Bisweilen treiben Menschen Fragen um, deren Sinnhaftigkeit sich nicht unbedingt auf Anhieb erschließt. So etwa die, ob bibliophile Blogger Nostalgiker sind, die LiteraturFutur im Vorfeld der Hildesheimer Zusammenkunft am 24./25. Mai in einem Gespräch mit mir aufgeworfen hat.
Seitdem ich die Frage an Bloggerinnen und Blogger weitergereicht habe, zieht sie im Netz ihre Kreise. So steuerte etwa Stefan Mesch einen Essay bei und den Krimi-Depeschen war sie sogar eine Extra-Nostalgie-Ausgabe wert. – Für eine Stellungnahme konnte ich nun auch den Blogger Jost Renner aka @Amfortas gewinnen, dem ich einen gewissen Hang zur Nostalgie unterstelle. Nicht allein, weil er Bücher stapelt und der alten Rechtschreibung anhängt. Nein, vornehmlich deshalb, weil er Lyrik schreibt!
BTW: Jost debütierte im Februar 2013 mit einem Gedichtband „LiebesEnden“, weshalb er hier schon einmal Rede und Antwort stand.
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Beginnen will ich meinen Beitrag also mit einer kurzen Begriffsklärung : „Heute versteht man unter Nostalgie im Deutschen eine wehmütige Hinwendung zu vergangenen Zeiten, die in der Erinnerung oftmals stark idealisiert und verklärt reflektiert werden.“ So sagt das das online-Referenzmedium „Wikipedia“. Und mit dieser Definition läßt sich trefflich gegen die unterschwellige Aussage der Frage argumentieren.
In Deutschland speziell, aber auch weltweit sind Bücher aus Papier weiterhin vorhanden und in der Außenwahrnehmung – durch das Feuilleton, Buchhandlungen, Blogs und vor allem Buchhandlungen – nicht nur vorhanden und sichtbar, sondern dominant. Nostalgisch zu sein bedeutete allerdings, sie wären es nicht mehr, und ich (als Leser, ehemaliger Rezensent und Lyriker) hätte gerade noch alle mir erreichbaren Bände gehortet und trauerte einer aktuell nicht mehr vorhandenen Kulturerscheinung nach. Dies hätten die Verfechter des ebooks vielleicht gerne, aber dem ist faktisch nicht so. Und ich bin mir gewiß, daß dies geraume Zeit genau so bleiben wird, ich also den weitgehenden und flächendeckenden Ersatz des Papierbuchs durch das ebook allenfalls in hohem Greisenalter erleben oder eben nach meinem Tode nicht mehr erleben werde. Das hat Gründe.
Wenn ich also kein Nostalgiker bin, was bin ich dann (die Frage, wer ich denn sei, bedürfte vermutlich eines viele hundert Seiten umfassenden biographischen Werkes)? Zunächst einmal bin ich ein mit Büchern sozialisierter Mensch. In meinem zum Teil akademisch geprägten Elternhaus existierten zwei recht unterschiedliche Bibliotheken, die meine Eltern zusammengetragen und nach ihrem Geschmack zusammengestellt hatten, dann eine sich je nach Lesefähigkeiten sich stetig erweiternde Kinderbibliothek, die mit Elementarbilderbüchern und den damals sehr präsenten Pixibüchern begann, dann einige Märchenbände und – vermeintlich jugendgerecht redigierte, also gekürzte – Fassungen von Klassikern der Jugendliteratur. Zuletzt gesellten sich einige Bände dazu, die sich aufklärerisch mit Jugendproblemen wie Drogen, Ladendiebstahl oder Gewalt auseinandersetzten. Der Übergang zur Literatur fand durch das Durchstöbern der elterlichen Regale und einer recht gut sortierten Schulbibliothek statt. Seit etwa dem sechzehnten Lebensjahr sammele ich Bücher, deren Gesamtzahl nun bei weit über 10.000 Bänden liegt. Somit ist fraglich, ob ich mich noch als bibliophil oder nicht doch eher als biblioman bezeichnen müßte. Eins aber bin ich in Anteilen gewiß : konservativ und elitär.
Es gibt ebooks, und ich habe das sogar zur Kenntnis genommen. Sie sind für mich allerdings praktisch kaum relevant. Das hat mehrere Gründe: 1. ich bin mit Büchern aus Pappe / Papier bzw. Leinen / Papier groß geworden und bevorzuge weiterhin das haptische, olfaktorische Element dieser Form und mag zudem durchaus die Atmosphäre eines mit Büchern möblierten Raumes. 2. Meine Bücher sind mein Eigentum, mit dem ich tun und lassen kann, was mir beliebt – verleihen, verkaufen, z.B. 3. der mich interessierende Teil des Buchmarktes ist im Bereich ebook für mich weder attraktiv, noch relevant, noch überhaupt flächendeckend vorhanden. Ich sagte bereits zuvor, ich sehe mich als zum Teil eher elitär. Somit bewege ich mich vor allem im Bereich der anspruchsvollen Literatur mit Ausweitungen in den literarischen „Mainstream“, der aber dann doch qualitativ meist über Chicklit, „Fifty Shades of Grey“ oder Dan Brown liegt und die Bestsellerlisten diverser Wochenmagazine selten nur ansatzweise berührt. Dort oder im Ratgeberbereich, bei Lexika, Enzyklopädien liegt aber der relevante Teil des ebook-Marktes.
Schau ich mir dagegen mein Interessengebiet an, ergibt sich ein für mich unattraktives Bild : nicht alle Verlage veröffentlichen ihre Bücher als ebooks, die Preise erscheinen mir überteuert, umso mehr als ich kein Eigentum erwerbe, sondern allenfalls eine Lizenz. Amazon und auch google entblöden sich nicht, vermeintlich illegale Kopien eines ebooks auch mal zu löschen, der Weiterverkauf oder auch nur der Transfer auf andere Geräte erweisen sich als schwierig bis unmöglich, es gibt Formatprobleme wie auch Shopgrenzen, selbst bei Amazon, zuletzt ist das Hantieren mit DRM und der notwendigen Adobe-Software zur Verifizierung der Rechte umständlich bis arg kompliziert, sodaß Normalnutzer mit wenig Computerkenntnissen recht schnell an ihre Grenzen geraten, sodaß wohl amazon einen großen Teil des ebook-Kuchens für sich sichern wird können. Der stationäre Buchhandel zudem, und aus diesem komme ich ursprünglich, bleibt weitgehend außen vor. Ich erinnere mich, daß eine Sortimenterin an einem ebook-link beinahe verzweifelte, weil die Kundin diesen nach Kauf nicht öffnen konnte und sich die Ursachenforschung und Problembehebung mit dem Anbieter zeitlich aufwendig und somit unbefriedigend gestaltete.
Ich sehe für mich weitere Probleme : Um meine Präsenzbibliothek adäquat abspeichern zu können, benötigte ich mindestens 5 – 10 Geräte, alle durchaus anfällig für Verschleiß oder andere Beschädigungen und mehrere Clouds, die, da im Internet eingerichtet und weiterhin dem Zugriff durch die Anbieter ausgesetzt, nicht wirklich sicher sein können (und sollen). Grundsätzlich stellt sich zudem die generelle Frage der Auslagerung von Kultur und Wissen auf digitale Datenträger und Geräte, da auch hier großflächige Zerstörungen nicht auszuschließen sind, erst recht aber nicht der Konkurs eines Anbieters. Hier mögen zwar die Daten zu retten sein, aber was, wenn etwa Kindles nicht nachproduziert würden und somit defekte Geräte nicht ersetzbar wären?
Ebooks gehören mittlerweile zur Kultur, und somit relativiert sich mein Konservatismus ein wenig. Aber auch McDonalds fällt unter den Kulturbegriff, ohne daß ich das sonderlich zu schätzen wüßte. Im Bereich der anspruchsvollen Literatur sind ebooks in meinen Augen derzeit allenfalls Begleitpublikationsformen, die – um nicht den Hardcoverbereich der Verlage zu kannibalisieren – preislich unattraktiv gestaltet sind, sodaß sie, wenn denn überhaupt vorhanden, kaum attraktiv sind. Derzeit ist genau dort auch kein Anzeichen festzustellen, es würde in absehbarer Zeit eine Revolution geben, etwa daß ein Konzern sagt, er gründe ein Imprint und veröffentliche literarisch wertvolle Werke ausschließlich als ebook. Denn dieses Risiko wird man nicht eingehen, da einerseits der Geruch des Zweit- oder Drittklassigen unvermeidbar wäre (wie Originalveröffentlichungen von Filmen auf DVD hinlänglich beweisen), andererseits das Buch in seiner Ausgestaltung als Druckwerk weiterhin viel zu präsent ist. Selbst für „Fifty Shades of Grey“, das ja wohl ursprünglich aus dem ebook-Bereich kam, war es notwendig (und sinnvoll), es als Printversion zu vermarkten. Somit ist das ebook im feuilletonistischen Diskurs über Literatur – zu Recht – derzeit nicht präsent, in der selbstreferenziellen Diskussion über den Buchmarkt dafür überdimensional.
Eine Änderung über Jahrzehnte hinweg wird es geben. Das ebook wird Lexika, Sach- und Fachbücher, Ratgeber und massentaugliche Unterhaltungsliteratur, sowie die Schmuddelecke und natürlich den Self-Publishing-Markt nach und nach vollständig erobern, immer begleitet vom pseudo-euphorischen Geschrei einer Branche, die tapfer im Nebel stochert und nostalgisch an eine Zeit zurückdenkt, in der das Wünschen noch geholfen hatte. Die Self-Publisher werden zusammengenommen vom großen Kuchen der Buchverkäufe etwas abzwacken und Kaufkraft für Besseres, Anspruchsvolleres binden. Wirklich erfolgreich und eben auch sichtbar in einem Riesenstrom der Unzulänglichkeiten werden sie erst dann sein können, wenn es Gatekeeper geben wird, neue Formen des Verlagswesens, die nach Qualität sieben und glaubwürdig empfehlen können. Dennoch werden ebooks und Self-Publishing schon jetzt die Branche, das sind Verlage wie Buchhandlungen, nachhaltig beeinflussen und Umwälzungen erzwingen, allerdings vermutlich weitgehend negative. Die Idee, daß Bücher erstmal Kultur und in erst in zweiter Linie Ware sind, ist derzeit allenfalls ein Lippenbekenntnis oder das kaum gehörte Credo sehr engagierter kleiner und unabhängiger Buchhandlungen und Verlage, während die großen Player mit sich vergrößernder Titelschwemme auf der Suche nach viel Umsatz den Kulturbegriff erfolgreich unterminieren.
Die Beteiligten haben Glück, daß es konservative, wertbewußte Leser gibt, die Halbjahr für Halbjahr nach Wertvollem, Lesenswertem stöbern. Aber man man macht es ihnen zunehmend schwerer.
Mich macht das Wort „bibliophil“ mittlerweile aggressiv; — grauenvoll!
Was ich toll finde, ist, dass alte Literatur, teilweise wieder als ebook (digitalisiert) verfügbar ist bzw. wird (ich bin dadurch schon auf das eine oder andere interessante Buch gestoßen, das ich sonst nicht gefunden, einfach, weil ich ich nicht daran gedacht habe).
[…] es gibt Formatprobleme wie auch Shopgrenzen, selbst bei Amazon […] Nein: Gerade bei Amazon! Ich habe mit dem Ebook-Kauf kaum Erfahrungen, vermute aber, dass das gängige, offene Format (epub), selbst mit DRM Schutz eigentlich wenig Probleme machen sollte (wer sich an Amazon bindet, selbst schuld).
Wieso brauchen Sie verschiedene Geräte für die Speicherung Ihrer Bibliothek? In meinen Reader stecke ich nach Bedarf Speicherkarten, es genügt ein Gerät und so viele Speicherkarten, wie notwendig.
“Fifty Shades of Grey” war (so weit ich weiß) zuerst eine Eigenpublikation im Ebook Format.
Dies eben behauptete ich : daß „Fifty Shades of Grey“ aus dem ebook-Bereich käme. Zu amazon : Man ist an den deutschen (oder einen anderen gewählten shop) gebunden, also an seinen Account. Die Bestellung bei amazon co.uk oder amazon.fr. oder amazon.com ist nicht möglich, wenn der Reader über amazon.de gekauft wurde.
Ja, schon, aber der entscheidende Punkt ist nicht ob Ebook oder nicht, sondern ob es sich um z.B. ein lektoriertes Buch handelt, die Frage ist eine nach Qualität und nicht eine der Form in der man lesen möchte, solange man beides bekommt.
Wie gesagt: Selbst schuld, wer einen Amazon-Reader wählt.
Begriffsklärungen sind immer gut,
soweit sie sich klären lassen.
Zumindest hat man mal Koordinaten: die Ideale,
Rückblicke und vielleicht auch Rückbesinnung,
ohne zu verharren und zu erstarren.
Eine Wehmut ist wohl auch vorhanden,
denn Vermassung im wilden Datenzeitalter, bedeutet auch Vermüllung.
Das mit der Vermassung und Vermüllung hat man schon im 19. Jahrhundert beweint 😉 Und im Nachhinein wundert man sich bei Archivgängen, was für Schätzchen von Autoren damals unbeachtet in Armut verreckten … und was für abstruse Inhalte manchmal zu Bestsellern wurden. Ich glaube, die Welt wird nicht schlechter, im Gegenteil, auf dem Reader ist das Wegwerfen von Ungeliebtem viel einfacher und umweltschonender 🙂
Auch wenn ich diese sehr persönliche Meinung nachvollziehen kann und vor allem der Datentransfer und Datenerhalt in Zukunft eine große Frage sein wird, wundere ich mich doch ein wenig über den Fokus. Nicht nur, weil Datenumgang auch für die größten Museen und Archive dieser Welt längst ein Thema ist, u.a. für Millionen eingescannter wertvollster Manuskripte und Texte. Naiv, wie ich bin, traue ich den damit beschäftigten Wissenschaftlern zu, für eine Zukunft zu sorgen, zumal Texte ja längst nicht mehr nur auf einem Gerät liegen, sondern auch auf diversen Festplatten und in der Cloud.
Da besitze ich übrigens jede Menge wertvoller Schätzchen aus aller Welt, vom einfachen pdf übers konvertierte E-Book bis hin zum Digitalisat. Texte, die man auf Papier nur mit Genehmigung überhaupt anfassen kann, aber keinesfalls besitzen. Die irgendwo in New York oder Moskau oder London liegen. Und nun auch bei mir.
Gar nicht nachvollziehen kann ich die Vermutung, es gäbe keine „elitäre“ oder höhere Literatur für den Reader. Der meine ist zu 90% gefüllt mit wunderbaren und wichtigen Klassikern, deren Papierausgaben ich mir in dem Umfang nie und nimmer leisten könnte. (Stefan Zweigs Gesamtausgabe gab’s kürzlich für 99 Cent). Und auch in Sachen Literatur haben die Verlage viel begriffen und ziehen nach. Da hat sich im vergangenen Jahr enorm viel verändert! Auch Bewegungen in Preis und DRM sind zu spüren, abgesehen davon, dass DRM ohnehin eine Lachnummer ist. Man muss nur Google oder youtube fragen …
Ich bin übrigens auch ganz froh, dass mir beim Einschlafen nur der Reader ins Gesicht fällt und nicht z.B. Thomas Wolfe’s „Schau heimwärts, Engel“ als Hardcover-Backstein 😉 Im E-Book sehe ich darum eine Chance zur Demokratisierung von Bildung, zum Zugänglichmachen von Literatur auch in Schichten, die sich bisher nie dafür interessiert hätten und nie das Geld dafür gehabt hätten. Die Bestsellerlisten bei den Gratisklassikern sprechen Bände!
Natürlich träume auch ich von einer Bibliothek ähnlich wie auf den Fotos. Aber dazu braucht man genügend Wände und darf nicht oft umziehen…
Ich will jetzt kein einseitige Lobeshymne auf E-Books singen, aber ich denke, beide Formen haben längst nebeneinander ihren Platz. Das lerne ich auch durchs Feedback meiner Leser … und Verlage. Privat mag es jeder halten, wie er lustig ist, aber wer heute seine Bücher nicht in allen technischen Formen anbietet, bringt sich definitiv um Leserschaft.
Natürlich träume auch ich von einer Bibliothek ähnlich wie auf den Fotos. Aber dazu braucht man genügend Wände und darf nicht oft umziehen…
Ich finde so Bibilothken immer schön, solange es nicht meine eigene ist. Der Aspekt des schwierigeren Umziehens ist das, was die Hassgefühle
gegenüber meinen Büchern befeuert – ich hätte gerne das Gefühl, dass mein ganzes Hab und Gut in einen Rucksack passt und ich jederzeit die Tür auf Nimmerwiedersehen zuwerfen könnte.
Ansonsten: Schöner Text / schöne Gedanken.
Liebe Petra,
zum einen sind die Klassiker fast alle vorhanden, sogar solche, die in Deutschland heute kaum einer kennt, zum anderen geht es mir um den aktuell literarischen Markt. Generell ist Lesen für mich auch Arbeit, die ich im Sitzen und einigermaßen wach erledige, sodaß die Gefahr, ein Buch oder Reader fiele mir ins Gesicht, nicht bestünde. Die Größe der Bibliothek ist in der Tat ein Problem, aber einerseits umfaßt sie – beinahe unnötigerweise – mehr Bände als ich zu Lebzeiten werde lesen können, andererseits pflegte einer meiner Buchhandelslehrer immer zu sagen : „Platz ist in der kleinsten Hütte“. Zum DRM ist zu sagen, der tolino shine etwa bedarf weiterhin der Installation des Adobe Right.- Managements, die auch im Testbericht definitiv als nicht unkomplizierte Hürde beschrieben wurde. LG Jost
Lieber Jost,
du magst durch das Elternhaus Glück gehabt haben … ich komme aus einem, in dem der vorgeschlagene Monatsband eines Buchclubs angeschafft wurde, weil die vor der Verwandtschaft was hermachten … und das auch relativ spät. Insofern war der Nachholbedarf extrem groß bei mir und die Bibliothek kleiner. Und wenn ich sehe, wie sich inzwischen das Bildungssystem in D. zunehmend nach sozialer Schicht nivelliert, freue ich mich über jeden jugendlichen Nichtleser, der sich 100 kostenlose Klassiker herunterlädt, weil’s hip ist und wenigstens 2 davon liest … LG, Petra
Ich schließe mich Literaturen an, ein großartiger Artikel, den ich mit viel Begeisterung, Interesse und vielen Wiedererkennungseffekten gelesen habe. 🙂
Ein toller Artikel, in dem ich viel von meinem eigenen Empfinden gespiegelt sehe!