Man kann von der Stadt aufs Land ziehen – doch vor sich selbst fliehen ist nicht möglich, zeigt Lola Randl in ihrem Debüt.
Früher oder später spielt wohl jeder in Berlin lebende Mensch mit dem Gedanken: Ein Kleingarten am Stadtrand oder sogar eine größere Datsche irgendwo in der Peripherie – das wär’s. Dann würde man ein einfaches, entschleunigtes Leben ohne BVG-Streik, Dauerbaustellen und Party-Touristen führen und stattdessen im Einklang mit der Natur Marmelade einkochen.
Wahrscheinlich hat auch Filmemacherin Lola Randl ähnliches im Sinn gehabt, als sie vor ungefähr zehn Jahren einen alten Gasthof in Gerswalde kaufte. Gerswalde, das ist ein kleines Dörfchen im nördlichen Brandenburg, der Uckermark, knapp 1.600 Einwohner*innen gibt es hier. Als Event-verwöhnter Städter möchte man sagen: Es ist herrlich ruhig dort – aber es liegt dort auch der sprichwörtliche Hund begraben. Das änderte sich ein wenig, als Lola Randl mit ihrem Mann und den zwei Kindern dorthin zog, kurze Zeit später kamen zwei Japanerinnen dazu, die im lichthellen Gewächshaus das „Café zum Löwen“ eröffneten und mit Matcha-Kuchen und Wildblumen immer mehr stressgeplagte Großstädter zum Sonntagsausflug anzogen. Im Sommer 2018 richtete der Verlag Matthes & Seitz Berlin, bei dem auch das Buch erschienen ist, dort eine wunderbare „Landpartie“ aus.
Klar, dass Lola Randl diese Entwicklung, die sie mitzuverantworten hat, in ihrem Buch aufgreift:
„Seit die Japaner unten bei uns im Haus das Café eröffnet haben, räkeln sich im Hof Leute aus der Stadt. […] Die Besucher aus der Stadt denken, wie fast immer, an ihre Projekte. Sie haben keine Berufe mehr, so wie früher, sondern nur noch Projekte, meistens verschiedene, die zu anderen Projekten parallel laufen. Die Besucher stellen sich vor, wie es wäre, auch noch ein Landprojekt zu haben.“
Das große Projekt von Lola Randl ist ihr Garten, den sie mit Unterstützung ihrer Mutter im Jahresverlauf zu bewirtschaften versucht – ihr Buch handelt deshalb auch von Regenwürmern, Japanischem Knöterich, Schnecken, Wildkräutern und Stauden. In etlichen kleinen Episoden sinniert die Erzählerin über die Tücken eines großen Gartens, flechtet dabei Geschichten aus dem Dörfchen und seinen kauzigen Bewohnern ein und erzählt von ihrer zusammengewürfelten Familie vor Ort: Ein Mann, ein Liebhaber, zwei Kinder, die Mutter. Eine Konstellation, die in Berlin noch nichtmal zu einer hochgezogenen Augenbraue führen würde, in der Uckermark aber Fragen aufwirft.
„Monogamie bezeichnet bei Mensch und Tier eine lebenslange Fortpflanzungsgemeinschaft. Dabei macht das fast kein Tier so. […] Bei Pflanzen ist das sowieso überhaupt kein Thema. Die Wurzeln machen sich irgendwie frei von Schuld und Besitzansprüchen. Beim Menschen haben sich die Besitzansprüche in den letzten tausend Jahren zu einem großen Thema entwickelt. Dabei haben Anthropologe herausgefunden, dass es sich vor allem um eine Erfindung der westlichen Welt handelt“
Ihre Therapeutin attestiert ihr, aus Angst vor dem Alleinsein zwei Männer zu haben und dass sie bereit wäre, auch noch einen dritten oder vierten hinzuzunehmen – sie müsse unbedingt achtsamer sein. Was von der Erzählerin nüchtern zur Kenntnis genommen wird, bevor sie sich mit ihrem Analytiker in Berlin trifft, der sie nicht mehr therapieren, sondern auf der Patienten-Couch vögeln möchte. Vor sich selbst kann man eben schlecht fliehen.
Über all das sinniert die Erzählerin in ihrem lakonischen Stil, an den man sich als Leser erst einmal gewöhnen muss. Alles wirkt so abgeklärt, teilweise auch naiv bis putzig, irgendwie irritierend, aber gleichzeitig auch gespickt mit trockenem Humor, der einen kichern lässt. Ihre Sprache hat keinerlei doppelten Boden, alles ist so gemeint, wie es gedruckt ist – sie verklärt das Landleben nicht, beschreibt es in seiner Vielfalt und sich selbst mit all ihrer liebenswerten Schusseligkeit.
„Roman“ steht auf dem Cover, obwohl es kein Roman ist – in der ZEIT wird das Buch als „essayistisch-aphoristische Dorfgeschichte in Form einer Gartenenzyklopädie mit einem autobiographischen Erzählstrang, einer jahreszeitlichen Rahmung und einer regionalen Chronistenfunktion“ beschrieben, was umständlich klingt, die Sache aber exakt trifft. Kurz gesagt: Es ist ein Gartenbuch der ganz besonderen Art, das mir als gestresste Großstädterin Lust macht, bei nächster Gelegenheit mal wieder im großen Garten in Gerswalde zu entspannen…
Lola Rand
Der grosse Garten
Matthes & Seitz Berlin, 2019
320 Seiten, 17,99,-€
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