Zweifel, durch die Vergangenheit gesät
Emilia und Bruch führen eine vermeintlich glückliche Ehe, haben zwei gesunde Kinder und leben hinter dem Deich den Traum eines jeden Großstadtmenschens in ihrem eigenen Haus mit großem Grundstück und weit entfernten Nachbarn. Doch es ziehen dunkle Wolken am Horizont auf und das im wirklichen und im metaphorischen Sinne, denn Emilia hat gegenüber Bruch ein Geheimnis aus ihrer Vergangenheit, was sie ihm bewusst verschwiegen hat, um die beginnende Beziehung nicht zu belasten. Doch nun, nach Jahren kehren Zweifel in ihre Gedanken ein, ausgelöst durch einen Freund, der ihr einfach nur einen Streich spielen wollte und damit die verschüttet geglaubten Erinnerungen wieder hervor geholt hat. Dadurch wird eines deutlich: Die Vergangenheit holt einen immer ein und mischt sich so in die Gegenwart ein, dass Beziehungen vergiften kann. Mareijke Schermer hat mit Unwetter ein leises Buch geschrieben, in dem es vor allem um darum geht, was sexuelle Belästigung und Vergewaltigung mit einer Frau anrichten und wie sie das Erlebte noch Jahre später in ihren Entscheidungen beeinflusst.
Emilia lernt vor etwa 10 Jahren Jahren ihren jetzigen Mann Bruch kennen. Doch in dieser Kennenlernzeit wird sie brutal vergewaltigt und bricht abrupt den Kontakt ab, um dieses Erlebnis nicht zwischen sich und Bruch kommen zu lassen. Erst als alle äußerlichen Verletzungen verheilt sind, traut sie sich wieder an Bruch heran, der ohne großes Aufheben da ansetzt, wo die beiden aufgehört haben.
Sie heiraten, bekommen zwei Kinder, ziehen aufs Land und führen ein idyllisches Familienleben mit den ganzen kleinen Reibereien und Neckereien, die zu einer Ehe dazu gehören. Eines Abends jedoch, als die beiden eine Theatervorstellung besuchen, bricht bei Emilia die vergessen geglaubte Vergewaltigung wieder hervor, da ein Freund von ihr und Bruch meint sie erschrecken zu müssen. Plötzlich ist alles wieder da und Zweifel steigen in ihr auf, ob es richtig war, Bruch nichts zu erzählen. Plötzlich ist sie gefangen in einer Gedankenspirale, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint. Sie distanziert sich bewusst von ihrem Mann, weiß weder ein noch aus, überlegt, ob sie es erzählen soll oder ob sie einfach gehen sollte, da die Beziehung mit einer Lüge begonnen hat. Nebenbei droht auch noch das Haus in Fluten unvorhersehbaren Ausmaßes unterzugehen, da ein starkes Unwetter die Landschaften hinter dem Deich unter Wasser setzt. Um ihr Haus zu retten beziehungsweise das Innenleben, müssen sich Emilia und Bruch zusammenraufen. Dabei kommt für Emilia eine ünberraschende Wahrheit ans Licht, die die Beziehung tatsächlich ins Wanken bringt
Wahrheiten über Beziehungen
Dieser Roman ist einer, der sehr viele Wahrheiten über Beziehungen in die Geschichte packt. Sätze, die man sich am liebsten ausschneiden und an die Wand kleben möchte, als ständiges Mahnmal oder am besten gleich hinter die Ohren schreiben. Da schwingt die ganze Zeit eine bittersüße Dynamik mit, bei der ständig die Frage auftaucht, was eine glückliche Ehe ausmacht und wieviel Wahrheit sie verträgt. Muss man ab und zu mal etwas verschweigen, damit es rund läuft und vor allem, was darf man verschweigen? Im Falle von Emilia ist es reiner Selbstzweck, um sich zu schützen und auch, um eine Beziehung unbelastet starten zu können. Das mag im ersten Moment löblich klingen und doch lügt sie sich dabei selbst in die Tasche. Man kann nie wissen, wie einen gewisse Dinge in der Zukunft wieder einholen werden.
Wie im Fall von Emilia, die eine Vergewaltigung verschweigt und somit den Grundstein für spätere Gewissensbisse gegenüber ihrem Mann legt. Unwetter legt dabei den Finger in mehrere Wunden. Zum einen, wie es in einer Beziehung aussieht, in der man sich vermeintlich schon alles gesagt hat und zum anderen, wie sich Menschen verhalten, wenn die ganze Zeit ein Damoklesschwert über ihnen hängt. Doch der Titel ist, wie oben schon angedeutet, doppeldeutig gewählt. Denn auch ein richtiges Unwetter zieht über das Land und droht, ebenso wie das psychische Pendant, dass Familienglück in eine Ecke fortzuspülen, in der man nur noch die Scherben aufsammeln kann. Das dies dann auch wirklich passiert, hat andere Gründe, die ich der Spannung wegen hier nicht anpreisen möchte. Zumindest kommen sie relativ überraschend.
Sprachlich hat die Autorin und für die deutsche Übersetzung, Hanni Ehlers, eine sehr ruhige und unaufgeregte Sprache gefunden. Das Buch liest sich sehr gut und angenehm, man mag bemängeln, dass es für die Thematik zu wenig Ecken und Kanten besäße, aber das braucht es in diesem Fall auch nicht. Die Herausforderungen, die das Trauma von Emilia bietet, ist schon Ecke und Kante genug, um diesem Stoff Tiefe zu verleihen. Außerdem birgt das Ende ebenfalls Diskussionsstoff, wie man mit dieser neu geschaffenen Situation als Eheleute umzugehen hat, denn die Folgen der letzten Wendung in der Geschichte werden offen gelassen.
Nun habe ich innerhalb kürzerer Zeit mehrere Romane gelesen, die das Thema Vergewaltigung und/oder Verlassenwerden offen thematisieren. Mit „Nichts, was uns passiert“ wird dieses Geschehen in die Öffentlichkeit getragen und beide Betroffenen tragen dabei Schaden davon und hier ist es genau umgekehrt, indem die Vergewaltigung verschwiegen wird. Die Folgen sind nicht minder verheerend, aber erst mit einiger Verzögerung. Das andere Buch war „Die Architektur des Knotens“ von Julia Jessen, ein eher zartes Buch, in der die Protagonistin in irgendeiner Unzufriedenheit ihr Leben komplett auf den Kopf stellt, ihren Mann und das Kind verlässt und dabei völlig die Orientierung im Leben verliert. Wenn man Unwetter und dieses Buch vergleicht, erkennt man ebenfalls Parallelen bei beiden Hauptfiguren, die allerdings durch unterschiedliche Ereignisse beziehungsweise Lebensläufe induziert sind. Ich kann alle drei Bücher nur empfehlen. Habt ihr auch Bücher zu Hause, die diese Themen in der einen oder anderen Weise behandeln?
Marijke Schermer
Unwetter
Aus dem Holländischen von Hanni Ehlers
Kampa Verlag
187 Seiten
20 Euro
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