spaßigen Listen manchmal unter.
Ich melde mich um 4 bei Buzzfeed an. Lade meine Fotos hoch. Schreibe ein paar kurze Teaser und Halbsätze – auf Englisch, damit die Bücher das denkbar größte Publikum erreichen, und auch Nicht-Deutsche mitreden und stöbern können. Und schon um halb 6 morgens bin ich fertig: der Artikel steht. Ein Spielerei, ein Nebenbei-Projekt, eine spontane Liste, perfekt für eine Website, die fast nur Bilder und spontane Listen sammelt.
In knapp sechs Tagen öffneten 2000 Menschen den Buzzfeed-Artikel. Das sind Zahlen, die ich oft auch im eigenen Blog erreichen kann. Ich bin nicht sicher, ob es sich für mich als Journalist hier lohnte, unbezahlten Gratis-Content auf diese Riesen-Plattform zu stellen. Bei Amerikanern oder dem breiten Publikum hat die Buchcover-Liste noch nicht gezündet.
Aber Verlags- und Autoren-Freunde sprachen auf Facebook lange über die Cover und meine Kategorien. Eine Freundin bei Hanser bedankte sich und sagte, sie habe meine Sammlung an Peter Hassiepen, den Hanser-Gestalter, weiter geleitet. Niemand im Netz ruft sofort „Toll! Lasst uns jetzt stundenlang über Buchcover reden!“ Aber, immerhin: Verlage selbst freuen sich, diese Cover gesammelt zu sehen, Rückmeldungen zu lesen, Stimmmungsbilder einzuholen.
Ich selbst bin recht zufrieden mit den Buchcovern 2015: Noch vor zwei Jahren waren auf jedem dritten, vierten KiWi-Roman Rosenblüten, Blumenranken, Apfelknospen, in matten Farben und im Stil von Omas Häkeldecke. Floral, lauwarm, tantig. Buchcover, zu denen ich mir keine jungen Leserinnen und Leser vorstellen kann und kaum männliche Käufer.
2015 wird das besser: viele Bücher sehen aus wie Plattencover oder Indie-Filme, viele Erwachsenen-Titel sind so kantig, markant und selbstbewusst gestaltet wie sonst nur amerikanische Young-Adult-Titel. Viele Bücher 2015 wirken jung. Sinnlich. Unisex. Gefühlsstark. Erlebnisse. Lebenswelten. Eine intensive Erfahrung, zwischen Buchdeckel gepresst.
Das sind nicht die Bildungsbürger-Schwarten meiner Kindheit. Das spricht auch Käufer an, die keine zartrosa „Brigitte-Bibliothek“ suchen.
Wir reden selten über Bücher. Verlage haben nicht viele Inhalte, die online leicht besondere Beachtung finden. Viele Buchcover 2015 aber können sich sehen lassen – auch international. Deshalb war mir wichtig, sie zu zeigen. An möglichst zentraler Stelle.
Meist bin ich klassischer Kritiker und Kulturjournalist. Manchmal bin ich Blogger. Aber hier will ich vor allem Multiplikator sein. Zeigen: deutsche Bücher haben Stil. Deutsche Cover werden besser. Trotz aller Krisen: Hier bewegt sich was!
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Trend 1: tolles Licht
Fotos. Starke Kontraste. Licht!
Falls diese 2015er-Bücher nur halb so atmosphärisch sind wie ihre Cover… werden sie grandios!
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Trend 2: Amerika, traurig
US-Autor*innen haben immer noch große deutsche Fangemeinden. Mich freut, dass Titel wie “California” und “We are not ourselves” schon 2015 auch bei uns erscheinen. Aber:
Viele dieser Cover wirken ziemlich… trist. Ist das Amerika, von dem wir am liebsten lesen / hören, Amerika in der Krise?
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Trend 3: Kontrast vor schwarzem Hintergrund
Mir gefällt besonders das Cover von Tom Liehr, „Nachttankstelle“. Außerdem bin ich froh, dass die Augen des Wolfs auf dem „Wolfsland“-Cover nicht künstlich zum Leuchten / Strahlen gebracht wurden.
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Trend 4: Riesenstadt, Riesen-Typo
Ich hoffe, da kommt noch mehr: wuchtige Gebäude und wuchtige Buchstaben passen sehr, sehr gut zusammen!
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Trend 5: schrullige Retro-Frauen
Charmant! Ich hoffe, die Frauenfiguren in diesen Büchern sind so markant wie die Abbildungen auf den Covern: schrullig, eigensinnig, selbstbewußt und ein wenig verstörend. Mich ärgert nur, dass das deutsche Cover von Maria Semple’s grandiosem “Where did you go, Bernadette?” einen pinken Hintergrund erhielt. Das Original ist deutlich nüchterner.
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Trend 6: kleine, fröhliche Punkte
Erzählerischer Schwung. Optimismus… mit einem Schuss Melancholie: Ich mag diese Punkte. Und offenbar reichen schon drei Orangen (und das runde Aufbau-Logo), um verspielte Stimmung zu schaffen.
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Trend 7: große, bedrückende Punkte
Schwer, drückend, wie auf Leinwand oder auf einer Flagge: All diese Punkte haben fast die selbe Größe. Gibt es ein ideales Größenverhältnis für Kreise auf einem Buchcover?
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Trend 8: Vögel und Sterblichkeit
“Du wirst sterben. Dein Vermächtnis und die Erinnerungen, die du in anderen Menschen hinterlassen hast, werden in alle Richtungen stieben – wie ein Schwarm Vögel.“ …war das die Überlegung hinter diesen Covern?
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Trend 9: seltsame Tiere
Seltsame Tiere scheinen ein Versprechen zu sein: „Achtung: hier kommt ein eigensinniges Buch, mit ganz eigenem Ton.“ Mir gefällt besonders die absurde „Muschelrose“… und der Widerspruch zwischen „Monster“ und dem abgebildeten Seehund.
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Trend 10: Understatement.
Schwere Sachbücher und historische Romane benutzen oft solche Pergament- und Off-White-Töne. Aber mir gefällt, wie selbstbewusst und „klassisch“ diese neuen Coverentwürfe anmuten – in Kontrast zu all ihren lauten, überladenen, bunten Konkurrenten.
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außerdem: Cover im Instagram-Look
Bücher im Instagram-Look… für eine junge Zielgruppe?
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„Sexy“ Cover…
Hier sind fünf der wildesten (oder: billigsten?) Cover 2015, die ich fand.
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„Little Boxes“:
Viele Wohnungen. Viele Figuren. Schon kapiert: die Traurigkeit und Anonymität der Moderne.
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Wellen! Schwimmer! Das Meer!
Kein Trend zu 2015. Denn, keine Frage: JEDES Buch verkauft sich besser, wenn es mit dem Meer zu tun hat. Leser*innen lieben Wasser… und Bücher mit Sehnsuchts-Settings.
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Photoshop-Desaster (?)
Verlage? Ich… rolle die Augen. Aber andererseits war ich wohl eh kein Teil der Zielgruppe für diese sechs Titel.
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und…
starke Farben, klare Typografie:
meine Lieblingscover
„Palladium“ und „Verlust“ haben recht schlechte Kritiken. Schade: optisch spricht mich all das sehr an!
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