Journalistische Dramolette II: Juli Zucker und Andreas Thamm schreiben für Zeitungen und das Internet, beide studieren Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim. Im Zuge der #balticdiscovery der Kreativsaison Mecklenburg-Vorpommern bereisen die beiden die Ostsee-Region zwischen Wismar und Rostock. Ihre Eindrücke werden an dieser Stelle verarbeitet.
Nach der Besichtigung von Wismar und Neubukow (zauberhaft), Bieren im Atelier (launig) und der ersten meck-pommschen Landhausromantik in Kühlungsborn (malerisch), gehen Juli und Andreas so langsam die Adjektive aus.
A: Das Atelierhaus Rösler-Kröhnke. Etwas außerhalb von Kühlungsborn, diesem Ostseebad. Sieht von der Straße unspektakulär aus, weißer Putz, da könnte auch etwas gelagert sein, Schweinehälften oder Computerchips. Zu anderen Seite hin der Garten, der in eine Art Teletubbie-Land übergeht, das in einen Wald übergeht. Drinnen stellen sie aus. Unter anderem diese bunte Dosenkunst von Anka Kröhnke, der Hausherrin, 73 Jahre alt, die dritte Generation Rösler-Kröhnke-Kunst. Ich gebe diesen Blog an dieser Stelle ab, zum einen an Dich, liebe Juli, zum anderen an Anka Kröhnke, weil ich so ein fleißiger Jungjournalist bin und nicht wenige Zitate aufgeschrieben habe, die ich Dir, Juli, gern auf deinen weiteren Lebensweg mitgeben möchte.
J: Auf gar keinen Fall denkt jemand, dass da einer Schweinehälften lagert, weil keiner und vor allem keine 73-jährige Frau mitten in der Prärie, die man erst nach einem 1000 Kilometer Reiseweg erreicht, Schweinehälften lagert und besonders nicht Anka Rösler-Kröhnke.
A: I need colour.
J: Für meine kinetische Kunst in meinem kinetischen Haus, die ich mit meinen kinetischen Händen in einer kinetischen Umgebung mit einer kinetischen CD angefertigt habe und jetzt mit einem anderen kinetischen Künstler kinetisch in meinem kinetischen Raum mit kinetischer Power ausstelle.
A: CDs are so beautiful in themselves.
J: So beautiful, dass Anka Rösler-Kröhnke CDs sammelt und sie einmal in der Mitte zerdrischt, wenn sie Lust hat, um sie auf einer Leinwand so anzuordnen, dass es richtig tricky wird und man, je nach Blickwinkel, entweder diese schicken Spiegelungen sieht oder farbige Aufdrucke.
A: Das ist Kunstkritik, wie sie mir gefällt. Die eigentliche Geschichte hier ist aber folgende: Luise Rösler, die Mutter, erhält 1943 von der NS-Regierung Farbenverbot (außerdem Leinwandverbot, es war ihr, genaugenommen, Sämtliches verboten). Die Familie versteckt ihre Bilder unter dem Fußboden. Nach dem Krieg sind Farbe und Leinwand und Pinsel Luxusgüter. Auf diesem Mangel fußen genauso die Collagen der Anka Rösler-Kröhnke, vor denen wir stehen: She had nothing, so she started with candy paper.
J: Ein gewagtes Unternehmen. Man kann ja nicht ständig so viele Bonbons essen.
A: When I turn away and don’t have to look at it again, it’s okay.
J: Eine Sache, von der Anka Rösler-Kröhnke vielleicht noch abgeturnt ist, sind dunkle Möbel. Deswegen hat sie von Esstisch über Bett bis zum Diwan alles abgeschliffen und in grellem Rot gestrichen. Aber macht nichts. Wenn sie es nicht aushält, schaut sie eben aus dem Fenster auf die Ostsee, die man von Küche und Wohnzimmer aus sieht, und freut sich, dass sie endlich dieses gigantische Haus nahe Kühlungsborn gefunden hat, nachdem sie jahrelang überall in Norddeutschland vergeblich gesucht hatte.
A: Ich hab keine Zitate mehr. Das ging fix. Möge uns jungen Hüpfern all das hier eine Lektion sein, etwas, das wir mitnehmen, auf unseren E-Bikes in Richtung Küste, dorthin, wo uns die wohlhabenden Rentnerpaare schon erwarten, mit ihren Baumwoll-Baseball-Caps und den windbreakenden, beigen Westen, wie sie flanieren und sitzen und kleine Taschen an ihren Handgelenken baumeln haben, mit diesem wohligen Gefühl um die Milz, dass sie all das haben, was wir so gerne hätten.
J: Was zum Beispiel?
A: Unerschütterliche Lebensqualität durch Wohlhaben. Es gibt noch eine Sache, dann können wir schließen. Wir sitzen bei „Edel&Scharf“ über Currywurst mit Pommes und Preiselbeersenf (!) und, ich möchte diversen dänischen Publikationen nicht vorweg greifen, aber unsere Kollegin Emilie Lukman erzählt: Auf dem Steg, der hier in Kühlungsborn in die Ostsee ragt, sitzt ein Mann im Rollstuhl und schaut aufs Meer. Ein etwa Dreijähriger nähert sich, vielleicht ist sein Fahrrad/Dreirad neu und besser als das seiner Kameraden im Kindergarten. Er muss sehr stolz gewirkt haben. Die beiden fokussieren einander für einen Moment, die umgebenen Rentnerpärchen halten den Atem an, verstärken den Griff um die Hand des andern. Der mild zitternde Moment eines Generationen- und Fahrzeug-Duells. Der Herr im Rollstuhl lässt seinen Blick auf dem Jungen ruhen, seine Hand tastet nach einem hohlen Gummiball und betätigt effektvoll, es sei, sagt Emilie, niemand entgangen, seine Tröte. Der Junge weiß, er ist besiegt und zieht wie ein geschlagener Hund davon.
J: Alles kinetische Power.
A: Genau. Oder mit den Worten vom Anfahrtsplan auf dem Flyer des Ateliers: Vorsicht: Viele Raser.
Euer Schreibstil ist wie eine frisch gemachte Limonade mit gecrushtem Eis. Bei 40 Grad.