Aus dem Fenster schauen mit Joseph Roth

Den großartigen Erzähler Joseph Roth kann man nun noch einmal aufs Neue entdecken: In dem handlichen Band Trübsal einer Straßenbahn.

Die hier von Wiebke Porombka versammelten „Stadtfeuilletons“ aus Wien und Berlin sind zwischen 1919 und 1929 in verschiedenen Tageszeitungen erschienen. Es geht um das Elend nach dem ersten Weltkrieg, die Welt der Cafés und Kaschemmen und die Erinnerung an die „gute alte Zeit“ der gerade untergegangenen Monarchie. Joseph Roth scheint sich so gut wie in jedem Milieu auszukennen, aber manchmal bleibt er auch einfach zu Hause und schaut bräsig aus dem Fenster – bis es zu einer unerwarteten Begegnung kommt:

Ich beschloß, keinen Respekt mehr zu haben.
Da bekam ich ihn.
Und das war so: Eines Tages saß ein Spatz auf dem Fensterbrett, er sah mich an. „Ich habe keinen Respekt“, sagte er.
Er ärgerte mich. Ich griff nach ihm.
Er flog aufs obere Fenstersims und schielte hinunter.
„Ich habe keinen Respekt!“
Ich bin ein Mensch, und Respekt ist eine menschliche Notwendigkeit. Ich verlor ihn vor dem Wachmann.
Und ein Spatz lehrte mich ihn.

Joseph Roth: Trübsal einer Straßenbahn. Stadtfeuilletons. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2012, 300 Seiten, 22 €

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