Philosophie im Krimigewand

Abgründe öffnen sich

Bei der Besprechung zu diesem Buch steckt jeder Rezensent in der Zwickmühle. Zum einen soll das Buch schmackhaft gemacht und zum anderen sollte so wenig wie möglich vom Inhalt verraten werden, denn davon lebt dieses Buch. Vom Nichtwissen um die Handlung und deren Fortgang, insbesondere im letzten Drittel. Jetzt mögen viele einwenden, dass es auch bei vielen anderen Büchern der Fall ist. Das mag stimmen, wird entgegnet, aber hier ist es noch einmal etwas ganz besonderes. Dieser besondere Sog, von dem immer die Rede ist, wird hier von der ersten Seite an aufgebaut und man kann sich diesem Stoff vom ersten Moment nicht entziehen. Dabei ist das Thema, um das es geht, noch nicht einmal geeignet für jedermann, da es um die BDSM-Szene geht und dabei um ganz spezielle Vorlieben. Also ein ganz harter Stoff in einem besonderen Milieu. Das hat sich Steven Uhly für seinen neuesten Roman vorgenommen, in dem er trotz allem einige sehr menschliche Themen durchspielt und diese bis auf das äußerste ausreizt. Ein sehr nervenzerrender Roman, den man zwar innerhalb weniger Stunden ausgelesen hat, der einen aber noch wochenlang verfolgen wird – garantiert.

Es beginnt wie ein Kriminalfall

Dieses Buch ist insgesamt in 12 Kapitel aufgeteilt, die allesamt ein Gesprächsprotokoll zwischen Abid Malik, einem jungen Berliner Polizeibeamten mit indischen Wurzeln, und seiner Therapeutin darstellen. Zu diesen Gesprächen wurde der junge Polizist von seinem Vorgesetzten gedrängt, da er merkt, dass ihn dieser Fall sehr an die Psyche geht und er seinen Dienst nicht mehr normal ausüben kann. In zuerst nüchternem, sehr dienstlichem Ton, erzählt Malik davon, wie alles anfing, wie die Leiche einer älteren Frau gefunden, der Tatort sichergestellt und die Beweisaufnahme vorgenommen wurde. Man stellte fest, dass der Fundort nicht den Ort ist, an dem Frau umgebracht wurde. Die Identität kann nicht ermittelt werden und die Soko, die für diesen Fall ins Leben gerufen wird, tappt soweit im Dunkeln. Als dem Beamten Jan West, der der Partner von Abid Malik ist, ein Video zugespielt wird, auf dem die getötete Frau erklärt, dass sie Jans Mutter ist und freiwillig aus dem Leben geschieden ist, beginnt sich etwas bei Jan West zu verschieben. Er bittet Malik darum, ihm neben der normalen Polizeiarbeit noch private Recherchen vorzunehmen, die sie beide an Rand ihrer Möglichkeiten bringen wird und in tiefste Finsternis stoßen könnte, da so etwas gegen das Gesetz ist und die beiden in viele Dilemma bringen könnte. Informationen, die sie privat zusammentragen, könnten auch für die Ermittlungen von wichtiger Bedeutung sein. Dabei dringen sie in ein Milieu vor, welches sich durch alle Gesellschaftsschichten zieht und Praktiken zutage fördert, die teils abwegig und teils richtig abstoßend wirken. Wie oben schon angedeutet ist die Rede von der BDSM-Szene.

Und endet in einem Philosophieexkurs

Dieses Buch ist eine Höllenfahrt par excellence. Der anfänglich souveräne Malik gerät immer mehr ins Schwanken, bei jedem Treffen mit der Therapeutin kommen mehr Details ans Licht, die sich alles, was vorher besprochen wurde, in neue Schattierungen wirft und manche Information sich teilweise sogar völlig ins Gegenteil verkehrt. Einfach gesprochen hat Steven Uhly einen Pageturner geschrieben, wie sie für Krimis gang und gäbe sind. Doch das wäre bei diesem Buch eindeutig zu kurz gesprungen. Oberflächlich betrachtet mag das vielleicht stimmen, schürft man aber tiefer, kommt man an bestimmten Stellen an seine Grenzen. Linien, die man so nicht überschreiten würde, dies hier aber macht. Man will unbedingt wissen, was dieser Fall noch alles an Geheimnissen verbirgt. Und das sind auf diesen wenigen Seiten ganz schön viele und sie werden alle aufgedeckt. Welche das sind? Wird hier nicht verraten. Doch eines kann schon einmal angedeutet werden. Zum Schluss, quasi der Showdown von diesem besonderen Fall, wird eine Philosophiestunde aufgetischt, die sich gewaschen hat. Dabei geht es um Schmerz, um Hingabe, sich fallen lassen und wie weit man zu gehen bereit ist, um sich vollständig einem anderen Menschen anzuvertrauen, mit allen Konsequenzen. Wie viel ist man bereit zu geben? Und gibt man sich wirklich komplett in die Hände anderer?

Ein geradlinig komplexer Roman

Und obwohl es wirklich ein recht geradliniger Krimi, gar Thriller ist, der uns da präsentiert wird, ist das trotzdem auf so vielen Ebenen komplex und richtig gut geschrieben, dass man einfach am Ball bleiben will, man hat keine andere Wahl. Es ist kein einfaches Thema, beileibe nicht, und einigen wird das sicher nicht schmecken, was da zu Papier gebracht wurde. Es sind wirklich einige groteske Szenen dabei, die einem echt zu denken geben, warum es Menschen gibt die so etwas tun, und andere, die sich das so etwas gefallen lassen (Stichwort: Unterdrückung und Dominanz). Doch es gibt viele gescheite Absätze, die der Autor uns da vorsetzt. Abschnitte, die sich lohnen mehrfach zu lesen, um darüber nachzudenken, sich in ihnen zu vertiefen. Alles in allem also ein sehr geradlinig komplexer Thriller, der einen im wahrsten Sinne der Geschichte fesselt. Unbedingt Lesen!

Steven Uhly
Finsternis

Secession Verlag
208 Seiten
20 Euro

4 Kommentare zu „Philosophie im Krimigewand

Gib deinen ab

    1. Und da hab ich mir so eine Mühe gegeben, dass alles etwas verschlüsselt aufzuschreiben. Ich sag mal, Andeutungen habe ich schon gemacht, aber zu konkret bin ich nicht geworden oder was meinst du? Kannst mir gern auch über die anderen Kanäle privat schreiben.

      Liebe Grüße
      Marc

      Gefällt 1 Person

  1. Ja, sehr abgründig. Wobei ich finde, dass hier alle Protagonisten an ihre Grenzen gehen, nicht nur die „BDSM-Leute“. Das fand ich grossartig dargestellt: es braucht kein BDSM, um an Grenzen und in Abgründe zu geraten.

    Wobei ich, nebenbei bemerkt, die BDSM Szene etwas undifferenziert beschrieben fand. Aber ich vermute mal, der Autor hat ausgewählt, was für die Story relevant war.

    Der Schluss war mir zu verschwurbelt, nochmal eine Umdrehung mehr an der Spannungs- und Wahrheitsschraube, wäre meiner Meinung nach nicht nötig gewesen.

    Gleichwohl : lesen ! Sehr spannend.

    Gefällt 1 Person

Kommentar verfassen - Mit dem Absenden des Kommentars geben Sie gleichzeitig ihr Einverständnis zur Datenschutzerklärung auf dieser Seite

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Google Foto

Du kommentierst mit Deinem Google-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.

Erstellt mit WordPress.com.

Nach oben ↑

%d Bloggern gefällt das: