Dem Krieg ins Gesicht schauen – mit jeder Faser des eigenen Körpers die Schmerzen und das Leid der Soldaten spüren. Das passiert, während ich »Die Erbärmlichkeit des Krieges« von Wilfred Owen lese. Dieser Lyrikband ist in der Edition ReVers beim Verlagshaus J. Frank | Berlin erschienen und bringt uns einen hierzulande eher unbekannten Lyriker näher. Und das Unbekannte und Unentdeckte, das reizt die Klappentexterin ja seit jeher besonders.
Wilfried Owen (1895-1918) ist gerade mal 25 Jahre alt geworden – eine erschreckende Tatsache, die mich traurig macht. Er ist einer von vielen Soldaten, die dem Ersten Weltkrieg zum Opfer gefallen sind. Aber Owen hat der Nachwelt ein literarisches Zeugnis hinterlassen, auf das der Verleger Johannes CS Frank zum ersten Mal als Jugendlicher gestoßen ist. Obwohl er damals noch wenig mit den Gedichten anfangen konnte, aber einige Jahre später sollten ihn Owens Gedichte vollkommen gefangen nehmen. Dylan Thomas Hayden, ein Freund und Dichter, hatte ihm die Sammlung von Wilfred Owens Gedichten in die Hand gedrückt. Und so kam es zu diesem Buch. Dabei sei noch erwähnt, dass sich die Edition ReVers besonders verstorbenen Dichtern widmet und sich diese Reihe durch eine hochwertige Gestaltung auszeichnet. Ebenfalls erwähnenswert sind die Übersetzer, die allesamt selbst als Autoren sind und die herausfordernde Lyrik gekonnt interpretieren. Und wer den Originaltext gegenlesen will, findet ihn jeweils unten auf der jeweiligen Seite.
Bei Wilfred Owen fasst bereits das Vorwort die Essenz des Bandes zusammen: »Dieses Buch handelt nicht von Helden. Die englische Dichtung ist noch nicht soweit, von ihnen zu sprechen. Weder handelt es von Taten, von Ländern, noch irgendetwas wie Ehre, Ruhm, Majestäten, Herrschaft, Macht oder Kraft, nur von Krieg.«
© Andrea Schmidt/Verlagshaus J. Frank | Berlin
Wilfred Owen schultert seine LeserInnen wie einen Rucksack, setzt sie quasi auf seinen Rücken, so nah zoomt sich bei der Lektüre das Kriegsgeschehen heran. Ihm geht es nicht um Helden, ihm geht es um den Kriegsschauplatz mit all seinen Verletzungen, Kämpfen, Opfern – die Erbärmlichkeit des Krieges eben. So sehe ich seelisch verwundete Soldaten, die mit den Geistern kämpfen. Männer, die vor dem Tod fliehen, dabei selbst zu Mördern werden und mit den Folgen kämpfen: »Dies sind Männer, deren Sinne von den Toten geraubt wurden / Erinnerung massiert ihnen Mord ins Haupt / unzählige Morde, die sie einst bezeugten. / Sie waten durch Sümpfe aus Fleisch, die hilflosen Wanderer / treten Blut aus Lungen, die es liebten zu lachen.« Wilfred Owen stellt mich in dem Gedicht »Invalide« vor einen jungen Soldaten, dem es schmeichelte, als man ihm sagte: »er sähe sicher aus wie ein junger Gott in Uniform / deshalb; und vielleicht dazu, um seiner Meg zu gefallen / Jawohl, das war’s, um seiner verfluchten Verflossenen zu gefallen.« Und nun? Sitzt er im Rollstuhl »beinlos, an den Ellenbogen kurzgesägt« und »Jetzt ist er alt; sein Rücken wird sich nicht mehr recken / seine Farbe hat er verloren […]« Diese Momente sind äußerst beklemmend, mein Hals wird dabei staubtrocken, wie eine Wüste ohne Oase.
Immer mehr Grauen, auf das ich mich einlasse, weil ich nicht anders kann. Zu fasziniert bin ich von den Wörtern, die mir vom Elend erzählen. Wenn ich Gedichte lese wie »Zusammengestaucht im Trichterloch« kämpft in mir Erschaudern mit Faszination. Trotz des Elends fängt mich Wilfred Owen, der feinfühlige Sprachkünstler, mit seinen bildhaften Beschreibungen auf. »Zusammengestaucht im Trichterloch betrachteten sie den Tagesanbruch / wie er eine schartige Kante um sie öffnete; ein Gähnen / der Kiefer des Todes, das sie beinahe verschluckt hatte / steckengeblieben im Auswurf am Ende des Rachens.« Hässlichkeit bekommt mit Owen einen ganz eigenen Anstrich. Einfach durch seine sanftmütige und hoch poetische Ader. Einfach, indem er das Erlebte, die Beobachtungen und sein Gedankengut wie ein Künstler anmalt.
Owen verwandelt Stacheldraht in Seide, die Zärtlichkeit seiner Sprache steht im Gegensatz zum Geschilderten. Dort, wo bis eben noch Schmerz saß, spüre ich plötzlich etwas Weiches und angenehm Vertrautes, das einer Friedfertigkeit gleichkommt. Wenige Sekunden nur, doch so intensiv und umwerfend schön!
Wilfred Owen zu lesen, erinnert mich an eine nächtliche Fahrt durch unbekanntes Gebiet. Alles ist zappenduster, unheimlich und doch magisch anziehend. Der Geist regt sich und das Herz überschlägt sich an vielen Stellen. Noch nie habe ich dem Krieg auf so poetische Weise ins Gesicht geschaut, war ich zutiefst ergriffen und gleichzeitig fasziniert.
© Andrea Schmidt/Verlagshaus J. Frank | Berlin
Was dieses Buch überdies zusätzlich auszeichnet, sind die Illustrationen von Andrea Schmidt. Farbige Graphiken, überwiegend in erdigen, schwarzen, weißen und dunkel-goldenen Tönen, verleihen dem Band eine ganz eigene Stimmung. Ebenfalls bereichernd sind am Ende die abgebildeten Briefe von Wilfred Owen an seine Mutter sowie das Nachwort des Übersetzers und Verlegers Johannes CS Frank. Gerade diese schenken einen tiefen Einblick in das Leben und Schaffen Wilfried Owens. Trotz aller Schwere des Themas ist dieses Buch ein sehr lesenswertes und sehr wichtiges Buch. Ein besonderes Dankeschön an das Verlagshaus J. Frank | Berlin, das den Autor auf so beachtenswerte und würdevolle Weise dem deutschen Lesemarkt zugänglich gemacht hat!
Die Erbärmlichkeit des Krieges – Gesammelte Gedichte und ausgewählte Briefe von Wilfred Owen. Aus dem Englischen übersetzt von Johannes CS Frank. Illustrationen von Andrea Schmidt. Verlagshaus J. Frank | Berlin, 2014, 140 Seiten, 14,90 €.
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