Eine Wut, die hinaus geschrie(be)n werden musste
Pia Klemp, Aktivistin und Kapitänin, fuhr im Mittelmeer Einsätze, um Menschen zu retten, bis ihr das Schiff von der italienischen Justiz beschlagnahmt und sie wegen Menschenschmuggels in Italien angeklagt wurde. Ihre Erfahrungen, die Seenotrettung betreffend und die Geschichte rund um die Beschlagnahmung hat sie in den Roman „Lass uns mit den Toten tanzen“ einfließen lassen, der an dieser Stelle besprochen werden soll. Vorweg muss man sagen, dass es ein hochpolitisches Buch ist, welches aktuelle Geschehnisse aus Sicht einer Beteiligten wiedergibt und das an manchen Stellen auf sehr grausame Weise. An einer bestimmten Stelle, die in der Besprechung noch thematisiert werden soll, musste ich richtiggehend schlucken und war den Tränen nahe. Es ist zwar so, dass man weiß, was im Mittelmeer passiert, aber jedes Mal, wenn man darauf gestoßen wird, sei es durch Fernsehbilder oder Beschreibungen, wie in diesem Buch, kommt man nicht umhin, sich mit diesem Thema innerlich intensiv auseinanderzusetzen. Das schafft Pia Klemp mit diesem Buch mühelos, auch wenn es sprachlich nicht ganz literarischen hohen Ansprüchen genügt. Das muss es aber auch nicht, denn der Auftrag von diesem Buch ist ein ganz anderer als Preise für seine wahnsinnige Sprache abzuräumen. Dieses Buch erschafft Aufmerksamkeit und ich wünsche ihm jede Menge Leser, denn egal ob im Mittelmeer oder über die Landroute, wir werden immer wieder mit Flüchtlingen konfrontiert werden und man kann diesem Problem nicht ausweichen, in dem einfach die Mauern hochgezogen werden. Irgendwann türmen sich die Flüchtlinge so hoch, dass sie auch diese Festung erstürmen können. Es müssen andere Lösungen seitens der Politik her, anstatt immer nur zu sagen „Ihr dürft nicht rein“.
Menschen in Not und auf der Flucht, Europas Grenzen hochgezogen
Viele erinnern sich bestimmt noch an die Bilder der zurückliegenden Jahre, Flüchtlinge setzen auf labbrigen Booten auf dem Mittelmeer über, entkräftet und dem Tod näher als dem Leben, erfreut, dass Rettung naht und sie Europa, das Heilige Land, schon näher wähnen. Bilder von Ertrinkenden gab es nicht, dafür aber ist mir noch das Bild eines toten angeschwemmten Kindes an einem italienischen Strand vor Augen, welches das ganze Elend dieser Situation zusammengefasst hat. Italien und andere europäische Länder machen ihre Grenzen dicht, ziehen unsichtbare Mauern hoch, um der Flut an Menschen Herr zu werden. Doch ist es moralisch vertretbar, diese Menschen einfach ihrem Schicksal zu überlassen, diese im Mittelmeer ertrinken zu lassen?
Die namenlose Hauptperson in diesem Roman ist Kapitänin und fährt auf dem Mittelmeer mit ihrer bunt zusammengewürfelten Truppe Rettungseinsätze, um Menschen, die vor Not, Elend und Folter fliehen und ihrem fast sicheren Untergang entgegen sehen, nicht dem Wasser zu überlassen. Dabei werden ihr immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen. Die afrikanischen Milizen halten ihr Schiff auf Trab, die italienische Küstenwache spielt auf Zeit oder hält sie an der langen Leine. Das alles geht so lange gut, bis ihr durch eine Finesse der italienischen Justiz das Schiff beschlagnahmt wird und sie des Menschenschmuggels angeklagt wird. Sie fährt zwar noch einen katastrophalen Einsatz, aber auf Anraten ihrer Anwältin sollte sie das nicht mehr machen, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Doch in ihr brennt ein Feuer, was durch einen normalen Alltag nicht zu löschen ist, welchen sie mit einem Crewmitglied angehen möchte. Doch das funktioniert nicht und so nutzt sie das Parkett des Gerichtssaals, um ihr Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen.
Bilder, die man nicht mehr vergisst, zu harten, wütenden Worten gegossen
Es gab Momente im Buch, da fand ich mich nicht zurecht. Da gab es keine glattgebügelte Germanistensprache, kein einstudiertes Schreiben, sondern die klare, rohe, direkte Sprache, wie ich sie mir 1:1 auf einem Schiff auf Seenotrettungsmission vorstellen würde. Und genau diese Sprache, eine Mischung aus Englisch, Deutsch, Funksprüchen, anraunzen unter Crewmitgliedern, eingeflochtenene Gedanken der Kapitänin, feministische Stinkefinger gegenüber Machos, die mit einer Frau als Chefin nicht klar kommen und vieles mehr durchsetzt die Sprache in diesem Buch. Es ist ein buntes Potpourri an Gedanken, welche Pia Klemp da zu Papier gebracht hat und die so ihre Wut gegenüber diesen Themen in die Welt schreibenderweise kanalisierte. Das soll nicht herabwertend klingen, denn das Buch ist genau richtig geschrieben. Es ist rotzig, es ist anklagend, bringt einen zum Weinen und zum Nachdenken über das eigene (Nicht)-Tun, setzt Prozesse in Gang, bei denen man sich hinterfragt, was man es im Alltag selbst anders gestalten kann, um auch unterstützend eingreifen zu können. Und damit meine ich nicht nur Spenden, die das eigene Gewissen beruhigen, damit soll eher der Umgang untereinander gemeint sein, der in den letzten Jahren immer gewissenloser geworden ist und sich gegen alles Fremde richtet. Kann man da als erstes Ansetzten, um diese Welt ein klein wenig friedlicher und gütiger zu gestalten? Aktuell komme ich mir eher vor wie in einem riesengroßen Sandkasten, wo alle mit ihren Sachen spielen, aber wehe jemand will mir was wegnehmen, dann ist das Theater groß.
Dieses Buch spiegelt die Erfahrungen Pia Klemps wieder, die sie bei ihren Rettungseinsätzen im Mittelmeer und mit der italienischen Justiz gemacht hat. Ihre eigene Person lässt sie mutmaßlich in die Hauptfigur fließen, aus deren Sicht das Buch geschrieben ist, denn das, was hier beschrieben wird, entspricht zu 99% ihrem eigenen Fall und zeigt auf, wie schwer es Leuten wie Pia Klemp gemacht wird, die einfach nur helfen, andere nicht einfach ersaufen lassen wollen und die trotz der beschriebenen immensen Widerstände immer wieder neue Kräfte mobilisieren können, um sich aufzurappeln, was sehr schön zum Schluss des Buches beschrieben wird, als klar ist, dass die Kapitänin aktuell keine Einsätze mehr fahren darf und sie ihre Anliegen in den Gerichtssaal trägt. Man muss dazu sagen, dass das Buch kein großer literarisch Wurf ist. Es wird kein Buch sein, welches Preise abräumt oder groß vom Feuilleton besprochen wird. Die Nebengeschichte ist nicht ganz so gelungen, zeigt vielmehr, wie wenig die Hauptfigur mit alltäglichen Situationen klar kommt, weil sie weiß, dass zum gleichen Zeitpunkt anderswo Menschen elendig ertrinken. Es ist aber, wie oben schon gesagt, nicht die Aufgabe von diesem Buch, es literarisch gut zu machen. Es ist vielmehr ein (Tatsachen)-Roman, der jede Aufmerksamkeit gebrauchen kann, damit es zu einem Aufwachen kommt, damit ein Nachdenken einsetzen, damit Mitgefühl aktiviert werden kann, um dort Hebel anzusetzen, wo es wichtig ist, damit solche Szenen von Ertrinkenden, wie im Buch beschrieben und die einen Krämpfe in den Magen jagen, nicht wieder vorkommen, denn jeder Ertrunkene ist einer zuviel. Dazu ist aber auch die Politik gefragt, denn wir als einzelne Menschen und selbst in der Masse können da nicht viel ausrichten, insbesondere nicht in solchen Ländern wie Afrika, wo unser Wirken verpufft, wenn den Warlords und der Koruption keine Riegel vorgeschoben werden. Solange diese Faktoren immer noch Wirkungsgrad besitzen müssen wir uns auch mit der Thematik Flüchtlinge beschäftigen, von Kriegen in Syrien oder anderen Flecken ganz zu schweigen oder von Klimaflüchtlingen, die wir in Zukunft ganz sicher haben werden.
Fazit:
In meinen Augen ist es ein Buch, in welches man sich reinlesen muss, denn sprachlich ist es so gehalten, wie sich Kapitänin und Crew mit Flüchtlingen, Küstenwache und anderen und untereinander reden. Kurz gesagt: Es geht rau zu. Doch das wichtigste ist, was die Sprache da transportiert und dafür wünsche ich mir, dass diese Seiten und Botschaften möglichst viele Menschen erreichen. Es ist wütend geschrieben, anklagend, voll Zorn auf die politischen und ökonomischen Umstände. Pia Klemp will mit diesem Buch anecken und aufrütteln. Bei mir hat sie es geschafft. Hoffentlich auch noch bei vielen anderen Leserinnen und Lesern.
Vielen Dank an den Maro Verlag, die mir freundlicherweise ein Leseexemplar für diese Besprechung zur Verfügung gestellt haben.
Pia Klemp
Lass uns mit den Toten tanzen
Maro Verlag
20 Euro
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