Vor gut zehn Jahren kam mir der Gedanke, dass Bücher unkonventionell inszeniert werden müssten. Was ich einst mit einem damaligen Stiefkind des Buchmarktes, nämlich dem Ratgeber vorhatte, ist heute quer durch alle Genres und Warengruppen gängige Praxis. Ohne Spektakel bzw. Kasperle- und Affentheater geht im Literaturbetrieb offensichtlich nichts mehr.
Das zumindest scheinen jene zu meinen, die sich mit der Frage beschäftigen, wie sich ein Buch an den Käufer bringen lässt. Dafür wird auf Teufel kommt raus und ungeachtet dessen, was zwischen den Buchdeckeln steht, geklimpert und getrommelt. Und zwar frei nach der Devise: Je schriller, desto besser! Und sollte sich einmal kein Aufhänger finden lassen, der zum Skandälchen taugt, dann kann man ja noch auf eine einstweilige Verfügung hoffen, die sich öffentlich ausschlachten lässt. In jedem Fall wissen sich die Verlage mit den sensationsgierigen Medien in einem Boot. Dass sich ein gutes Buch deshalb durchsetzt, weil es gut ist, daran scheint längst auch nicht mehr das seriöse Feuilleton zu glauben …
Das jedenfalls legt der jüngste Aufreger nahe, nämlich das Sommertheater, das derzeit rund um den Schwedenkrimi „Der Sturm“ veranstaltet wird. Mir führt der stilisierte Skandal, der sich an einem vermeintlichen Mord an einem Feuilletonchef entzündet hat, allerdings anderes vor Augen: Nämlich das Dilemma, in das sich der Literaturbetrieb mit seiner zwanghaften Haltung manövriert hat, möglichst viel Zirkus um Bücher zu veranstalten. Den Schaden davon tragen Autor(en), Verlag(e) und Feuilleton inzwischen zu gleichen Teilen.
Rekapitulieren wir kurz den Fall, d.h. die Vorab-Geschichte eines Krimis mit dem Titel „Der Sturm“ aus der Feder eines vermeintlichen Per Johansson, der am kommenden Donnerstag, den 23. August bei S. Fischer erscheint:
Tatsächlich versuchte sich nicht Per Johansson, sondern der Kulturchef der Süddeutschen Zeitung Thomas Steinfeld, der bislang standesgemäß Sachbücher zu anspruchsvolleren Themen vorlegte, an einem literarischen Genre, das Intellektuellen offensichtlich nicht perfekt zu Gesicht steht. Und zwar nach allen Regeln der Handwerkkunst und gemeinsam mit einem Münchner Freund, der ein intimer Kenner der Materie sein soll, wie Steinfeld im Interview im Deutschlandradio am Samstagmorgen versicherte. Man habe lediglich ein Experiment gestartet, mit dem man herausfinden wollte, ob man befähigt sei, einen guten Krimi zu schreiben, so der Feuilletonchef der SZ über sein neues Buch.
Ins Gerede kam der Krimi von Steinfeld & Co allerdings nicht, weil das Experiment gelungen ist, sondern weil ein findiger Redakteur der WELT die Idee hatte, die Leiche zu sezieren. Nachdem sein Befund feststand, nämlich dass das Mordopfer der Feuilletonchef der FAZ, sprich: Frank Schirrmacher sei, begann in den Gazetten eine Hetzjagd. Und zwar nicht nach dem Mörder, sondern nach dem Autor, der seine Identität hinter dem Pseudonym Per Johansson verborgen hatte. Nachdem sich Thomas Steinfeld schließlich als Co-Autor des Krimis geoutet hatte, wurde wiederum der Verlag öffentlich angeprangert, weil er die Autorenschaft getarnt und einen deutschen Fall als Schwedenkrimi deklariert hatte.
So weit ist die Geschichte eigentlich reichlich banal. Ein Sturm im Wasserglas, der keinen Aufreger wert ist. Dass der Verlag für das Experiment des Feuilletonchefs ein Pseudonym aus der Taufe hob und aus dem Plot einen Schwedenkrimi machte, ist in der Branche üblich. Thomas Steinfelds Name ist unter Krimianhängern nicht zugkräftig genug (Feuilletonleser, so heißt es, bevorzugen andere Genres) und Schwedenkrimis sind en vogue. Dass der Verlag auf dieser Welle mitreiten wollte, ist ebenso legitim wie die Entscheidung für ein Pseudonym. Dumm gelaufen ist die Angelegenheit allerdings deshalb, weil der Fall dank kräftigen Zutuns sensationslüsterner Medien aus dem Ruder lief. Und das – ohne jegliches Mittun des Verlages, der sich von der Entwicklung überrascht sah und am Ende hilflos zurückruderte. Allerdings gilt auch hier: Die Geister, die ich rief …
Hätte man im Krimi des Feuilletonchefs der SZ keine Leiche ausgemacht, die dem Feuilletonchef der FAZ ähnlich sehen soll, dann wäre die Trickserei des Verlages mit Pseudonym und Mogelpackung „Schwedenkrimi“ vermutlich nie ans Licht gekommen. Aus strategischer Sicht ist der Fall jedenfalls gründlich misslungen. Wenn der Krimi Donnerstag dieser Woche in den Handel kommt, dann kräht im Medienwald kein Hahn mehr nach ihm. Dann treibt man dort längst die nächste Sau durchs Dorf. Und auch für Steinfeld & Co ist das Experiment nicht geglückt. Ob der Krimi etwas taugt, interessiert nach diesem Theater nicht einmal mehr Backstage. – Und die potenziellen Käufer und Leser? Die lassen sich ungerne ein X für ein U vormachen!
Und was bleibt vom Sturm im Wasserglas? Ein allseitiger Glaubwürdigkeitsverlust, aus dem die Beteiligten Lehren ziehen könnten. Und Frank Schirrmacher? Der ist quicklebendig und lacht sich vermutlich ins Fäustchen …
Zu Teil 2 geht es hier: Gezielte Irreführung? Ein Nachtrag zum Sommertheater um Steinfeld und Co
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Seit wann liest man „Schweden-Krimis“ von unbekannten Autoren im Feuilleton? Wie kommt man darauf, dass es sich um Steinfeld handelt? Das sieht nach abgekartetem Spiel aus. Den vorläufigen Höhepunkt der Heuchelei ist dann der Krekeler-Beitrag, der Verlagen vorwirft durch Pseudonyme Glaubwürdigkeit zu „verspielen“. Auch so ein Unsinn.. Aber, ehrlich gesagt, mehr als ein Beitrag sollte einem doch so ein Schmierentheater nicht wert sein, oder?
Sehr schöner Artikel, der ein Dilemma auf den Punkt bringt, das Leuten, die einfach gut gemachte Bücher lesen wollen, zunehmend auf den Nerv geht. Als ich die „Posse“ las, die auch gut und gerne im Provinzblatt von Hintertupfingen veröffentlicht werden könnte, dachte ich nur: Nee, nicht schon wieder! Was mich allerdings doch ärgert, ist die Chupze des Verlags, einfach eine Biografie zu erfinden … Wenn es stimmt, was ich las, wurde nämlich NICHT eindeutig darauf hingewiesen, dass es sich um ein Pseudonym handelt.
Da fühle ich mich als Leser ver… Und wende mich anderem Lesestoff zu.
noch schlimmer: Ich werde meine Einschätzung, dass es sich bei diesem Fall um eine harmlose und gängige Praxis in der Buchbranche handelte, revidieren müssen. Die Fakten sprechen für ein Täuschungsmanöver. http://www.boersenblatt.net/545989/
Noch schlimmer: Erst kürzlich beschwor in einer Veranstaltung eine Lektorin ebenjenes Verlags die Moral und Ethik ebenjenes Verlags … Frei nach dem Motto: Wir halten das eherne Schild nach oben, das die anderen schon längst auf dem Altar des Zeitgeistes geopfert haben. Willkommen in der Realität!
Dazu, Nikola, siehe meinen Nachtrag https://steglitzmind.wordpress.com/2012/08/22/gezielte-irrefuhrung-ein-nachtrag-zum-sommertheater-um-steinfeld-und-co/
Ein Schelm, der Böses dabei denkt: Das deutsche Feuilleton war schon einmal dämlich genug, einen skandinavischen Sturm im Wasserglas zu feiern. Dank einer Leserin aus meinem Blog entdeckt – eine Vorlage von 1889: Der erfundene Übersetzer erfindet die Biografie eines erfundenen Norwegers: http://www.zeno.org/Literatur/M/Holz,+Arno/Erz%C3%A4hlung/Papa+Hamlet/Einleitung+des+%C3%9Cbersetzers und der Fake wird enthüllt, nachdem das gesamte Feuilleton reingebrummt ist und das erfolgreiche Buch in Neuauflage erscheint: http://www.zeno.org/Literatur/M/Holz,+Arno/Erz%C3%A4hlung/Papa+Hamlet/Vorwort+%5Bzum+Wiederabdruck%5D .
Aber hoppla, was lesen wir da: „Was sie dazu veranlaßt hatte? Die alte, bereits so oft gehörte Klage, daß heute nur die Ausländer bei uns Anerkennung fänden und daß man namentlich, um ungestraft gewisse Wagnisse zu unternehmen, zum mindesten schon ein Franzose, ein Russe oder ein Norweger sein müsse. Als Deutscher wäre man schon von vornherein zur alten Schablone verdammt, nur jene dürften scrupellos die alten Vorurteile über Bord werfen, nur jene sogenannten »neuen Zielen« zustreben! Mit anderen Worten: Quod licet Jovi, non licet bovi!“ 1889?
Ich kann hierzu nur das Feuilleton der Wochenendausgabe der englischsprachigen Financial Times loben, in der schwere Historiker-Kost neben schriller Urban-Fantasy besprochen wird, ganz so, als würden sich die Leser des einen womöglich auch mal für das andere interessieren können – was wohl auch der Fall ist. Man darf daher getrost nicht nur Pseudeoschwedenromane ignorieren, sondern auch die deutschen Feuilletons, denen das im Jahr 2012 noch eine Spalte wert ist. Schon „Die Welt“ hätte sich ihre hochwichtige Herr-Lehrer-ich-weiß-was-Investigation sparen müssen, aber die „Freude ob des erbeuteten Wurms“ (Nietzsche) war wohl einfach zu groß.
Wenn man besonders böse (oder realistisch?) ist, darf man sich vielleicht auch den Feuilletonchef der SZ gemeinsam mit den Kollegen von FAZ und WELT kichernd am Tresen vorstellen. Vielleicht steht Walser daneben, von dessen Steilvorlage man abgekupfert hat? So sehr stinkt diese Manipulation zum Himmel, bei der es außerdem darum geht, jetzt auch noch durch möglichst viele Aufreger das Buch gehörig ins Gerede zu bringen. Mundpropaganda sells. Schlechte leider auch.
Ich bekomme immer öfter das Heulen, wenn ich daran denke, wie viel Platz in den Feuilletons für die unbekannteren Autoren und Verlage wegen so etwas zusammengestrichen wird. Wie viele Krimis werden vom Feuilleton nie beachtet, weil das Genre doch „Schmuddelware“ ist! Aber man muss eben heutzutage die richtigen Seilschaften kennen … Feuilleton ist das schon lange nicht mehr, das ist Boulevard at it’s best.