Der Roman von Nona Fernández kostet Kraft und Konzentration denn vom Leser wird so einiges abverlangt. Nicht nur die häufigen Perspektivänderungen, die eingefügten Rückblicke und die Wechsel zwischen Fiktion und Realität fordern heraus, nein auch die Sprache selbst, getragen von Schmerz und Trauer ist teilweise anstrengend. Die ersten Sätze sind dafür beispielhaft: „Verflucht kam ich zur Welt. Von Mutters Möse bis zu der Kiste, in der ich jetzt liege, war mein Leben verflucht.“
Im eigentlichen Mittelpunkt steht der Fluss Mapocho, der durch die chilenische Hauptstadt Santiago de Chile fließt und verbindendes Element aller Puzzleteile des Romans ist. Er ist der rote Faden des Textes, der Opfer und Verlierer der chilenischen Geschichte aufnimmt und so zum Sammelbecken aller Leidwesen wird: von den Anfängen (mit Pedro de Valdivia) bis zur jüngeren Geschichte des Landes, das vor allem noch unter den Nachwirkungen der Diktatur Pinochets zu leiden hat.
Rucia und Indigo ein Geschwisterpaar, das einer verbotenen Liebe nachgeht aber diese nie ausleben konnte, musste genau diese Tragödie am eigenen Leib erfahren und erst viele Jahre später tragen sie getrennt voneinander Stück für Stück die schmerzvolle Wahrheit ihrer Familie zusammen. Fernández betreibt eine durchgehende Dekonstruktion des menschlichen Körpers, der Geschichte und Geschichtsschreibung und dem Heiligtum Lateinamerikas: der Familie. Die Frage nach dem Tod steht immer wieder im Raum und auch der Feststellung von Faustus, einem greisen Historiker im Roman „Der Tod ist eine Lüge“ muss sich Rucia bei ihrer Suche nach der Wahrheit und dem geliebten Bruder stellen.
Wie so oft bei dem Thema der Vergangenheitsbewältigung in Bezug auf Diktaturen steht die Problematik Lüge versus Wahrheit auch bei Nona Fernández drohend, einschüchternd aber nie wirklich aufklärend im Vorder- und Hintergrund des Erzählten. Eine Geschichte, die verwirrt und zerstörerisch auf ihre Figuren wirkt, die aber auch zum Nachdenken anregt, die anklagt und gelesen werden will.
Nona Fernández: Die Toten im trüben Wasser des Mapocho. 2012 Septime Verlag, 260 Seiten, 20,90 Euro. Aus dem chilenischen Spanischen Anna Gentz.