Manana Tandaschwili, Jost Gippert (Hrsg.): Techno der Jaguare. Neue Erzählerinnen aus Georgien

»Ich lache, weil ich eine Leerstelle entdecke, eine Lücke, die nur mein Lachen übertönen kann, die Stille in mir.«

manana_echno-der-jaguareWer Nino Haratischwilis “Mein sanfter Zwilling” gelesen und geliebt hat – und lieben muss man dieses Buch zweifelsohne – der wird an einem Erzählband, der mehr dieser jungen, georgischen Stimmen verspricht, kaum vorbeigehen können. Sieben solcher ungewöhnlichen und nahezu unbekannten Stimmen sind es, denen wir nun in “Techno der Jaguare” zuhören dürfen.

Ich schlug das Buch also auf und es war gleich die zweite Erzählung, die mich vollends begeistert hat. “Eine mit Buch und ihre erlesene Leserschaft” erzählt die  Geschichte von Tino, die eines Morgens mit einem Buch aufwacht.

Früh am Morgen, gleich nach dem Aufwachen, wurde ihr klar: Das Leben steckt voller Überraschungen. Ihr Spiegelbild teilte ihr mit, dass ihr über Nacht ein Buch aus dem Kopf gewachsen war. Als Mensch ist Tino abends ins Bett gegangen. Als langsam wachsende Bibliothek wacht sie wenige Stunden später auf.

So weit nichts Ungewöhnliches, doch das Buch wächst ihr aus dem Kopf, hat einen Einband, raschelnde Seiten und einen seltsamen Inhalt – denn jeder, der einen Blick hineinwirft, liest etwas ganz anderes darin. Tino besucht eine Feier, auf der sie mit ihrem Buch-Kopf nicht alleine ist, hier sprießt jedem Gast Papier aus der Stirn, einigen gar Computer oder Webcams. Eine wunderbar surreale, eine kraftvolle Geschichte, die nach dem Sinn der Wörter und vor allem auch nach dem Sinn der eigenen Existenz fragt.

Ich möchte euch hier nicht von allen sieben Geschichten erzählen, sondern euch neugierig machen, damit ihr selbst lest und entdeckt. Aber ich kann meine Rezension natürlich nicht enden lassen, ohne über Nino Haratischwilis Theaterstück “Die zweite Frau” geschrieben zu haben. Es erzählt von Laura, einer unheilbar an Krebs erkrankten Frau, ihrer Tochter Agnes und der neu eingestellten Haushaltshilfe Lena. Laura reflektiert angesichts des Todes ihr Leben, wirft das, was sie für andere getan hat in eine Wagschale und das, was sie dafür bekommen hat, in die andere: Als Ehefrau ist sie gescheitert, denn der Mann weilt längst in anderen Betten, als Mutter ebenfalls – zwischen ihr und der Tochter herrscht ein unerbittlicher Psychokrieg. Alles hat sie ausgehalten, ist zum Opfer des eigenen Lebens und der Lebensträume geworden und deshalb nun krank.

Die Angst, die konnte ich zähmen. Und ich habe sie gezähmt. Wie ich niemals mein Leben haben zähmen können, so habe ich den Tod gezähmt. Habe ihm eine Frist abverlangt, habe die Frist verlängert. Habe mich auf ein Spiel eingelassen. Der Tod war gerechter, im Endeffekt, als das Leben. Nicht dass ich mir das Leben nicht ausgesucht hätte, nein, das nicht. Kann ja keinem einen Vorwurf machen. Was immer ich gewollt habe, habe ich bekommen. Aber ich wusste nicht, dass das, was ich will – eine Falle war.

Laura will sich an ihrem Leben, von dem sie sich hintergangen fühlt, rächen. Lena, die Haushaltshilfe, soll zu ihrer Nachfolgerin werden. “Die zweite Frau” Ein kraftvoller, sehr dichter Text, der seine Stärke den großen Monologen verdankt, in denen Haratischwili uns die Tür zu den Seelen der der Frauen und ihrer Lebensentwürfe öffnet. Agnes, die Tochter, will ein anderes Leben als das der Mutter und keinen Mann “der sein Lebtag hier rumsitzen und ein schlechtes Gewissen haben muss, weil er den Krebs seiner Frau übersehen hat, als sie ihm das Seelachsfilet servierte”. Sie will beachtet, gewürdigt werden, von einem, “der alles weiß, alles im Blick hat”.

In unserem Krieg, der so viele Jahre angedauert hat, dem Krieg, der sich selbst bestätigt wissen wollte und nichts sonst. Weil um uns herum kein Leben war. Weil es versunken war wie ein verdammter Liner, wie eine verdammte Titanic, versunken in uns selber oder stecken geblieben, eingeklemmt zwischen unseren Rippen aus Stahl. Nicht mehr zum Vorschein, nicht mehr zum Pulsieren kommend. Das denke ich, und ich lache. Ich lache, weil das das Einzige ist, was ich noch kann. Weil ich aus den Trümmern ein Lebenszeichen geben muss – damit die Welt mich erhört. Weil ich noch lebe. Oder gerade jetzt. Erst.

Immer wieder blitzt in “Die zweite Frau” jenes wunderbare Talent auf, den Leser mit verstörenden und zugleich poetischen Sätzen zu verzaubern, allein dafür schon lohnt sich der Blick “Techno der Jaguare” mit Sicherheit. Und wieder gibt es ein überraschendes und schmerzhaftes Ende, bei Haratischwili ist nichts vorhersehbar, sie wirft den Leser zu gern vom Rand der eigenen Erwartungen – eine Eigenschaft, die ich bei Autoren sehr schätze.

So unterschiedlich die Erzählungen in “Techno der Jaguare” sowohl in ihrer Länge, ihrem Stil und ihren Themen sind – hier sprechen unter anderem eine Profikillerin, eine junge Journalistin, eine Frau auf der Suche nach Liebe  – wird unmissverständlich deutlich, dass es zumeist die weibliche Perspektive ist, die hier im Mittelpunkt steht. Vor allem die Suche nach der eigenen Identität, der Rolle innerhalb der Gesellschaft und auch der Vergleich der postsowjetischen mit der westlichen Realität der Frau sind Kernthemen der Autorinnen. “Techno der Jaguare”, das ist ein wildes, ein ungezähmtes Buch, zwischen den Buchdeckeln riecht es nach Aufbruch und nach tausend neuen Möglichkeiten. Ein Erzählband, der Lust auf mehr Literatur aus Georgien macht. Von mir gibt es deswegen die unbedingte Leseempfehlung!

Manana Tandaschwili, Jost Gippert (Hrsg.): Techno der Jaguare. Neue Erzählerinnen aus Georgien. Frankfurter Verlagsanstalt 2013, 246 Seiten, 19,90 €.

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